Verfassungsgericht prüft erneut Erbschaftsteuer auf dem Prüfstand – was auf Vermögensinhaber zukommen könnte

Philipp Weiten (l.) und Jan-Philipp Jansen erläutern mögliche Folgen einer Änderung des Erbschaftssteuergesetzes für Unternehmensnachfolgen.

Philipp Weiten (l.) und Jan-Philipp Jansen erläutern mögliche Folgen einer Änderung des Erbschaftssteuergesetzes für Unternehmensnachfolgen. Foto: Taylor Wessing

Erneut sind beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gleich mehrere Verfahren anhängig, die die Verfassungsmäßigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer zum Gegenstand haben. Wie schon vor den letzten beiden „großen“ Entscheidungen des BVerfG aus den Jahren 2006 und 2014 zur Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) fragen sich Unternehmensinhaber, Family Officer sowie Rechts- und Steuerberater im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge, ob und wie das BVerfG entscheidet – und mit welchen Folgen.

Prognosen zum Ergebnis erweisen sich als Blick in die Glaskugel. Von der Unzulässigkeit der Anträge oder Nichtannahmebeschlüssen, über eine den Steuergesetzgeber bestätigende Entscheidung bis hin zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit sind einige Entscheidungsvarianten denkbar. Dieser Beitrag nimmt die verfahrensrechtlichen Folgen einer gegebenenfalls die Verfassungswidrigkeit bejahenden Entscheidung des BVerfG in den Blick. Was würde passieren, wenn das Gericht die anhängigen Verfahren zum Anlass nimmt, das ErbStG in aktueller Fassung erneut für verfassungswidrig zu erklären?

Aktueller Verfahrensstand

Nachdem für das Jahr 2025 zunächst fünf Verfassungsbeschwerden beim BVerfG mit unmittelbaren Bezug zum ErbStG anhängig waren (Aktenzeichnen (Az.) 1 BvR 1493/21, 1 BvR 804/22 1, 1 BvR 325/23, 1 BvR 1381/24, 1 BvR 1761/24), entschied das BVerfG zum Jahresanfang, dass zwei davon (Az. 1 BvR 1493/21, 1 BvR 325/23) unzulässig seien. Offen bleiben damit noch die Verfahren mit den Az. 1 BvR 804/22 (Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch Überbegünstigung von Unternehmensvermögen im Vergleich zu Privatvermögen), 1 BvR 1381/24 (Besteuerung eines betagten Vermächtnisses aufgrund einer Jastrow‘schen Klausel im Berliner Testament) und 1 BvR 1761/24 (Parkhaus als Verwaltungsvermögen durch Dritten zur Nutzung überlassenes Grundstück). Jedenfalls im erstgenannten Verfahren hat das BVerfG eine Entscheidung für das Jahr 2025 angekündigt.

 

Darüber hinaus hat die Bayerische Staatsregierung ein abstraktes Normenkontrollverfahren am 16. Juni 2023 in Bezug auf das ErbStG beim BVerfG initiiert (Az. 1 BvF 1/23). Mit dem Antrag soll durch eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Weg für eine Erhöhung der persönlichen Freibeträge, Senkung der Steuersätze und eine Regionalisierung der Erbschaftsteuer geöffnet werden.

Denkbare Entscheidungen des BVerfG

Entsprechend wird das aktuelle ErbStG gleich mehrfach einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen. Auch wenn man meinen mag, die Situation sei mit der vor den Entscheidungen des Gerichts zur Verfassungswidrigkeit des damaligen ErbStG in den Jahren 2006 (v. 07.11.2006 – 1 BvL 10/02) und 2014 (v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12) vergleichbar, besteht in den jeweiligen Verfahrensarten ein beachtlicher Unterschied. Die beiden letzten „großen“ Entscheidungen des BVerfG zum ErbStG waren als konkrete Normenkontrolle auf Vorlage des Bundesfinanzhofs (BFH) initiiert worden (Artikel 100 Absatz 1 GG). Im Unterschied zur damaligen Ausgangslage scheint der BFH bisher von der Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Gesetzes auszugehen (vgl. Beschl. v. 17.01.2022 – II B 49/21).

