Die Europäische Kommission will Investitionen an den europäischen Kapitalmärkten fördern und hat dafür am Mittwoch eine Strategie vorgestellt. Diese firmiert als „Spar- und Investitionsunion“ (SIU). Demnach sollen EU-Bürger, aber auch europäische Unternehmen einen breiteren Zugang zu den Kapitalmärkten erhalten.
EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen spricht in einem aktuellen Statement von einem „doppelten Gewinn“: „Haushalte werden mehr und sicherere Möglichkeiten haben, in Kapitalmärkte zu investieren und ihren Wohlstand zu steigern. Gleichzeitig werden die Unternehmen leichteren Zugang zu Kapital haben, um innovativ zu sein, zu wachsen und gute Arbeitsplätze in Europa zu schaffen.“
Die SIU soll ein „Finanzierungsökosystem“ schaffen, das auch strategische Ziele der EU fördern soll. Im Blick der Kommission stehen dabei Herausforderungen durch den Klimawandel, technologische Disruption und geopolitische Entwicklungen.
750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr – plus Verteidigung
Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi hatte im vergangenen September berechnet, dass Europa 750 bis 800 Milliarden Euro jährlicher Investitionen benötigen würde, um sich global wettbewerbsfähig aufzustellen. Zu dieser Summe kommen nun noch die Kosten für neue Verteidigungsbedürfnisse hinzu, erinnert die Kommission.
Ein Großteil der Investments soll in kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fließen – und ebenso in besonders innovative Unternehmen, die sich nicht auf eine reine Bankenfinanzierung verlassen könnten. „Durch die Entwicklung integrierter Kapitalmärkte – neben einem integrierten Bankensystem – kann die SIU Spar- und Investitionsbedürfnisse effektiv verbinden“, malt sich die Kommission aus.
Die Voraussetzungen, um das ambitioniert gesteckte Ziel auch zu erreichen, sieht man in Brüssel für gegeben an: Die EU verfüge über gut gerüstete Arbeitnehmer, innovative Unternehmen und hohe private Ersparnisse. Rund 10 Billionen Euro schlummerten auf europäischen Bankkonten – Mittel, die sehr gut und zu aller Seiten Nutzen in die Kapitalmärkte fließen könnten. Sie würden dort auch eine höhere Rendite abwerfen.
Unternehmen könnten ihren Arbeitnehmern höhere Gehälter zahlen. Ebenso würden die Investitionen das Wirtschaftswachstum ankurbeln – gerade in den strategisch wichtigen Zukunftstechnologien, der Dekarbonisierung und im Bereich Sicherheit.
Ihren Plan fasst die Kommission in vier Punkten zusammen:
Bürger und Ersparnisse: Kleinanleger sollen zusätzlich zu Bankeinlagen mehr Möglichkeiten erhalten, ihre Ersparnisse in renditestarke Kapitalmarktinstrumente zu investieren, besonders für die Altersvorsorge.
Investition und Finanzierung: Die Kommission plant Initiativen, um Kapital für alle Unternehmen, darunter auch kleinere, verfügbar zu machen. So will sie Investitionen in strategisch wichtige Sektoren ankurbeln.
Integration und Skalierung: Regulatorische und aufsichtsrechtlicher Hürden sollen niedriger werden, um das grenzüberschreitende Wirtschaften zu erleichtern.
Effiziente Aufsicht im Binnenmarkt: Finanzmarktteilnehmer aller EU-Länder sollen gleich behandelt werden. Die Kompetenzen zwischen nationalen Aufsichten und der Aufsicht auf EU-Ebene sollen neu verteilt werden.
Gleichzeitig möchte die EU-Kommission auch die europäischen Banken enger miteinander verzahnen. Die Kommission will sich dazu das Bankensystem im EU-Binnenmarkt näher ansehen und seine Wettbewerbssituation einschätzen.
Um die Maßnahmen auf Ebene der Gesetzgebung und anderweitig voranzutreiben, sollen EU-Institutionen, Mitgliedstaaten und Interessengruppen zusammenarbeiten, fordert die Kommission. Konkrete Vorhaben sollen auf Länderebene entwickelt werden. Besonders wirkungsmächtige Vorhaben sollten dabei zunächst Priorität haben. In gut zwei Jahren will die Kommission die Fortschritte evaluieren.
