ESG ist in der Prozessfinanzierung spätestens seit dem Dieselgate in aller Munde und Klima-klagen seit der Klage eines Bauers und Bergführers aus den peruanischen Anden gegen den deutschen Energieversorger RWE aus der Rechtsrealität nicht mehr wegzudenken. Auch Vermögensverwalter, Broker und Finanzdienstleister nehmen ökologische und soziale Kriterien sowie die daraus resultierenden Aspekte der Corporate Governance zunehmend unter die Lupe.
ESG-Verstöße werden härter geahndet
Es zeichnet sich der Trend ab, dass Unternehmen für ESG-Verstöße in den nächsten Jahren zunehmend zur Verantwortung gezogen werden. Dies wird konkrete Auswirkungen auf die Gewinne von Unternehmen sowie die Werthaltigkeit von Investments haben. Schon jetzt werden private Unternehmen mit Klimaklagen überzogen.
In Zukunft ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen, dies etwa vor dem Hintergrund, dass die EU derzeit einen Vorschlag der Kommission diskutiert, der die Rechte von Verbrauchern mit Blick auf Greenwashing stärken soll. Prozessfinanzierer, deren Geschäftstätigkeit darin besteht, in Gerichts- oder Schiedsverfahren zu investieren, erhalten vermehrt Anfragen aus dem ESG-Bereich.
Denn aktivistische Anleger, die ihre Aufgabe auch darin sehen, die von ihnen in Form von Aktien gehaltenen Unternehmen zu kontrollieren und notfalls zur Rechenschaft zu ziehen, sowie Verbraucher- oder Umweltschutzorganisationen, nehmen immer mehr Einfluss auf die öffentliche Diskussion. Sie sind zunehmend gewillt, ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen, aber sind hierfür häufig auf Drittmittel angewiesen.
ESG in der Prozessführung
ESG spielt schon seit Anfang des letzten Jahrzehnts eine wesentliche Rolle in Gerichtsverfahren. Obwohl zunächst in erster Linie Klagen gegen staatliche Akteure erhoben wurden, hat sich dies inzwischen auch auf die Privatwirtschaft ausgeweitet, sodass auch immer mehr Unternehmen bis hin zu global tätigen Konzernen Ziel solcher Klagen werden.
Spricht man von Klagen gegen private Wirtschaftsunternehmen, so kann man zwei Kategorien von Klagen unterscheiden. Bei der ersten handelt es sich im Wesentlichen um Klagen, die die Unternehmen zwingen sollen, bestimmte Standards einzuhalten oder Handlungen zu unterlassen. Dabei versuchen die klagenden Parteien, die von Gerichten entwickelten Grundsätze in Bezug auf staatliche Beklagte auch auf die privaten anzuwenden und das zum Teil mit Erfolg.
So hat ein Gericht in den Niederlanden in der Sache Urgenda im Jahr 2019 festgestellt, dass die staatliche Pflicht bestehe, Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und insbesondere zur Reduktion von Emissionen zu ergreifen. Diese Grundsätze sind wenige Jahre später in der Sache Milieudefensie/Shell auch auf private Unternehmen ausgeweitet worden. In einer 2021 ergangenen Entscheidung hat das Gericht Shell verurteilt, zukünftige Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Die Rechtsgrundlage bildeten dabei ungeschriebene Verkehrssicherungs- und Sorgfaltspflichten.
Klimaklagen gegen VW, Daimler, BMW und Wintershall Dea
In Deutschland erging 2021 der sogenannte Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts, der das Klimaschutzgesetz teilweise für unzureichend sowie mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte. Daraufhin wurden auch gegen Konzerne in Deutschland sogenannte Klimaklagen erhoben. Die Deutsche Umwelthilfe hat etwa in den Jahren 2021 gegen VW, Daimler, BMW sowie die Wintershall Dea geklagt, jeweils mit dem Ziel, diese zur Reduktion von Emissionen zu verpflichten. Die auf die sogenannte Störerhaftung sowie ein vermeintliches Grundrecht auf Klimaschutz gestützten Klagen wurden erstinstanzlich allesamt abgewiesen.
Ganz so glimpflich ist es jedoch (bislang) nicht für RWE in dem Fall „Andenbauer“ ergangen. Diese Klage fällt unter die zweite Kategorie der Klimaklagen gegen Unternehmen. Denn dort klagt der Kläger auf Feststellung, dass RWE – entsprechend dem Anteil an den globalen CO₂-Emissionen – 0,47 Prozent der Kosten für etwaige Schutzmaßnahmen gegen eine mögliche Überflutung eines Dammes aufgrund der globalen Klimaerwärmung tragen muss. Dieser argumentiert dabei, dass CO₂-Emissionen der Anlagen von RWE den Treibhauseffekt verstärken und sich damit die globalen und lokalen Temperaturen insgesamt erhöhen, was wiederum zum Abschmelzen und zur Instabilität eines flussaufwärts gelegenen Gletschers führt.
