Ist dieser Fonds nun nachhaltig oder nicht? Für Privatanleger ist das oft schwierig zu beurteilen. Denn gemäß den EU-Richtlinien Mifid II und IDD müssen Finanzberater ihre Kunden zwar nach möglichen Nachhaltigkeitsvorlieben fragen und diese bei Produktvorschlägen berücksichtigen. Woran Nachhaltigkeit aber überhaupt bemessen werden soll, ist auf EU-Ebene mehr als kompliziert geregelt: So müssen Berater ihren Kunden, wenn diese am Thema interessiert sind, zunächst die europäische Nachhaltigkeitssystematik erklären. Sie müssen zuerst erläutern, was die Taxonomie-Verordnung ist, wie die Offenlegungsverordnung (SFDR) funktioniert und was die sogenannten PAIS, „Wichtigste nachhaltige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren“, sind – woraufhin sich die Kunden einen Mix nachhaltiger Anlagen nach diesen drei Maßstäben zusammenstellen lassen können.
Der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung möchte das vereinfachen. Dafür hat das Beratungsgremium jetzt einen Vorschlag erarbeitet. In einer jüngst veröffentlichten „Abschlussempfehlung“ schlagen die Mitglieder der Arbeitsgruppe ESG-Skala (ESG = ökologisch, sozial Governance) vor, eine stufenweise Skala einzuführen. Diese soll in sechs Stufen, von A (sehr nachhaltig) bis F (Nachhaltigkeit nicht berücksichtigt), zeigen, wo ein Finanzprodukt steht.
Die rechtlichen Grundlagen dafür sollten am besten in die europäische Priips-Verordnung aufgenommen werden, raten die Experten. Priips regelt, wie die Produktinformationsblätter zu verpackten Anlageprodukten wie Fonds, Zertifikaten und Fondspolicen auszusehen haben. Das soll die Produkte miteinander vergleichbarer machen. In diese Priips-Blätter auch noch die Nachhaltigkeitsskala aufzunehmen, hält der Beirat daher für sinnvoll. Dabei sollte der aktuell vorgeschriebene schlanke Umfang von drei Seiten möglichst beibehalten werden. Maximal solle noch eine vierte Seite hinzukommen.
Um ein Finanzprodukt auf eine Stufe der ESG-Skala einordnen zu können, sollte der Anteil an ökologisch nachhaltigen Investments gemäß Taxonomie und ebenfalls der Anteil nachhaltiger Investments nach Offenlegungsverordnung im Portfolio gemessen werden. Der Beirat fordert, diese Quoten auf einheitliche Weise zu ermitteln – woran es aktuell bei den Produktgebern noch hapert.
Da die Quoten nachhaltiger Investitionen noch nicht einheitlich berechnet werden, solle die Einordnung in die ESG-Skala am besten anhand „qualitativer Merkmale“ erfolgen, regt der Beirat an.
Die Experten definieren diese sechs Stufen:
- A: Hohe Quote an ökologisch nachhaltigen Investitionen (gemäß EU-Taxonomie) und/oder nachhaltigen Investitionen (gemäß SFDR) sowie Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen (PAI)
- B: Mittlere Quote an ökologisch nachhaltigen Investitionen (gemäß EU-Taxonomie) und/oder nachhaltigen Investitionen (gemäß SFDR) sowie Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen (PAI)
- C: Niedrige Quote an ökologisch nachhaltigen Investitionen (gemäß EU-Taxonomie) und/oder nachhaltigen Investitionen (gemäß SFDR)
- D: Produkt, das die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt
- E: Produkt folgt einer ESG-Strategie beziehungsweise stellt Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken sicher, erfüllt aber nicht die Kriterien für den ESG-Zielmarkt nach Mifid II/IDD
- F: Non-ESG beziehungsweise keine Angaben/Daten oder als nicht-nachhaltig deklariertes Produkt
Zuordnen zu einer der Stufen sollen die Emittenten ihre Finanzprodukte selbst, einmal im Jahr sollen Wirtschaftsprüfer die Angaben kontrollieren, regen die Experten des Sustainable-Finance-Beirats an. Zudem sollten auch die Emittenten ihre Einstufung jährlich erneut überprüfen.
