Erick Muller von Muzinich & Co. „Das ist kein Moment für solche Risiken“

Erick Muller verantwortet die globalen Produkt- und Investmentstrategien bei Muzinich & Co:

Erick Muller verantwortet die globalen Produkt- und Investmentstrategien bei Muzinich & Co: Foto: Muzinich & Co.

private banking magazin: Fangen wir mit dem Elefanten im Raum an: Donald Trump. Wie haben Sie sich auf dieses Szenario vorbereitet?

Muller: Anders als 2016 hatten Investoren und die Märkte diesmal kaum Zeit, sich auf einen Trump-Sieg einzustellen. Die Umfragen vor den Wahlen waren zu knapp, die Lücke im Ergebnis war dann größer als erwartet. Die Marktpreisbildung erfolgte quasi erst nach dem Sieg – ein deutlicher Unterschied zu 2016, als es eine höhere Gewinnwahrscheinlichkeit gab und die Märkte Zeit hatten, Portfolios entsprechend zu strukturieren. Diesmal war alles sehr knapp.

Was bedeutet das konkret?

Muller: Wir haben jetzt weniger Unsicherheit. Wir wissen, wer gewonnen hat, wer den Senat kontrolliert, wer das Repräsentantenhaus hat. Und wir kennen die vier wichtigsten Themen für Trumps Präsidentschaft: Deregulierung, Einwanderung, Zölle und Steuersenkungen. Für jede dieser vier Dimensionen können wir uns fragen: Wie groß wird die Veränderung sein? Können wir das jetzt bewerten? Ist das eine sofortige Änderung oder fangen wir später an? Die Portfolios reagieren entsprechend: höhere Aktienkurse, höhere Anleiherenditen, sehr optimistische Reaktionen an den Kreditmärkten mit sehr engen Spreads. Nehmen wir das Beispiel Deregulierung: Der Markt begrüßt generell die Idee. Die Frage ist nur: Welche Sektoren werden tatsächlich weniger reguliert? Nur Krypto? Das Bankensystem? Wir wissen, dass viele Republikaner sich eine Lockerung der Bankenregulierung wünschen, um mehr Kapital für die Wirtschaft freizusetzen.

„Viele Ökonomen erwarten eine zusätzliche Inflation von 0,7 bis 1,0 Prozentpunkten. Ich wäre überrascht, wenn es mehr als 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte werden.“

Für deutlich mehr Diskussionen sorgen aber Trumps Zollpläne.

Muller: Im Wahlkampf war von pauschalen Zöllen die Rede – 60 Prozent für China, 10 oder 20 Prozent für den Rest. Die Realität sieht bereits anders aus. Die angekündigten Zölle in Höhe von 25 Prozent für Kanada und Mexiko basieren nicht nur auf Handelsaspekten, sondern auch auf Drogen- und Einwanderungspolitik. Es wird also deutlich differenzierter und zielgerichteter als ein simpler Handelsansatz.

Allen Zöllen gemeinsam ist jedoch, dass sie inflationäre Tendenzen haben.

Muller: Wenn Sie Zölle einführen, belasten Sie zwangsläufig jemanden mit Steuern – entweder ausländische Unternehmen beim Import, inländische Verbraucher oder die Händler. Nur: Wie sich die Zölle verteilen werden, ist nicht klar und dürfte je nach Sektor variieren. Viele Ökonomen erwarten eine zusätzliche Inflation von 0,7 bis 1,0 Prozentpunkten. Ich wäre überrascht, wenn es mehr als 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte werden. Das Bruttoinlandsprodukt der USA ist im internationalen Vergleich ja relativ wenig exportabhängig.

 

Andere Fondsmanager sind sich sicher, dass die Zölle so oder so kommen und die Inflation treiben.

Muller: Es ist nicht so simpel. Eine moderate zusätzliche Inflation von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten würde die Fed nicht von weiteren Zinssenkungen abhalten. Es könnte höchstens die Diskussion beeinflussen, wo die Zinsen 2025 landen sollten. Aus diesem Grund würde ich die Diskussion über die inflationären Auswirkungen nicht überbewerten.