Dadurch sieht der Kläger sein Eigentum in Gefahr und will RWE für die Kosten der Errichtung eines Schutzdammes zur Verantwortung ziehen. Nachdem das erstinstanzliche Gericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Beeinträchtigung schon nicht äquivalent und adäquat kausal auf RWE zurückzuführen sei, stellte das Oberlandesgericht Hamm am 30. November 2017 fest, dass es einen zivilrechtlichen Anspruch gegen den Energiekonzern RWE grundsätzlich für möglich hält und entschied, in die Beweisaufnahme zu treten.
Indonesische Fischer klagen gegen Baustoffproduzenten
Mit einer ähnlichen Argumentation gehen derzeit indonesische Fischer, die aufgrund des Anstiegs der Meeresspiegel ihr gesamtes Dorf in das Landesinnere umsiedeln müssen, gegen den Baustoffproduzenten Holcim vor Gerichten in der Schweiz vor. Sie fordern, dass Holcim den Schaden teilweise ersetzt, der ihnen für die Zerstörung von Häusern, Farmen und Infrastruktur entstanden ist. Sie stützen sich dabei unter anderem darauf, dass laut einer Studie Holcim für 0,42 Prozent der weltweit seit 1750 ausgestoßenen Treibhausgase und damit zu diesem Anteil auch für die durch Treibhausgase verursachten Schäden in Indonesien verantwortlich sei.
Klimaklagen werden schon jetzt regelmäßig von Dritten finanziert, beispielsweise von NGOs, Umweltverbänden oder Stiftungen. Das liegt auf der Hand, denn die Kosten eines Verfahrens sind häufig nicht unerheblich, insbesondere wenn es um große Summe geht. Peruanische Andenbauern oder indonesische Fischer können diese nur selten allein stemmen.
Allerdings sind diese Klagen häufig auch zumindest teilweise gesellschaftspolitisch motiviert und wollen vor allem öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen. Die derzeitige Rechtslage stützt die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche indes meist nicht. Die Kläger gehen damit häufig bewusst das Risiko ein, zu unterliegen. Aus diesem Grund sind solche Fälle aus Sicht eines klassischen Prozessfinanzierers auch nicht interessant.
Finanzierung kann bei tatsächlichen Schäden sinnvoll sein
Eine Finanzierung ist sinnvoll, wenn dem potenziellen Kläger ein tatsächlicher Schaden entstanden ist oder aber jedenfalls ein gut zu berechnender Betrag als Kompensation gefordert werden kann. Prozessfinanzierer wollen ihren Mandanten den Zugang zu Rechtsschutz und gleiche Wettbewerbsbedingungen bieten. Die Finanzierung ist nicht nur bei fehlenden finanziellen Mitteln interessant, sondern etwa auch dann, wenn ein strategischer Partner in einer Auseinandersetzung mit einem größenmäßig deutlich überlegenen Kontrahenten benötigt wird.
Für Investoren ist es daher entscheidend, die ESG-Risiken eines Unternehmens und dessen Exposition gegenüber Klimaklagen zu verstehen, um das langfristige Potenzial des Unternehmens in Bezug auf Performance und Finanzstabilität einschätzen zu können. Unternehmen, die eine schlechte Bilanz in Bezug auf andere ESG-Themen aufweisen, könnten erheblichen rechtlichen und damit finanziellen Risiken ausgesetzt sein, die letztendlich den Börsenwert beeinflussen können. Selbst wenn ein Unternehmen sich mit Bezug auf ESG gut aufgestellt sieht, kann es dennoch Ziel einer solchen Klage werden.
Neue Gesetze geben mehr Anklagepunkte
Die Angriffsfläche vergrößert sich durch neue Gesetzesvorhaben, die zum Beispiel das Greenwashing ein-schränken sollen oder Umweltverbänden eine Klageberechtigung geben (Vergleich: Verbandsklagerichtlinie). Abzuwarten bleibt, ob die Gerichte in Deutschland Präzedenzfälle schaffen, die das Risiko erhöhen. Jedenfalls birgt der Verstoß gegen ESG-Kriterien ein konkretes Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Anteilsinhabern, Verbrauchern oder Verbraucher- sowie Umweltschutzverbänden.
Festzuhalten bleibt, dass ESG als zunehmender Trend, nicht nur in der Prozessfinanzierung, eine Vielzahl von Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich bringt. Die Integration von ESG-Kriterien kann nicht nur die Erfolgsaussichten von Unternehmen verbessern, sondern auch langfristige Renditepotenziale steigern. Investoren sind daher gut beraten, die komplexen Aspekte der ESG-Bewertung zu verstehen und mögliche Risiken angemessen zu berücksichtigen.
Über den Autor:
Patrick Rode ist Syndikusrechtsanwalt bei Deminor Litigation Funding und berät Mandanten in Bezug auf die Finanzierung von komplexen wirtschaftlichen Streitigkeiten. Er ist zudem als Rechtsanwalt in Düsseldorf zugelassen und war vor seiner Tätigkeit bei Deminor als Associate bei Latham & Watkins und später als Partner einer mittelständischen Kanzlei tätig.