Idee kam im Feldversuch gut an
Der Sustainable-Finance-Beirat hat gemeinsam mit der Universität Kassel auch schon einen Feldversuch unternommen, um die Idee in der Praxis zu testen. Dabei wurden 403 Bankkunden und Anleger befragt. Fazit: „Die ESG-Skala wird mehrheitlich als verständlich und hilfreich wahrgenommen.“ Kunden würden eher einer ESG-Skala vertrauen, die auf EU- oder nationaler Ebene erarbeitet wurde als einer von privaten Anbietern. Die Umfrage ergab auch: Wer sich besser bei Finanzen auskennt, der kann einer Einordnung per Skala tendenziell auch mehr abgewinnen. Kunden würden eine Skala entweder in Balken- oder in Ampelform bevorzugen.
Auch von Finanzberaterseite holte sich der Beirat ein Urteil ein. Dieser Praxis-Check geschah in Kooperation mit der Universität Augsburg. „Der Praxis-Check mit der Vertriebsseite hat gezeigt, dass die ESG-Skala auch von Beraterinnen und Beratern, sowie Produktmanagerinnen und Produktmanagern grundsätzlich positiv wahrgenommen wird“, heißt es darüber in der Abschlussempfehlung.
Die befragten Berater hätten die Skala als guten Einstieg empfunden. Nach diesem Auftakt sollten Kunden allerdings noch weiterführende Informationen erhalten. Als Vorteile betrachten die Berater: Das Produktuniversum lass sich mithilfe einer Skala gut filtern, auch die Kundenpräferenzen ließen sich auf dieser Basis gut dokumentieren. Ebenso eigne sich die Skala auch für den Online-Beratungsprozess. Einzig im beratungsfreien Geschäft empfinden Berater sie tendenziell als unwichtiger: Dort wählten Kunden die Produkte eher nach eigenen Maßstäben aus, vermuteten viele.
Als wichtig erachten es die Autoren der Empfehlungen, dass eine etwaige ESG-Skala sich in die bestehende Regulierung einfüge. Sie sollte keinesfalls noch zusätzliche Bürokratie verursachen, fordern die Experten.
Lob für den Vorschlag kam bereits vom Bundesverband Finanzdienstleistung AfW: Eine übersichtliche und schnell verständliche Skala würde im aktuell sehr komplizierten Beratungsprozess beim Thema Nachhaltigkeit „einen erheblichen Fortschritt bringen“, findet AfW-Vorstand Norman Wirth.
Idee der Stufen-Kennzeichnung nicht neu
Das Prinzip, das der ESG-Skala des Beirats zugrunde liegt, ist nicht neu. Schon in der Vergangenheit war in Deutschland die Idee aufgekommen, den Grad der Nachhaltigkeit von Fonds und Co. auf leicht verständliche Art zu visualisieren. Die Bundesregierung hatte bereits 2021 in ihrer Sustainable-Finance-Strategie eine Nachhaltigkeits-Ampel ins Spiel gebracht.
Ein Ampelsystem zur Produktkennzeichnung gibt es auch bei Lebensmitteln. Hersteller können seit 2020 einen Nutriscore auf die Verpackung von Lebensmitteln drucken, der deren Nährwert erkennen lässt. Pflicht ist die Kennzeichnung dort allerdings nicht.
Die jetzt vorgelegten Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats kommen gerade rechtzeitig, um potenziell noch in die kommende EU-Kleinanlegerstrategie Einzug zu halten. Die EU-Kommission hatte im vergangenen Jahr einen Vorschlag über diverse Gesetzesänderungen im Sinne des Anlegerschutzes vorgelegt. Der Vorschlag wird aktuell von EU-Parlament und dem Rat der EU begutachtet. Am Ende müssen sich alle drei Trilogpartner auf einer Endfassung der Kleinanlegerstrategie verständigen.
Das macht der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung
Das Beratungsgremium Sustainable-Finance-Beirat entstand auf Initiative der vergangenen Bundesregierung der Großen Koalition. Die Ampelregierung setzt die Zusammenarbeit mit den Experten nun fort. Der Beirat hat 34 Mitglieder, die in der Realwirtschaft, Finanzwirtschaft oder Wissenschaft tätig sind oder sich zivilgesellschaftlich engagieren. Vorsitzende ist seit 2020 Silke Stremlau. Stremlau ist gleichzeitig Aufsichtsrätin der Umweltbank.