Jedes Jahr, so Zahlen des DIW, gibt hierzulande eine Generation ein Vermögen im Gesamtvolumen von durchschnittlich 400 Milliarden Euro an die nächste weiter. Doch nicht immer bekommen die rechtmäßigen Erben auch das Vermögen der Vorgängergeneration. Was sich wie der Stoff für einen Film anhört, geschieht häufiger, als man denkt: Erbschleicherei.
Wie hoch der Schaden durch Erbschleicherei ist, lässt sich nur vermuten. In einem Fall aus der Beratungspraxis kümmerte sich ein Pfleger um eine ältere Dame, die vor ihrem Tod noch zu Hause lebte. Er brachte sie dazu, ihren Hausarzt zu wechseln, sodass nur noch ein mit dem Erbschleicher befreundeter Arzt sie behandelte.
Zudem begann der Pfleger, die Erblasserin zu isolieren, indem er Besuche ihrer Familie abblockte. Nach ihrem Ableben tauchte ein kurz zuvor handschriftlich verfasstes Testament auf, in dem sie den Pfleger zum Alleinerben einsetzte. Die Strategien der Erbschleicher sind stets ähnlich. Sie beginnen damit, Nähe und eine Beziehung zum potenziellen Erblasser aufzubauen. Denn die wenigsten Personen lassen sich ohne ein Vertrauensverhältnis zu einer Vermögenstransaktion bewegen.
Erbschleicher versuchen Kontakt zu unterbinden
Der nächste Schritt ist, Kontakt zu Angehörigen zu unterbinden, da sie als gesetzliche Erben die natürlichen Feinde des Erbschleichers sind. Außerdem erschleichen sich Täter Vollmachten, fälschen Dokumente, manipulieren handschriftliche Testamente, lassen bestehende Testamente verschwinden, erwirken eine Heirat oder Adoption oder arbeiten darauf hin, Schenkungen zu Lebzeiten zu erhalten. Es ist zwar moralisch verwerflich, ältere Menschen so zu beeinflussen, dass ein Testament zu den eigenen Gunsten abgeändert wird.
Aufgrund der grundgesetzlich geschützten Testierfreiheit in Deutschland ist Erbschleicherei – sofern sie nicht rechtswidrig erfolgt, also zum Beispiel Dokumente gefälscht werden – rechtlich jedoch nicht angreifbar. Aus diesem Grund ist es besser, sich im Vorfeld zu schützen.
Dafür gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Der erste Schritt für einen Vermögensinhaber ist, dass er sein Testament frühzeitig und dann errichtet, wenn er im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten ist. Das ist ohnehin sinnvoll, schließlich lassen sich so ganz grundsätzlich Erbstreitigkeiten am besten vermeiden. Eine Selbstbindung des Erblassers ist eine mögliche Strategie vor dem Schutz gegen Erbschleicherei vor dem Erbfall.

Eheleute und eingetragene Lebenspartner können ein gemeinschaftliches Testament oder mit anderen Personen einen Erbvertrag aufsetzen. Stirbt einer der Partner, kann der andere, sofern keine Öffnungsklausel vereinbart wurde, diesen Vertrag nicht mehr ändern, aufheben oder widerrufen. Abweichende letztwillige Verfügungen sind unwirksam. In einen Erbvertrag kann eine Öffnungsklausel mit der Bedingung eingefügt werden, dass der Betroffene seine Testierfähigkeit zuvor gutachterlich prüfen und bestätigen lässt.
Eine weitere Maßnahme ist die amtliche Verwahrung des Testaments beim Nachlassgericht. Missbrauchsgefahr geht auch von Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung aus. Besteht die Sorge vor Fremdeinflüssen, sind vertrauensvolle Personen zu bevollmächtigen – eventuell gemeinschaftlich oder kontrolliert von einem Kontrollbevollmächtigten.
Vermögensinhaber sollten frühzeitig Personen des eigenen Vertrauens Vollmachten erteilen, gegebenenfalls auch unwiderruflich. Diese könnten sie so einrichten, dass sie nur durch den Vollmachtgeber widerrufen werden kann, der eine Vollmacht erteilt hat – und nicht durch andere Bevollmächtigte. Nur dann bestehen Öffnungstatbestände.