Abstrakte Normenkontrolle der Bayerischen Staatsregierung

Im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle prüft das BVerfG die Vereinbarkeit des ErbStG mit dem Grundgesetz (GG) ganz allgemein und unmittelbar. Kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass ein Verfassungsverstoß vorliegt, hat es die jeweilige Rechtsnorm grundsätzlich für nichtig zu erklären. Zwar bindet der Antragsgegenstand das Gericht im Grundsatz (ne ultra petita). Allerdings gewährt Paragraf 78 Satz 2 BVerfGG dem BVerfG die Möglichkeit, weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes für nichtig zu erklären, wenn sie aus denselben Gründen wie die verfahrensgegenständliche Vorschrift mit dem GG unvereinbar sind.

Relevant werden könnte diese Konstellation auch beim Antrag der Bayerischen Staatsregierung. Während dieser sich scheinbar vor allem auf die Höhe der in Paragraf 16 ErbStG gewährten Freibeträge und die Bewertung von Grundbesitz richtet, könnte das BVerfG dies zum Anlass nehmen, um auch über die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen (Paragraf 13a-13c, Paragraf 28a ErbStG) zu entscheiden.

Verfassungsbeschwerden

Die nun anhängigen Verfassungsbeschwerden sind sogenannte Urteilsverfassungsbeschwerden, die sich gegen Entscheidungen des BFH richten. Wird einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung stattgegeben, hebt das BVerfG grundsätzlich nur die konkrete gerichtliche Entscheidung auf (Paragraf 95 Absatz 2 BVerfGG). Allerdings kann ein Gesetz im Zuge dessen auch für nichtig erklärt werden, wenn die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz „beruht“ (Paragraf 95 Absatz 3 Satz 2 BVerfGG, sogenannte mittelbare Rechtssatzverfassungsbeschwerde). Damit bestünde also auch in diesen Verfahren für das BVerfG verfahrensrechtlich theoretisch die Möglichkeit, über den konkreten Antragsgegenstand hinaus über die Verfassungswidrigkeit des ErbStG umfassend zu entscheiden.

Unvereinbarkeitsbeschluss

In beiden Fällen hat das BVerfG in der Vergangenheit oftmals auf das „scharfe Schwert“ der sofortigen Nichtigkeit eines Gesetzes verzichtet und erklärte es „nur“ für unvereinbar mit dem GG unter Anordnung eines Übergangszeitraumes bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber (sogenannte Unvereinbarkeitsbeschluss mit Fortgeltungsanordnung). Auch in den Entscheidungen zur Verfassungswidrigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer aus 2006 und 2014 tenorierte das BVerfG Unvereinbarkeitserklärungen.

„Im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung“ erklärte das BVerfG 2014 die weitere Anwendbarkeit der verfassungswidrigen Normen des ErbStG. Zugleich betonte das Gericht aber, dass hierin ein Schutz für die Steuerpflichtigen angelegt sei: „Schwer erträglich wäre die Ungewissheit über den Inhalt der künftigen, dann mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils in Kraft zu setzenden Regeln des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts aber vor allem für die Inhaber von Unternehmen und ihre künftigen Erben oder sonstigen Nachfolger.“

Nichtigkeitserklärung

Die Nichtigkeitserklärung führt in der Regel dazu, dass das alte Gesetz bis zum Zeitpunkt der Entscheidung fort-, die Nichtigkeit also ex-nunc wirkt. Das verfassungswidrige Gesetz verliert dann mit der Entscheidung seine Wirkung. Erlässt der Gesetzgeber später ein neues Gesetz, dessen Rückwirkung für einen Zeitraum vor dem Erlass angeordnet wird, steht das unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz des Vertrauensschutzes (Artikel 20 Absatz 3 GG).

