Jetzt kommen wir an einen Zeitpunkt, an dem wir Zweitrundeneffekte haben, die es so bislang noch nicht gab. Um die Inflationsrate wieder unter 2 Prozent zu drücken, muss entweder das Angebot ausgebreitet werden, was aktuell schwer möglich ist, oder die Nachfrage reduziert werden. Dies bedeutet für den Konsumenten, dass er sein Verhalten anpassen muss. Sollten in den demnächst anstehenden Gehaltsverhandlungen die aktuell hohen Inflationstraten eins zu eins in Gehaltssteigerungen übergehen, kann dies zu weiter steigenden Preisen bei Konsumgütern führen und wir könnten in eine Lohn- Preisspirale geraten.
Was würde das konkret bedeuten?
Lange: Inflation hat etwas mit Umlaufgeschwindigkeit zu tun. Meint der Konsument, in einem inflationären Umfeld zu sein, verhält er sich inflationär. Ein Kühlschrank wird sofort gekauft, weil die Angst da ist, dass dasselbe Gerät in einem Jahr teurer ist. Das führt zu einer erhöhten Nachfrage, die zu einem erhöhten Preis führt. An dem Punkt sind wir bald. Die Fed hat die Zinsen angezogen. Die Hypothekenzinsen sind seit vergangenem Jahr auch in Europa von knapp einem auf 2,5 Prozent gestiegen. Das führt dazu, dass die Nachfrage sich verringern könnte.
Trauen Sie Frau Lagarde zu, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen?
Lange: Ich möchte im Moment nicht mit ihr tauschen. Man hat es in der Vergangenheit einfach übertrieben und nun steckt die EZB in einer Zwickmühle. Auf Grund der Coronapandemie sind die Staatsschulden angestiegen, hinzu kommt der Zeitenwandel, und wir – zumindest in Europa - müssen schauen, wie wir unseren Energiebedarf decken.
Das wiederum wird zu erhöhten Kosten führen. Dazu kommen höhere Militärausgaben. Jetzt die Zinsen zu erhöhen, belastet die Staaten ebenfalls. Wir haben gerade eine sehr komplizierte und schwierige Gemengelage.
Machen Sie sich deshalb Sorgen um Europa?
Lange: Ich denke, dass man sein Kapital international gut diversifizieren sollte.
Würden Sie einen Ausblick wagen, wo wir in fünf Jahren stehen?
Lange: Das inflationäre Umfeld und das hohe Inflationsniveau werden sich noch mindestens zwei Jahre fortsetzen. Dann gibt es hoffentlich einen gegenteiligen Prozess: Die Produktion in Fabriken wird hochgefahren, Flüssiggasterminals werden gebaut und dann werden die Preise voraussichtlich wieder sinken. In den nächsten zwei bis zweieinhalb Jahren rechne ich mit einem Inflationsniveau weit oberhalb des Zielpfads, nämlich zwischen 3 und 5 Prozent.