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Erneuerbare Energien Das müssen Investoren über die Energiewende-Turbulenzen wissen

Windturbinenteile im Hafen von Ostende, Belgien

Windturbinenteile im Hafen von Ostende, Belgien: Trotz des Anstiegs der Zinssätze und zuletzt hoher Inputkosten sind erneuerbare Energien gemessen an den Stromgestehungskosten nach wie vor sehr konkurrenzfähig. Foto: Imago Images / imagebroker

2023 fiel der gesamte Sektor der Erneuerbaren Energien bei den Anlegern in Ungnade. Jetzt ist es an der Zeit, die strukturellen Veränderungen von den Problemen zu trennen, die sich bei der Hochskalierung einer ganzen Branche zwangsläufig ergeben – und die auch wieder nachlassen dürften.

Die Energiewende geht weiter

Trotz Kriegen, Versorgungsstörungen, Inflation und geopolitischer Unsicherheit steht saubere Energie für die meisten Regierungen nach wie vor ganz oben auf der Agenda – man denke nur an die Zahl der Teilnehmer an der jüngsten UN-Klimakonferenz COP 28 in Dubai. Der Klimawandel ist nicht nur nach wie vor die große globale Herausforderung dieses Jahrhunderts. Die Notwendigkeit für entschlossene Klimaschutzmaßnahmen wird nur noch weiter an Bedeutung gewinnen, da sich das Zeitfenster zum Handeln schließt.

Beim Tempo der Energiewende haben wir (noch) keine Verlangsamung beobachtet. Im Gegenteil: Die Internationale Energieagentur IEA prognostiziert ein weiteres Rekordjahr. Schätzungen zufolge belaufen sich die 2023 neu hinzugekommenen erneuerbaren Kapazitäten auf 440 GW, ein Zuwachs von mehr als 100 GW gegenüber den im Jahr 2022 installierten Kapazitäten – trotz der steigenden Kosten in den meisten Bereichen. Die Produktion von E-Autos vollzieht sich in einem Tempo, das laut der IEA nahe an dem Wert liegt, der für ihr außerordentlich ehrgeiziges Netto-Null Szenario erforderlich ist. Jedes fünfte im Jahr 2022 verkaufte Auto war ein Elektroauto, im Vergleich zu jedem fünfundzwanzigsten nur zwei Jahre zuvor, wie die International Energy Agency (IEA) im ihrem World Energy Outlook vom Oktober 2023 berichtete.

 

Von den Finanzmärkten erhielten saubere Technologien und insbesondere erneuerbare Energien im Jahr 2023 jedoch wenig Unterstützung. Nach mehreren Jahren mit einer guten Performance, die von einer starken regulatorischen Unterstützung getragen wurde, steht der Sektor jetzt unter gesamtwirtschaftlichem, geopolitischem und sektorspezifischem Druck.

Wird der Sektor der erneuerbaren Energien das im Pariser Abkommen anvisierte Ziel erreichen, die erneuerbaren Energiekapazitäten bis 2030 zu verdreifachen? Einfach ausgedrückt: Das wird von der Fähigkeit der Regierungen abhängen, in einem unsicheren wirtschaftlichen Umfeld langfristige Anreize für Investitionen in erneuerbare Energien zu geben.

Rentabilität? Es ist kompliziert

Nach mehreren Jahren der Verbesserung verschlechterte sich die Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien im Großteil des Jahres 2023. Die Stromgestehungskosten für den breit definierten sauberen Energiesektor stiegen von 2020 bis 2023 nach IEA-Angaben um rund 15 bis 25 Prozent, obwohl die Kosten in einigen Segmenten sogar gesunken sind. Der Bau neuer fossiler Kraftwerke ist nach wie vor eine erheblich teurere Alternative. Zudem litten diese Kraftwerke unter Inputkosten-Druck aufgrund der steigenden Gas- und Kohlepreise im Jahr 2022.

Die Rentabilität des erneuerbaren Energiesektors ist heterogen, sowohl nach Technologien als auch nach Regionen. Er wird stärker von der Politik als von der geografischen Lage beeinflusst. Höhere Stromgestehungskosten bedeuten jedoch nicht immer eine geringere Rentabilität, da die höheren Strompreise der installierten Basis bestehender erneuerbarer Energieerzeugungsanlagen zugutekamen.

Die steigenden Zinssätze sind definitiv eine langfristige Veränderung. Doch trotz des steilen Anstiegs der Zinssätze und der hohen Kapitalinvestitionen in dieser Branche waren die Kapitalkosten nur ein Teil der Erklärung für die Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Energien im Jahr 2023. Die Stromgestehungskosten hatten sich bereits vor den Zinserhöhungen verschlechtert. Grund dafür waren die steigenden Inputkosten. Unabhängig davon, ob die allgemeine Inflation als vorübergehendes Phänomen oder langfristiger Trend anzusehen ist, sind die dramatischen Versorgungsstörungen und Engpässe der letzten zwei Jahre hoffentlich nicht die neue Normalität für den Anstieg der Inputkosten. Nach der enormen Belastung von 2022 und Anfang 2023 beginnen die Inputkosten im vierten Quartal 2023 bereits zurückzugehen.

