ESG und Haftungsrisiken Droht ein Green-Bond-Gate?

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Kapitalanleger-Musterverfahrengesetz ermöglicht Massenklagen - auch bei Green Bonds?

Grundsätzlich ist der deutsche Zivilprozess davon geprägt, dass sich zwei Parteien gegenüberstehen. Hiervon macht das 2005 in Kraft getretene Kapitalanleger-Musterverfahrengesetz (KapMuG) eine Ausnahme. Es ermöglicht eine „Bündelung“ von Parallelverfahren und deren einheitliche Entscheidung im Musterverfahren. Sinn und Zweck des Gesetzes besteht darin, ein Instrument zur Bewältigung von Massenklagen im Bereich des Kapitalmarktrechts zu schaffen. Anlass zur Schaffung des KapMuG boten rund 17.000 gleichgelagerte Einzelverfahren von Einzelpersonen als Aktionäre gegen ein Telekommunikationsunternehmen. Inhaltlich forderten die Aktionäre Schadensersatz wegen falscher Angaben in einem Verkaufsprospekt.

Das Gesetz wurde bis zum 31. Dezember 2023 verlängert. Bis zu diesem Zeitpunkt soll die Tauglichkeit des Verfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der Musterfeststellungsklage, evaluiert werden. Von der Musterfeststellungsklage haben bereits im Jahr 2018 über 240.000 Verbraucher im Rahmen des sogenannten Dieselskandals Gebrauch gemacht.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bleibt abzuwarten, welche Bedeutung dem KapMuG für mögliche ESG-Massenklagen zukommen wird. Ob das Klageverfahren nach dem KapMuG neben der im folgenden thematisierten EU-Verbandsklage Bestand haben wird, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Finanzdienstleistungsinstituten drohen durch die bis zum Jahr 2023 in nationales Recht umzusetzende Verbandsklagerichtlinie eine Vielzahl von Klagen durch sogenannte Qualifizierte Einrichtungen. Auslöser für die Rechtsstreitigkeiten könnten enttäuschte Erwartungen von Verbrauchern oder mangelhafte Informationen über Green Investments sein, zum Beispiel Green Bonds.

Die Verbandsklagenrichtlinie, die bis Dezember 2022 in deutsches Recht umgesetzt werden muss, ist der nächste Schritt zur Fortentwicklung des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland. Anhand des Koalitionsvertrags erscheint eine verbraucherfreundliche Umsetzung mit tendenziell umfassenderen Verbraucherrechten wahrscheinlich.

ESG: Marktpotenzial versus Haftungsrisiken

ESG bietet für die Finanzbranche ein enormes Marktpotenzial. Ökologisch nachhaltiges und sozial verträgliches Investment ist für zahlreiche Anlegerinnen und Anleger ein wesentliches Kriterium bei der Wahl eines Finanzdienstleisters. Wegen der mit einem möglichen Greenwashing-Vorwurf verbunden Klagerisiken tun Banken und Investmentfonds allerdings gut daran, sich beizeiten zu wappnen: sowohl präventiv durch die Entwicklung tiefgreifender Compliance-Mechanismen, als auch reaktiv durch die frühe Entwicklung von prozessualen Verteidigungslinien gegen drohende Klagen.

Die europäischen Institutionen sind dabei, einen umfassenden Nachhaltigkeitsrechtsrahmen zu entwickeln. Die Vermehrung von Vorschriften kann zu einer Vermehrung von Ansätzen für Klagen führen. Zudem ist auch durch die breite Verfügbarkeit von Informationen, welche die Unternehmen im Zuge ihrer Berichtspflichten bereitstellen müssen, eine weitere Flanke für mögliche Schadensersatzansprüche geschaffen worden.

Der europäische und der nationale Gesetzgeber haben die Rahmenbedingungen für etwaige Massenklagen geschaffen. Wenn in Zukunft Kläger diese Rahmenbedingungen im großen Umfang für sich nutzen, so droht mehr als ein einfaches Reputationsrisiko – es droht ein Green-Bond-Gate.


Über die Autoren:

Isabelle Knoché ist Rechtsanwältin bei KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft.

Dennis Rabbe ist Rechtsanwalt bei KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft.

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