Interessieren die Fed diese Diskussionen künftig mehr? Zuletzt beharrte sie auf einem sehr datengetriebenem Ansatz.

Muller: Ja, und das gilt inzwischen für alle großen Zentralbanken. Sie wollen keine Forward Guidance mehr geben. Das Umfeld ist zu unsicher, die Dinge können sich sehr schnell ändern.

„'Whatever it takes' war die Antwort auf eine echte Finanzkrise“

Eine Lehre aus „Whatever it takes“?

Muller: „Whatever it takes“ war die Antwort auf eine echte Finanzkrise. Die EZB war damals die Lösung. Aber heute stehen wir weder vor einer Finanz- noch einer Makro- oder Bankenkrise. Es besteht also keine Notwendigkeit für solche dramatischen Ankündigungen.

Aber apropos: Bei der EZB sehen wir eine interessante Entwicklung: Der Weg zu weiteren Zinssenkungen wird klarer. Der griechische Zentralbankgouverneur sprach kürzlich von 2 Prozent als neuem neutralen Zinssatz. Alle anderen Notenbanker, einschließlich Lagarde, haben dem nicht widersprochen.

Sie sehen also Unterschiede zwischen Europa und den USA?

Muller: In Europa haben wir ein interessantes Paradoxon: Die niedrigere Inflation verbessert das real verfügbare Einkommen, aber der Konsum stagniert. Die europäischen Verbraucher halten sich zurück, obwohl sich das Vertrauen verbessert. Das hat drei Gründe: Erstens die Angst vor höheren Steuern – schauen Sie sich die Haushaltsdebatte hier in Deutschland an. Zweitens der Krieg in der Ukraine. Und drittens wächst die Sorge vor Arbeitslosigkeit, obwohl wir gerade historisch niedrige Arbeitslosenquoten haben.

 

In den USA sieht die Situation an den Arbeitsmärkten anders aus.

Muller: Der US-Arbeitsmarkt hat sich zwar abgekühlt – wir sehen nur noch 100.000 bis 110.000 neue Jobs pro Monat. Die JOLTS-Daten für offene Stellen sind ebenfalls schwächer. Aber die Fed fühlt sich damit wohl, der Druck lässt nach. Die EZB hingegen fokussiert sich ausschließlich auf die Inflation.

Was bedeutet das für Ihre Portfoliostrategie?

Muller: Vor sechs Monaten favorisierten wir das kurze Ende der Zinskurve. Das lange Ende mochten wir nicht – zu Recht, wie die Volatilität zeigt. Jetzt konzentrieren wir uns auf den kurzen bis mittleren Teil. Das lange Ende kann zwar manchmal attraktiv sein, bringt aber viel Volatilität mit sich. Interessanter sind ohnehin die Kreditmärkte, statt Staatsanleihen. Die Unternehmensbilanzen sind gesund, die befürchteten Schocks blieben aus. Bei globalen Hochzinsanleihen sind etwa 7 Prozent Rendite möglich, im Investment Grade 4,5 Prozent. Bei Aktien erwarten wir 5 bis 8 Prozent Rendite im kommenden Jahr, je nach Gewichtung der „Magnificent Seven“. Private Credit könnte sogar 8 bis 10 Prozent bringen. Damit konkurrieren die Kredit- mit den Aktienmärkten.

Sie haben die engen Spreads erwähnt. Wird sich das ändern?

Muller: Die Bewertungen sind sehr eng, das stimmt. 2025 erwarten wir mehr Volatilität bei den Spreads als 2024. Die Kernfrage ist: Wenn sich die Spreads um 30 bis 40 Basispunkte ausweiten, kaufen die Investoren dann nach oder verkaufen sie aus Angst?

„Bei einer Ausfinanzierung von oftmals deutlich über 100 Prozent können und müssen sie ihre Risiken reduzieren“

Haben Sie eine Antwort?

