private banking magazin: Fangen wir mit dem Elefanten im Raum an: Donald Trump. Wie haben Sie sich auf dieses Szenario vorbereitet?
Muller: Anders als 2016 hatten Investoren und die Märkte diesmal kaum Zeit, sich auf einen Trump-Sieg einzustellen. Die Umfragen vor den Wahlen waren zu knapp, die Lücke im Ergebnis war dann größer als erwartet. Die Marktpreisbildung erfolgte quasi erst nach dem Sieg – ein deutlicher Unterschied zu 2016, als es eine höhere Gewinnwahrscheinlichkeit gab und die Märkte Zeit hatten, Portfolios entsprechend zu strukturieren. Diesmal war alles sehr knapp.
Was bedeutet das konkret?
Muller: Wir haben jetzt weniger Unsicherheit. Wir wissen, wer gewonnen hat, wer den Senat kontrolliert, wer das Repräsentantenhaus hat. Und wir kennen die vier wichtigsten Themen für Trumps Präsidentschaft: Deregulierung, Einwanderung, Zölle und Steuersenkungen. Für jede dieser vier Dimensionen können wir uns fragen: Wie groß wird die Veränderung sein? Können wir das jetzt bewerten? Ist das eine sofortige Änderung oder fangen wir später an? Die Portfolios reagieren entsprechend: höhere Aktienkurse, höhere Anleiherenditen, sehr optimistische Reaktionen an den Kreditmärkten mit sehr engen Spreads. Nehmen wir das Beispiel Deregulierung: Der Markt begrüßt generell die Idee. Die Frage ist nur: Welche Sektoren werden tatsächlich weniger reguliert? Nur Krypto? Das Bankensystem? Wir wissen, dass viele Republikaner sich eine Lockerung der Bankenregulierung wünschen, um mehr Kapital für die Wirtschaft freizusetzen.
„Viele Ökonomen erwarten eine zusätzliche Inflation von 0,7 bis 1,0 Prozentpunkten. Ich wäre überrascht, wenn es mehr als 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte werden.“
Für deutlich mehr Diskussionen sorgen aber Trumps Zollpläne.
Muller: Im Wahlkampf war von pauschalen Zöllen die Rede – 60 Prozent für China, 10 oder 20 Prozent für den Rest. Die Realität sieht bereits anders aus. Die angekündigten Zölle in Höhe von 25 Prozent für Kanada und Mexiko basieren nicht nur auf Handelsaspekten, sondern auch auf Drogen- und Einwanderungspolitik. Es wird also deutlich differenzierter und zielgerichteter als ein simpler Handelsansatz.
Allen Zöllen gemeinsam ist jedoch, dass sie inflationäre Tendenzen haben.
Muller: Wenn Sie Zölle einführen, belasten Sie zwangsläufig jemanden mit Steuern – entweder ausländische Unternehmen beim Import, inländische Verbraucher oder die Händler. Nur: Wie sich die Zölle verteilen werden, ist nicht klar und dürfte je nach Sektor variieren. Viele Ökonomen erwarten eine zusätzliche Inflation von 0,7 bis 1,0 Prozentpunkten. Ich wäre überrascht, wenn es mehr als 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte werden. Das Bruttoinlandsprodukt der USA ist im internationalen Vergleich ja relativ wenig exportabhängig.
Andere Fondsmanager sind sich sicher, dass die Zölle so oder so kommen und die Inflation treiben.
Muller: Es ist nicht so simpel. Eine moderate zusätzliche Inflation von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten würde die Fed nicht von weiteren Zinssenkungen abhalten. Es könnte höchstens die Diskussion beeinflussen, wo die Zinsen 2025 landen sollten. Aus diesem Grund würde ich die Diskussion über die inflationären Auswirkungen nicht überbewerten.
Interessieren die Fed diese Diskussionen künftig mehr? Zuletzt beharrte sie auf einem sehr datengetriebenem Ansatz.
Muller: Ja, und das gilt inzwischen für alle großen Zentralbanken. Sie wollen keine Forward Guidance mehr geben. Das Umfeld ist zu unsicher, die Dinge können sich sehr schnell ändern.
„'Whatever it takes' war die Antwort auf eine echte Finanzkrise“
Eine Lehre aus „Whatever it takes“?
Muller: „Whatever it takes“ war die Antwort auf eine echte Finanzkrise. Die EZB war damals die Lösung. Aber heute stehen wir weder vor einer Finanz- noch einer Makro- oder Bankenkrise. Es besteht also keine Notwendigkeit für solche dramatischen Ankündigungen.
Aber apropos: Bei der EZB sehen wir eine interessante Entwicklung: Der Weg zu weiteren Zinssenkungen wird klarer. Der griechische Zentralbankgouverneur sprach kürzlich von 2 Prozent als neuem neutralen Zinssatz. Alle anderen Notenbanker, einschließlich Lagarde, haben dem nicht widersprochen.
Sie sehen also Unterschiede zwischen Europa und den USA?
Muller: In Europa haben wir ein interessantes Paradoxon: Die niedrigere Inflation verbessert das real verfügbare Einkommen, aber der Konsum stagniert. Die europäischen Verbraucher halten sich zurück, obwohl sich das Vertrauen verbessert. Das hat drei Gründe: Erstens die Angst vor höheren Steuern – schauen Sie sich die Haushaltsdebatte hier in Deutschland an. Zweitens der Krieg in der Ukraine. Und drittens wächst die Sorge vor Arbeitslosigkeit, obwohl wir gerade historisch niedrige Arbeitslosenquoten haben.
In den USA sieht die Situation an den Arbeitsmärkten anders aus.
Muller: Der US-Arbeitsmarkt hat sich zwar abgekühlt – wir sehen nur noch 100.000 bis 110.000 neue Jobs pro Monat. Die JOLTS-Daten für offene Stellen sind ebenfalls schwächer. Aber die Fed fühlt sich damit wohl, der Druck lässt nach. Die EZB hingegen fokussiert sich ausschließlich auf die Inflation.