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Studie zur Energiewende in Europa Dekarbonisierung – wie kann sie sozial gerecht gelingen?

Wohnsiedlung vor dem RWE-Kraftwerk Weisweiler in Nordrhein-Westfalen: Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt stellt die Energiewende die europäischen Stromerzeuger vor eine große Herausforderung.

Wohnsiedlung vor dem RWE-Kraftwerk Weisweiler in Nordrhein-Westfalen: Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt stellt die Energiewende die europäischen Stromerzeuger vor eine große Herausforderung. Foto: xblickwinkel/S.xZiesex /Imago

Die Dekarbonisierung der Wirtschaft gehört zu den großen Zielen, die sich die Europäische Union (EU) bereits vor der Corona-Krise auf die Fahnen geschrieben hat – und an dem sie auch weiterhin festhalten will. Das stellt insbesondere die Energiebranche, aber auch die Politik vor eine große Herausforderung. Schließlich wird es für die Energiewende in Europa erforderlich sein, dass Human-, finanzielle und regulatorische Ressourcen massiv von emissionsstarken in emissionsarme oder völlig neue Bereiche umgeschichtet werden. Unverzichtbar für die Bürgerinnen und Bürger Europas wird eine gerechte Verteilung der Kosten des Übergangs sein.

Unser ESG-Analystenteam hat unter den größten europäischen Stromerzeugern eine Umfrage durchgeführt, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie diese für einen gerechten Übergang sorgen wollen. Darunter verstehen wir einen Rahmen, der sicherstellt, dass die negativen sozialen Auswirkungen für die von der Energiewende zu einer emissionsarmen Wirtschaft betroffenen Arbeitnehmer und Kommunen minimiert und die positiven Effekte maximiert werden können. Zudem haben wir mit Unternehmen, Gewerkschaften, Forschungsinstituten und Verbraucherverbänden Gespräche geführt, um sicherzustellen, dass wir die aus unserer Sicht entscheidende Frage ganzheitlich betrachten können – nämlich: Können wir davon ausgehen, dass niemand zu kurz kommt?

Herausforderung 1: Umgestaltung des Arbeitsmarktes

Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt stellt die Energiewende die europäischen Stromerzeuger vor eine große Herausforderung, denn es arbeiten rund 30 Millionen Menschen in der Branche – und allein in Deutschland sind rund 60.000 Menschen indirekt vom Einsatz von Kraftwerkskohle abhängig. Dabei gibt es aus unserer Sicht zwei wichtige Aspekte zu beachten: Zum einen die auf die Entwicklung neuer Technologien zurückzuführenden Nettoarbeitsplatzschaffung sowie zum anderen ein durchdachter Übergang von künftig wegfallenden hin zu neuen Arbeitsplätzen, was in zweierlei Hinsicht eine Herausforderung darstellt: So gilt es, die benötigten Qualifikationen mit den Umschulungs- und Weiterqualifizierungsmöglichkeiten in Einklang zu bringen, in der  Region neue Arbeitsplätze zu schaffen – und dies zeitlich sinnvoll auf den Weg zu bringen. Denn schließlich müssen neue Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, wenn alte Arbeitsplätze verschwinden – und nicht erst fünf Jahre später.

Herausforderung 2: Sozialverträglicher Umbau bestehender Anlagen

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass Stromversorgungsanlagen oft eine beträchtliche Größe haben und die Kommunen in der Region unmittelbar mit von ihnen verursachten Beeinträchtigungen leben, gleichzeitig aber auch wirtschaftlich von ihnen abhängig sind. Um diesen Zielkonflikt zu lösen, sind heute bei fast allen großen Projekten im Zusammenhang mit Versorgungsunternehmen Bewertungen der Umweltverträglichkeit und der sozialen Verträglichkeit vorgeschrieben. Dazu gehören auch offizielle Anhörungen der Betroffenen im Rahmen des regulatorischen Genehmigungsprozesses.

Stromerzeuger verfolgen unterschiedliche Lösungsansätze

Bei unserem Dialog mit Stromerzeugern in Europa haben wir festgestellt, dass in jeder Region unterschiedliche Aspekte in Betracht gezogen werden müssen und dass es so etwas wie eine Universallösung nicht gibt. So versucht beispielsweise der italienische Energiekonzern Enel, ehemals mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke in Industrieflächen umzuwandeln, damit in den betroffenen Kommunen Arbeitsplätze geschaffen werden. RWE in Deutschland wiederum übernimmt die Kosten des Übergangs von Arbeitskräften gemeinsam mit dem Bund. Und der spanische Energiekonzern Iberdrola gibt bei Dienstleistungen und Ausrüstungen lokalen Anbietern den Vorzug, um in den betroffenen Gebieten indirekt neue Arbeitsplätze zu schaffen. Der an die in Europa verbreitete Akzeptanz von Offshore-Windfarmen gewohnte dänische Energiekonzern Ørsted musste in den USA nicht nur Umweltschutzanstrengungen über lokale Organisationen unternehmen, sondern diese Schutzmaßnahmen auch der kommerziellen Fischerei gegenüber kommunizieren.

Als auf Nachhaltigkeit bedachte Anleger begrüßen und fördern wir Transparenz bei den Stromerzeugern Europas – und auch ihre Meinung dazu, welche Stakeholder in den Prozess des gerechten Übergangs involviert sein sollten. Unsere Aufgabe besteht darin, Unternehmen, Stakeholder und Gemeinschaftsakteure im Auge zu behalten und mit ihnen zu sprechen, um uns ein Verständnis für das gesamte „Ökosystem“ zu verschaffen. Die Relevanz ist unserer Einschätzung nach davon abhängig, in welcher Phase der Entwicklung zu umweltfreundlichen Energietechnologien sich das jeweilige Unternehmen befindet. Sie alle stehen vor mehr oder weniger großen Herausforderungen und entwickeln diesbezügliche Strategien.

Bedingt durch die spezifischen Eigenheiten der einzelnen Unternehmen und die Divergenzen zwischen ihrem Geschäft und den Kommunen, in denen sie tätig sind, empfehlen wir einen auf dem jeweiligen Einzelfall basierenden Ansatz, um zu erfassen, wie sie mit diesen neuen Risiken und Chancen umgehen. Das Thema ist zwar komplex, keine Frage. Gleichwohl bemühen wir uns um weitere Offenlegungen und begrüßen es, wenn Unternehmen in Eigeninitiative Informationen über die von ihnen verfolgten Ansätze für einen gerechten Übergang bereitstellen. Diese Transparenz würde es Anlegern ermöglichen, Risiken und Chancen besser einzuschätzen. In der Rolle, die wir bei der Allokation von Kapital spielen, bieten wir Unternehmen einen Anreiz, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ohne zwangsläufig auf staatliche Interventionen zu warten.

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