Europas Bürger versus Staatenlenker Eine Wirtschaftsregierung für Europa?

Norbert F. Tofall ist Senior Research Analyst bei der Denkfabrik der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch

Norbert F. Tofall ist Senior Research Analyst bei der Denkfabrik der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch

Kaum ist der Grexit nochmal abgewendet worden, fordert der französische Präsident Francois Hollande erneut eine europäische Wirtschaftsregierung. Hollande belegt damit zum wiederholten Male, dass es bei der Griechenlandrettung nicht um die Rettung Griechenlands geht, sondern um die Rettung des Euros als politisches Projekt.

Der Euro als politisches Projekt dient Frankreich und seinen Verbündeten aber nicht nur und nicht primär als Instrument der europäischen Integration. Für sie dient der Euro dem politischen Ziel, die Eurozone auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik oder genauer: auf die französischen und italienischen wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen zu verpflichten, womit alles andere als die Finanzdisziplin von Wolfgang Schäuble gemeint ist.

Die Anfeindungen, denen sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in den vergangenen Wochen nach seiner harten Verhandlungsführung in Brüssel ausgesetzt sah, sind nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Dabei streiten beide Seiten nicht um die Frage, ob es überhaupt legitim ist, die gesamte Eurozone einheitlichen wirtschaftspolitischen Zielen zu unterwerfen. Der Streit geht vielmehr um unterschiedliche Ziele.

Ursprungsidee in Gefahr

Dabei widersprechen sowohl die französischen und italienischen Forderungen nach einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik als auch Schäubles Ziel einer europaweiten Finanzdisziplin der europäischen Freiheitsidee.

Die europäische Freiheitsidee ist aus der Vielgestaltigkeit Europas entstanden. Die Vielgestaltigkeit Europas hat fünf Pfeiler hervorgebracht, die das Europäische Haus tragen:
  1. die Ablehnung von Machtmonopolen und der Alleinherrschaft,
  2. die Machtbegrenzung und Machtkontrolle,
  3. neben der politischen Gewaltenteilung, die gesellschaftliche Gewaltenteilung zwischen Politik, Staat, Wirtschaft, Religion, Bildung und so weiter, die man auch als gesellschaftliche Arbeitsteilung bezeichnet; die Soziologen reden etwas hochgestochen von der „funktionalen Ausdifferenzierung“ der modernen Gesellschaft,
  4. die Idee der individuellen Freiheit und
  5. die Herrschaft des Rechts.

Im Nahen Osten, aber auch bereits in Russland, neigt die Staatenbildung zur Despotie. Infolge der Verbindung von weltlicher und religiöser Gewalt und infolge der Unterwerfung aller gesellschaftlichen Teilbereiche wie Wirtschaft, Religion und Bildung unter einheitliche Ziele der Politik und des Staates konnte sich keine gesellschaftliche Gewaltenteilung entwickeln, die wirksam genug war, dem Staat Grenzen zu setzen und Despotie zu verhindern. In Europa und nachfolgend in den von ihm wesentlich beeinflußten Kulturen sind hingegen alle Versuche gescheitert, Despotien dauerhaft zu errichten.

Europas Bürgertum sei dank

Wirksam wird eine Begrenzung des Staates und der Politik aber nicht nur durch die Gewaltenteilung innerhalb des Staates. Erst und vor allem durch die gesellschaftliche Gewaltenteilung oder gesellschaftliche Arbeitsteilung – die Sozialtheoretiker reden von funktionaler Ausdifferenzierung der Gesellschaft – wird diese Begrenzung im Alltag der Menschen wirksam: durch das freie, dezentrale und individuelle Handeln von Millionen von Menschen im Privatrechtsverkehr. Nur so kann verhindert werden, dass Politik und Staat despotische Formen annehmen.

Es war das europäische Bürgertum, das in der Neuzeit durch dieses millionenfache dezentrale Handeln im Privatrechtsverkehr Schritt für Schritt die gesellschaftliche Gegenmacht gegen einen allmächtigen, absolutistischen Staat aufgebaut und eine Verfassung der Freiheit durchgesetzt hat. Deshalb stehen am Anfang der Europäischen Einigungsbewegung nach dem zweiten Weltkrieg die vier europäischen Grundfreiheiten in den Römischen Verträgen (der freie Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen).

Vom Primat der europäischen Regierungen steht da nichts. Und von einer europäischen Wirtschaftsregierung steht da erst recht nichts.

Das vereinte Europa ist von seinen Gründungsvätern als ein Hort der Freiheit gegen alle Formen von Diktatur, Unfreiheit und Planwirtschaft erträumt worden. Doch das heutige Europa ist durch die Einheitswährung auf den Weg in die geld- und wirtschaftspolitische Planwirtschaft und den politischen Zentralismus geraten.