Vermögensinhaber können die Vorsorgevollmacht notariell beglaubigen, die Herausgabe durch den Notar an Bedingungen knüpfen oder vereinbaren, dass die Vollmacht unwiderruflich ist und nur durch notarielle Erklärung widerrufen werden kann. Die erhält ein Erbschleicher nicht so leicht wie eine privatschriftliche Vollmacht.
Frühzeitige und offene Gespräche können helfen
Ergänzen lässt sie sich durch Anforderung und Vorlage eines Sachverständigengutachtens über die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers. Eine zusätzliche Vereinbarung kann die Bevollmächtigten eingrenzen. Wenn Vermögensträger ihre Vorsorgevollmacht umsichtig formulieren, können sie dort dem Bevollmächtigten stets unmittelbaren Zugang zum Vollmachtgeber gewähren.
Da Erbschleicher erfahrungsgemäß systematisch den Kontakt des Betroffenen mit seinem Umfeld unterbinden, stellen die Bevollmächtigten so leichter – notfalls gerichtlich – Kontakt wieder her. Inhaber können Vermögen an rechtmäßige Erben zu Lebzeiten übertragen und es mit Nießbrauch, einer Leibrente oder einem Wohnrecht verknüpfen.
Eine Möglichkeit bei einer größeren Erbmasse oder Erblassern ohne Familie: Familiengesellschaften oder Stiftungen. Auch schützt es, wertvolle Gegenstände zu inventarisieren und sie in Bankschließfächern aufzubewahren. Wenn Vermögensinhaber sämtliche Vermögensverhältnisse in einem Vermögensstatus festhalten, können sie ihn frühzeitig mit der Familie teilen. Und zwar ganz praktisch: frühzeitige und offene Gespräche innerhalb der Familie, regelmäßiger Kontakt zum Erblasser. So verhindert eine Familie, dass ein potenzieller Erbschleicher einzige Vertrauensperson wird.
Wenn Vermögensinhaber Vertrauenspersonen einen Wohnungs- oder Hausschlüssel übergeben und ihnen schriftlich einen Mitbesitz an der Immobilie einräumen, dürfen Erbschleicher die Türschlösser nicht austauschen. Eine Vertrauensperson könnte das mit einer einstweiligen Verfügung rückgängig machen.
Beweise rechtzeitig sichern
Auch nach dem Erbfall ist nicht alles verloren. Ansatzpunkte? Testierunfähigkeit, Anfechtung von Testamenten und Sittenwidrigkeit. Das Nachlassgericht stellt hohe Anforderungen an den Nachweis der Testierunfähigkeit. Die Familie sollte Briefe, Unterlagen, Verträge und sonstige Schriftstücke als Nachweis für das Schriftbild sowie für die Unterschrift aufbewahren und rasch nach dem Erbfall mögliche Beweise sichern.
Auch Sittenwidrigkeit ist schwer nachzuweisen. Sie ist bei einer Hochzeit zwischen der betagten Erblasserin und dem viel jüngeren Erbschleicher zu vermuten. Im letzten Schritt können Hinterbliebene die letztwillige Verfügung anfechten, wenn der Erblasser durch Drohung zur Testamentserrichtung veranlasst wurde oder das Testament aufgrund von Täuschung oder eines Irrtums erstellt hat. Die Beweislast obliegt dem Anfechtenden. Und was auch gesagt werden muss: Die Gefahr ist meist ganz nah. Es kommt nämlich oft vor, dass ein Erbschleicher unter den eigenen Verwandten des Erblassers lauert.

Über den Autor:
Maximilian Kleyboldt ist Certified FInancial Planner und gehört seit 2012 dem Vorstand des Financial Planning Standard Board Deutschland an, dem Zertifizierungsverband der Finanzplaner, Generationenberater sowie Estate Planner. Er ist Direktor im Wealth Planning der Bethmann Bank sowie Gründungsmitglied und seit 2009 Vorstand im Netzwerk der Finanz und Erbschaftsplaner.