Das BVerfG unterscheidet dabei zwischen echter und unechter Rückwirkung. Echte Rückwirkung ist gegeben, wenn das Gesetz an einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt neue Rechtsfolgen knüpft. Bei unechter Rückwirkung ist der Sachverhalt bei Einritt der Rückwirkung noch nicht gänzlich beendet. Erstere ist grundsätzlich unzulässig, letztere nur ausnahmsweise. Da es sich bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer um eine sogenannte Stichtagssteuer handelt, qualifizieren Änderungen nach dem Stichtag (Erbfall oder Schenkung) mit Geltung für den jeweiligen steuerpflichtigen Erwerb als Gesetzesänderung mit echter Rückwirkung (anders bei Ertragsteuern als zeitraumbezogene Steuern).

Gleichwohl erachtet das BVerfG die echte Rückwirkung in bestimmten Fällen für ausnahmsweise zulässig. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn (i) der Bürger mit einer entsprechenden Regelung rechnen musste, insbesondere nach dem Bundestagsbeschluss über das neue Gesetz, (ii) das geltende Recht unklar und verworren war oder (iii) zwingende Gründe des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen. Insbesondere die zweitgenannte Ausnahme scheint für das aktuelle ErbStG prädestiniert zu sein.

 

Fortgeltungsanordnung

Spricht das BVerfG nur die Unvereinbarkeit des Gesetzes aus, hat es in der Vergangenheit meist eine sogenannte Fortgeltungsanordnung des alten (verfassungswidrigen) Rechts getroffen. In seinem Beschluss zum Vermögensteuergesetz (VStG) vom 22. Juni 1995 (Az. 2 BvL 37/91) tenorierte das BVerfG: „Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 1996 zu treffen. Längstens bis zu diesem Zeitpunkt ist das bisherige Recht weiterhin anwendbar.“

Da der Gesetzgeber aber bis heute kein neues VStG geschaffen hat, lief die Vermögensteuer Ende 1996 automatisch aus. Der Tenor des BVerfG-Urteils vom 17. Dezember 2014 unterschied sich hiervon: „Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen.“

Da der Gesetzgeber diese Frist verstreichen ließ und erst am 29. September 2016 der Bundestag und am 14. Oktober 2016 der Bundesrat der Reform letztlich zustimmten – mit Rückwirkung auf den 1. Juli 2016 – stellte sich die Frage, ob das ErbStG am 30. Juni 2016 ausgelaufen und möglicherweise für einen bestimmten Zeitraum (etwa bis zum Beschluss des Bundestages) eine „Erbschaftsteuerpause“ eingetreten sei.

Zuvor ließ das BVerfG am 30. März 2016 durch seinen Pressesprecher, Michael Allmendinger, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „klarstellen“, dass das bisherige ErbStG auch über den 30. Juni 2016 hinaus anzuwenden sei, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor das geforderte Reformgesetz erlasse. Damit galt auch nach dem 30. Juni 2016 zunächst das „alte“ ErbStG, welches dann später durch das „neue“ ErbStG punktuell (zum Beispiel Paragraf 13a folgende ErbStG) und rückwirkend (auf den 1. Juli 2016) ersetzt wurde. Eine daraus resultierende Erbschaftsteuerpause hat der BFH daher – jedenfalls für den Erwerb von Privatvermögen - bisher abgelehnt (Urteil vom 06.05.2021 – II R 1/19).