Muller: Ich tippe auf „Buy on Dips“. Die Fundamentaldaten der Unternehmen sind solide. Aus technischer Sicht wird es 2025 am Anleihenmarkt mehr Angebot geben als 2024, aber es ist ein nachfragegetriebenes Angebot. Außerdem ist der Anteil der Spreads an der Gesamtrendite heute viel geringer. Die großen institutionellen Investoren – Versicherungen, Pensionskassen – sind heute viel besser finanziert als vor 2 oder 3 Jahren. Bei einer Ausfinanzierung von oftmals deutlich über 100 Prozent können und müssen sie ihre Risiken reduzieren.

Das heißt?

Muller: Als die Ausfinanzierung bei unter 100 Prozent lag, gingen die Investoren über Aktienanlagen ins Risiko. Nun braucht es dieses Risiko nicht mehr. Mit Anleihen können die Großanleger die Portfoliorisiken reduzieren.

Fängt das größere Angebot am Anleihenmarkt diese Nachfrage nicht auf?

Muller: Es gibt ja weitere Nachfrage: Ein wichtiger Faktor ist der Geldmarkt. Als die EZB im September die Zinsen zum letzten Mal erhöhte, boten Banken noch 4 Prozent für Festgeld. Heute sind es nur noch 1,7 Prozent. Wenn die EZB, wie wir erwarten, zwischen Dezember 2024 und April 2025 die Zinsen senkt, könnten diese Geldmarktanlagen real negative Renditen bringen. Was passiert also? Die Anleger schichten in Anleihen um. Wir sprechen von Milliarden, die von den Geldmärkten in festverzinsliche Wertpapiere fließen könnten.

 

Wo sehen Sie die größten Risiken?

Muller: Eine Sache, die wir definitiv nicht tun werden, ist Bonds von geringer Qualität nachzujagen, also die niedrigste Kreditqualität zu kaufen, weil sie günstig zu haben ist. Die meisten dieser Unternehmen haben negative Cashflows. Das ist kein Moment für solche Risiken. Die gute Qualität im High-Yield-Bereich bietet mit 250 bis 320 Basispunkten Spread immer noch attraktive Möglichkeiten.

Sie sind also optimistischer für die USA als für Europa?

Muller: Für die USA sind wir grundsätzlich optimistischer. US-Emittenten dürften von der gelockerten Regulierung und niedrigeren Steuern profitieren. Der US-amerikanische Markt für Hochzinsanleihen ist stark von der Inlandsnachfrage geprägt, was dazu beitragen sollte, ihn vor etwaigen Handelsstreitigkeiten zu schützen. Für europäische Anleger ist der heimische Markt attraktiver – die Absicherungskosten für US-Dollar-Investments sind hoch und werden wegen der unterschiedlichen Geldpolitik noch steigen. In Europa blicken wir vor allem auf BB- und starke B-geratete Unternehmen im High-Yield-Bereich.

Was bedeutet das für Anleiheninvestoren insgesamt?

Muller: Die Zeit der extrem niedrigen Volatilität ist definitiv vorbei. Aber genau das schafft auch Chancen für aktive Manager. Wer die Fundamentaldaten im Blick behält und selektiv vorgeht, kann auch in diesem Umfeld gute Renditen erzielen. Auf den globalen Anleihemärkten bieten sich viele Möglichkeiten, da sie breiter gestreut und nach Sektoren differenziert sind. Es ist eigentlich ein sehr guter Zeitpunkt, um in High Yield zu investieren - allerdings braucht man die richtige Strategie. Beispielsweise Long/Short, bei der Sie einen hohen Spread kaufen, sich aber gegen eine mögliche Korrektur absichern können. Die Renditen müssen stimmen, aber auch die Absicherungsmöglichkeiten sind wichtig.


Über den Interviewten:

Erick Muller ist Leiter der globalen Produkt- und Investmentstrategie bei Muzinich & Co. Muller begann seine Karriere im Finanzwesen als Ökonom bei SG Warburg in Frankreich. Anschließend arbeitete er in ähnlicher Position bei HSBC und UBS, später leitete er die Kapitalmarktforschung bei Crédit Agricole CIB und das Produktmanagement für festverzinsliche Wertpapiere bei Fidelity. Im Jahr 2011 wechselte er zu J.P. Morgan und vier Jahre später dann Muzinich & Co.

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