SIU: Reaktionen aus der Branche
Auf die Vorschläge der EU-Kommission reagiert der deutsche Fondsverband BVI erfreut: „Wir unterstützen die Stoßrichtung der Spar- und Investitionsunion". Es sei "die Aufgabe von Asset Managern, Angebot und Nachfrage von Kapital grenzüberschreitend zusammenzubringen“, sagt – nicht ganz uneigennützig mit Blick auf die vertretenen Fondsgesellschaften – Hauptgeschäftsführer Thomas Richter.
Offenbar stößt sich der Verband allerdings an der angepeilten Neuverteilung von Aufsichtskompetenzen: Eine EU-weite Aufsicht über Fonds durch die europäische Esma sei weniger zielführend, als diese Aufgabe den nationalen Aufsichten zu überlassen. Denn diese würden ihre Märkte besser kennen. Der BVI kommt auch mit einem Produktvorschlag um die Ecke: Es müsste eine „EU-Indexfamilie“ aufgelegt werden, die alle börsennotierten Unternehmen innerhalb der EU umfasse, so Richter.
Eher kritisch äußert sich der GDV: An dem Plan an sich hat der Versichererverband nichts auszusetzen, doch bleibe die EU-Kommission „deutlich hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück“. Der GDV verweist auf die Rolle der von ihm vertretenen Versicherungsunternehmen: Gerade Versicherungen als institutionelle Investoren könnten den europäischen Investitionsstau wirksam bekämpfen.
Doch statt der über 1,9 Billionen Euro, die Versicherer schon heute in Straßen, Energieversorgung, Unternehmen und öffentliche Haushalte steckten, könnten es noch viel mehr sein – wenn die Solvency-II-Regeln sie nicht zwingen würden, Kapital für Extremsituationen zurückzuhalten. Auch solle das auf EU-Ebene ersonnene europäische Altersvorsorgevehikel PEPP (Pan European Pension Product), das vom Markt bislang kaum angenommen wird, reformiert werden, findet der GDV.
Vor allem Lob kommt hingegen von der Fondsgesellschaft Vanguard: Die Initiative habe das „Potenzial, die Investmentkultur in Europa zu verändern und bessere Ergebnisse für Privatanleger zu erzielen“. Weiter heißt es: „Vanguard unterstützt insbesondere die Idee der europäischen Spar- und Anlagekonten, die es den Menschen in der gesamten EU ermöglichen, von den besten Steueranreizen für Kleinanleger zu profitieren.“
In Ländern wie Schweden, Dänemark, Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA hätten entsprechende Steueranreize bereits Wirkung gezeigt. „Wir sind entschlossen, die Initiative zur Spar- und Investitionsunion zu unterstützen, und freuen uns darauf, mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten“, stellt – ebenfalls nicht ganz uneigennützig – der Fondsanbieter Vanguard in Aussicht.
Eine kritische Stimme kommt aus dem EU-Parlament. Der EVP-Abgeordnete Markus Ferber findet: Die EU-Kommission präsentiere statt eines großen Wurfs „viele kleine Trippelschritte“. Die Stoßrichtung der SIU sei zwar richtig, denn Europa brauche in der Tat Milliardeninvestitionen, um seine Klimaziele zu erreichen. Diese müssten auch größtenteils von privaten Investoren kommen. Integrierte Kapitalmärkte seien dabei unverzichtbar.
Jedoch trete die EU bereits beim Projekt, eine EU-weite Kapitalmarktunion zu bilden, seit zehn Jahren auf der Stelle. Eine Kritik, die auch der Fondsverband BVI äußert. Mit der SIU bekomme das Projekt nun einfach einen neuen Namen, so Ferber.
Und was ist mit der Kapitalmarktunion?
Wie sich die SIU-Strategie von der seit 2014 verfolgten Kapitalmarktunion abgrenzt, hat die EU-Kommission vorausschauend in einem aktuellen Q&A zum Thema beantwortet: Die SIU betrachte nicht gesondert die Kapitalmärkte, sondern beziehe auch Banken ein. Auch der Fokus auf Kleinanleger sei neu. Ebenso nehme die SIU im Gegensatz zum allgemeinen Ziel einer EU-weiten Kapitalmarktunion konkrete strategische Ziele der EU ins Visier. Diese sollen mit dem anzulegenden Geld gefördert werden.