Fazit und Ausblick

Das Jahr 2025 könnte ein spannendes Jahr für die Erbschaft- und Schenkungsteuer werden. Sofern das BVerfG das aktuelle ErbStG – wohl entgegen der Auffassung des BFH als oberstes Fachgericht – für verfassungswidrig hält, dürfte es im Falle des Ausspruchs der Verfassungswidrigkeit eine Unvereinbarkeit mit einer befristeten Fortgeltung des alten Rechts anordnen. Zwar mag eine Nichtigkeitserklärung des BVerfG und damit der sofortige Wegfall des ErbStG bei Betroffenen Sympathien wecken. Allerdings kann dieser Eindruck schnell täuschen. Denn zu erwarten wäre dann, dass der Gesetzgeber – jedenfalls zum Tag der Entscheidung, wenn nicht sogar darüber hinaus – ein neues Gesetz mit dann noch ungeahnten Regelungen rückwirkend implementiert. Dadurch würde die Unternehmensnachfolge unkalkulierbar.

 

Die Unvereinbarkeitsanordnung gewährt den Betroffenen hingegen eine Übergangszeit, meist ohne Notwendigkeit einer Rückwirkung beziehungsweise wie im Jahr 2016 „nur“ mit Rückwirkung zum Ablauf der vom BVerfG gesetzten Frist. Es kann aber auch hier nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber vor dem Ablauf der Frist bereits ein neues Gesetz mit dann sofortiger Wirkung implementiert oder die Geltung des neuen Gesetzes auf einen beliebigen Zeitpunkt vor oder nach der Entscheidung des BVerfG zurückdatiert.

Dann bliebe Betroffenen nur der verfassungsgerichtliche Rechtsweg aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Während die Rückwirkung aus Sicht des Gesetzgebers bei Nichtigkeit des ErbStG aufgrund fiskalischer Interessen also zwingend wäre, ist die Rückwirkung bei der Unvereinbarkeit optional, gilt doch in der Zwischenzeit das alte Recht fort. So gestaltete sich auch die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zum ErbStG. Für Unternehmensnachfolgen ist dieser Weg vergleichsweise vorteilhaft, da er eine gewisse Planungssicherheit bietet.

Die weiteren Entwicklungen sind sorgfältig zu beobachten. Für Unternehmer, die ihre Nachfolge bislang nicht geregelt haben, besteht aktuell noch die Gelegenheit, die weitreichenden Verschonungsregeln für Betriebsvermögen (Paragraf 13a-13c, Paragraf 28a ErbStG) in Anspruch zu nehmen. Spätestens ab dem Zeitpunkt einer (hypothetischen) die Verfassungswidrigkeit bejahenden Entscheidung des BVerfG bestünde aber ein erhöhtes Risiko, dass der Gesetzgeber die Regelungen (gegebenenfalls auch rückwirkend) verschärft.

Auch wenn der Gesetzgeber in der Vergangenheit Übergangsfristen des BVerfG für eine Neuregelung stets ausgenutzt hat: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Regelungen eines neuen ErbStG bis auf den Tag der Entscheidung zurück bezogen werden. Denn mit einer Veröffentlichung der Entscheidung würde das Vertrauen der Steuerpflichtigen in die Weitergeltung des aktuellen ErbStG beseitigt.


Über die Autoren:

Philipp Weiten ist Rechtsanwalt und Steuerberater. Er arbeitet bei der Kanzlei Taylor Wessing in Düsseldorf im Bereich Private Wealth und berät Familienunternehmen, Unternehmerfamilien sowie hochvermögende Privatpersonen (einschließlich deren Family Offices) insbesondere im Bereich der rechtlichen und steuerlichen Strukturierung des privaten, gemeinnützigen und unternehmerischen Vermögens.

Jan-Philipp Jansen ist Rechtsanwalt und arbeitet ebenfalls bei der Kanzlei Taylor Wessing im Bereich Private Wealth. Er ist auf die steuerliche Beratung von Familienunternehmen, Unternehmerfamilien, Privatpersonen sowie deren Family Offices und von Stiftungen spezialisiert. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in der Konzeption von Steuer- und Nachfolgeplanungen sowie in der Strukturberatung von Transaktionen und Unternehmensreorganisationen.

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