Erneut sind beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gleich mehrere Verfahren anhängig, die die Verfassungsmäßigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer zum Gegenstand haben. Wie schon vor den letzten beiden „großen“ Entscheidungen des BVerfG aus den Jahren 2006 und 2014 zur Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) fragen sich Unternehmensinhaber, Family Officer sowie Rechts- und Steuerberater im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge, ob und wie das BVerfG entscheidet – und mit welchen Folgen.
Prognosen zum Ergebnis erweisen sich als Blick in die Glaskugel. Von der Unzulässigkeit der Anträge oder Nichtannahmebeschlüssen, über eine den Steuergesetzgeber bestätigende Entscheidung bis hin zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit sind einige Entscheidungsvarianten denkbar. Dieser Beitrag nimmt die verfahrensrechtlichen Folgen einer gegebenenfalls die Verfassungswidrigkeit bejahenden Entscheidung des BVerfG in den Blick. Was würde passieren, wenn das Gericht die anhängigen Verfahren zum Anlass nimmt, das ErbStG in aktueller Fassung erneut für verfassungswidrig zu erklären?
Aktueller Verfahrensstand
Nachdem für das Jahr 2025 zunächst fünf Verfassungsbeschwerden beim BVerfG mit unmittelbaren Bezug zum ErbStG anhängig waren (Aktenzeichnen (Az.) 1 BvR 1493/21, 1 BvR 804/22 1, 1 BvR 325/23, 1 BvR 1381/24, 1 BvR 1761/24), entschied das BVerfG zum Jahresanfang, dass zwei davon (Az. 1 BvR 1493/21, 1 BvR 325/23) unzulässig seien. Offen bleiben damit noch die Verfahren mit den Az. 1 BvR 804/22 (Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch Überbegünstigung von Unternehmensvermögen im Vergleich zu Privatvermögen), 1 BvR 1381/24 (Besteuerung eines betagten Vermächtnisses aufgrund einer Jastrow‘schen Klausel im Berliner Testament) und 1 BvR 1761/24 (Parkhaus als Verwaltungsvermögen durch Dritten zur Nutzung überlassenes Grundstück). Jedenfalls im erstgenannten Verfahren hat das BVerfG eine Entscheidung für das Jahr 2025 angekündigt.
Darüber hinaus hat die Bayerische Staatsregierung ein abstraktes Normenkontrollverfahren am 16. Juni 2023 in Bezug auf das ErbStG beim BVerfG initiiert (Az. 1 BvF 1/23). Mit dem Antrag soll durch eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Weg für eine Erhöhung der persönlichen Freibeträge, Senkung der Steuersätze und eine Regionalisierung der Erbschaftsteuer geöffnet werden.
Denkbare Entscheidungen des BVerfG
Entsprechend wird das aktuelle ErbStG gleich mehrfach einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen. Auch wenn man meinen mag, die Situation sei mit der vor den Entscheidungen des Gerichts zur Verfassungswidrigkeit des damaligen ErbStG in den Jahren 2006 (v. 07.11.2006 – 1 BvL 10/02) und 2014 (v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12) vergleichbar, besteht in den jeweiligen Verfahrensarten ein beachtlicher Unterschied. Die beiden letzten „großen“ Entscheidungen des BVerfG zum ErbStG waren als konkrete Normenkontrolle auf Vorlage des Bundesfinanzhofs (BFH) initiiert worden (Artikel 100 Absatz 1 GG). Im Unterschied zur damaligen Ausgangslage scheint der BFH bisher von der Verfassungsmäßigkeit des aktuellen Gesetzes auszugehen (vgl. Beschl. v. 17.01.2022 – II B 49/21).
Abstrakte Normenkontrolle der Bayerischen Staatsregierung
Im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle prüft das BVerfG die Vereinbarkeit des ErbStG mit dem Grundgesetz (GG) ganz allgemein und unmittelbar. Kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass ein Verfassungsverstoß vorliegt, hat es die jeweilige Rechtsnorm grundsätzlich für nichtig zu erklären. Zwar bindet der Antragsgegenstand das Gericht im Grundsatz (ne ultra petita). Allerdings gewährt Paragraf 78 Satz 2 BVerfGG dem BVerfG die Möglichkeit, weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes für nichtig zu erklären, wenn sie aus denselben Gründen wie die verfahrensgegenständliche Vorschrift mit dem GG unvereinbar sind.
Relevant werden könnte diese Konstellation auch beim Antrag der Bayerischen Staatsregierung. Während dieser sich scheinbar vor allem auf die Höhe der in Paragraf 16 ErbStG gewährten Freibeträge und die Bewertung von Grundbesitz richtet, könnte das BVerfG dies zum Anlass nehmen, um auch über die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen (Paragraf 13a-13c, Paragraf 28a ErbStG) zu entscheiden.
Verfassungsbeschwerden
Die nun anhängigen Verfassungsbeschwerden sind sogenannte Urteilsverfassungsbeschwerden, die sich gegen Entscheidungen des BFH richten. Wird einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung stattgegeben, hebt das BVerfG grundsätzlich nur die konkrete gerichtliche Entscheidung auf (Paragraf 95 Absatz 2 BVerfGG). Allerdings kann ein Gesetz im Zuge dessen auch für nichtig erklärt werden, wenn die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz „beruht“ (Paragraf 95 Absatz 3 Satz 2 BVerfGG, sogenannte mittelbare Rechtssatzverfassungsbeschwerde). Damit bestünde also auch in diesen Verfahren für das BVerfG verfahrensrechtlich theoretisch die Möglichkeit, über den konkreten Antragsgegenstand hinaus über die Verfassungswidrigkeit des ErbStG umfassend zu entscheiden.
Unvereinbarkeitsbeschluss
In beiden Fällen hat das BVerfG in der Vergangenheit oftmals auf das „scharfe Schwert“ der sofortigen Nichtigkeit eines Gesetzes verzichtet und erklärte es „nur“ für unvereinbar mit dem GG unter Anordnung eines Übergangszeitraumes bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber (sogenannte Unvereinbarkeitsbeschluss mit Fortgeltungsanordnung). Auch in den Entscheidungen zur Verfassungswidrigkeit der Erbschaft- und Schenkungsteuer aus 2006 und 2014 tenorierte das BVerfG Unvereinbarkeitserklärungen.
„Im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung“ erklärte das BVerfG 2014 die weitere Anwendbarkeit der verfassungswidrigen Normen des ErbStG. Zugleich betonte das Gericht aber, dass hierin ein Schutz für die Steuerpflichtigen angelegt sei: „Schwer erträglich wäre die Ungewissheit über den Inhalt der künftigen, dann mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils in Kraft zu setzenden Regeln des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts aber vor allem für die Inhaber von Unternehmen und ihre künftigen Erben oder sonstigen Nachfolger.“