Erneuerbare Energien bleiben konkurrenzfähig

Trotz des Anstiegs der Zinssätze und der heftigen Schwankungen der Inputkosten in den letzten Quartalen sind erneuerbare Energien gemessen an den Stromgestehungskosten nach wie vor sehr konkurrenzfähig. Wir erwarten, dass sich diese Entwicklung mindestens bis 2030 fortsetzt – sowohl aufgrund von technologischen Verbesserungen als auch dank unterstützender Gesetze wie dem Inflation Reduction Act in den USA.

Die verschiedenen Technologien – und viele Teile der Wertschöpfungskette für erneuerbare Energien – zeigten jedoch eine unterschiedliche Widerstandskraft gegenüber Veränderungen der Wirtschaftslage. Entscheidende Faktoren sind u.a. die technologische Positionierung und der Grad der Integration.

Man muss hinter die Durchschnittswerte blicken. Wie bei jeder ausgereiften Industrie gibt es Spitzenreiter und Schlusslichter. Einige saubere Energielösungen kommen aufgrund von technologischen Fortschritten und sinkenden Kosten etwas schneller in Fahrt als andere, zum Beispiel Solarenergie und E-Fahrzeuge. Zu den Schwachpunkten zählen die unzureichenden Investitionen in Stromnetze und Offshore-Windkraftprojekte. Ohne neu konzipierte Netze geht ein Teil der erneuerbaren Wind- und Solarenergie verloren, da sie die Endnutzer nicht erreichen kann. Zudem darf man nicht vergessen, dass die Hälfte des Zubaus aus China stammt. Daher heißt es, sich die Gesamtwachstumszahlen genau anzusehen.

Hohe Wachstumsaussichten können zu Überkapazitäten führen

Insgesamt ist das Wachstumspotenzial gut. Eine Verdoppelung der Effizienz und eine Verdreifachung des Zubaus erneuerbarer Energien sind unbedingte Voraussetzungen, um das 1,5-Grad-Celsius-Szenario des Pariser Abkommens zu erreichen. Die Bewertungsdebatte und die Fragen kreisen zum großen Teil um die Auftrags-Pipeline und darum, welche Technologien dominieren werden. Doch wie bei jeder neuen Technologie – von Eisenbahnen bis zu Dotcom-Unternehmen – können hohe Wachstumsaussichten zu Überinvestitionen und Überkapazitäten führen. Die Anleger sollten diese Technologien und Geschäftsmodelle mit tiefgreifenden traditionellen Methoden analysieren und den Fokus vor allem auf fortgesetzte Wettbewerbsvorteile, die Rentabilität, ein vorhersehbares regulatorisches Umfeld und die Finanzierungsbedingungen richten. Während einige Projekte frühzeitige Cashflows haben, benötigen andere Unternehmen in dem Sektor fast stetige Kapitalerhöhungen, um das in den Aktienbewertungen vorweggenommene erwartete Wachstum beizubehalten. Wenn die Anleger dem Sektor den Rücken kehren, kann das zum Problem werden.

 

Regulierung bleibt der wichtigste langfristige Trend

Heute decken die meisten erneuerbaren Energieprojekte den Analysten zufolge ihre Kapitalkosten mehr als ab. Doch aufgrund der vielen beteiligten Faktoren kann sich das Bild verändern. Wenn Investitionen des Privatsektors Erfolg haben sollen, muss die Regulierung vorhersehbar sein.

In Europa und den USA finden 2024 Parlaments- beziehungsweise Präsidentschaftswahlen statt, bei denen prominente Kandidaten fossile Brennstoffe unterstützen. Europa könnte folglich eine weniger klimaorientierte Haltung einnehmen. Die Geopolitik wird ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. Wie werden Europa und die USA auf die Vorrangstellung Chinas in den Lieferketten für saubere Technologien reagieren? Wie wird sich die im Inflation Reduction Act enthaltene Vorschrift zur Beschaffung in den USA auf den Markt auswirken? Wird Europa den „grünen Protektionismus“ verstärken?

Das Ziel der Behörden ist die Dekarbonisierung der Wirtschaft und die Sicherstellung der Energieversorgungssicherheit zu bezahlbaren Kosten. Dieses „Energie-Trilemma“ ist umso beunruhigender, wenn die Energiepreise hoch sind – was an den jüngsten Zweifeln von Regierungen aufgrund von erfolglosen Auktionen für erneuerbare Energieprojekte abzulesen war. Die Komplexität wird weiter zunehmen, wenn der Anteil erneuerbarer Energien wächst und es möglicherweise zu Konflikten mit der gegenwärtigen zentralisierten, auf „rein wirtschaftlichen Kriterien basierenden“ Funktionsweise der europäischen Strommärkte kommt.  

Fazit: Regierungen sind in der Pflicht

Erneuerbare Energien sind ein sich beschleunigender langfristiger Trend. Das Tempo der Beschleunigung sowie die Widerstandsfähigkeit und Rentabilität der erneuerbaren Energien hängen von der Steuerung ab: Regierungen müssen sich entschlossen für die Energiewende einsetzen. Sie müssen sich gleichzeitig an das schwierigere gesamtwirtschaftliche Umfeld und die zunehmende Dringlichkeit des Klimaproblems anpassen. Die Geopolitik dürfte zu einem wichtigen neuen Faktor in diesem strukturellen „Energie-Trilemma“ werden, da saubere Technologie zu einer neuen Arena für Handelsstrategien und Machtdemonstrationen wird.

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