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Capital-Group-Investmentstratege im Interview „Ich sehe 5 Trends, die die Energiemärkte im Jahr 2023 bestimmen“

Christophe Braun, Aktienspezialist bei der Capital Group

Christophe Braun, Aktienspezialist bei der Capital Group: Das Wiederanziehen der chinesischen Konjunktur nach den Covid-19-Beschränkungen dürfte die Ölnachfrage auf neue Höchststände treiben. Foto: Capital Group

Herr Braun, bislang sprudelten die Gewinne: Wird die Hausse bei Ölaktien anhalten?

Christophe Braun: Wir sind der Ansicht, dass wir uns in der Anfangsphase einer mehrjährigen Hausse bei Ölaktien befinden. Das bedeutet nicht, dass sich der Energiesektor – angeführt von den Ölaktien – in einer geraden Linie bewegen wird. Neben langen Aufwärtstrends gibt es auch Minizyklen, die teils Monate bis zu einem Jahr oder länger dauern. In ihnen überwiegen kurzfristige Faktoren die längerfristigen Trends von Angebot und Nachfrage. Dennoch sehen wir für die nächsten drei bis fünf Jahre Investitionsmöglichkeiten.

Wo genau?

Braun: Die Wiedereröffnung Chinas und die Aufhebung der dortigen Covid-19-Beschränkungen wird die Ölnachfrage wahrscheinlich auf einen neuen Höchststand treiben, wobei die Internationale Energieagentur einen Anstieg von fast zwei Millionen Barrel pro Tag prognostiziert. Derweil besteht eine strukturelle Angebotsverknappung, die auf jahrelange Unterinvestitionen der Ölgesellschaften in neue Kapazitäten, Produktionskürzungen der OPEC+ und auf sinkende Schiefergasvorräte in den USA zurückzuführen ist. Es wird noch einige Jahre dauern, bis das Angebot mit der Nachfrage Schritt halten kann. Zusammengenommen dürften diese Faktoren die Ölpreise über 70 US-Dollar pro Barrel stützen.

Für Energieaktien besteht also noch Potenzial?

Braun: Die Analyse früherer Bullenmärkte für Energieaktien deutet darauf hin, dass wir uns noch in den Anfängen einer positiven Wertsteigerung des Sektors befinden könnten. Unterstützt durch höhere Energiepreise erwirtschafteten die Unternehmen des Sektors im Jahr 2022 einen rekordverdächtigen geschätzten freien Cashflow von 1,4 Billionen US-Dollar. Die Bewertungen sind in Bezug auf eine Reihe von Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn- sowie das Kurs-Buchwert-Verhältnis weiterhin attraktiv. Und die Widerstandsfähigkeit der Ölaktien angesichts fallender Ölpreise in den vergangenen Monaten deutet darauf hin, dass die Anleger über eine kurzfristige Schwäche des zugrunde liegenden Rohstoffpreises hinwegsehen.

Sie haben den genauen Einblick: Wie sehen die Ausgabenprioritäten der Ölgesellschaften aus? Wie sieht es bei der Kapitaldisziplin aus?

Braun: Das Geschäftsmodell der Branche hat sich weitgehend von einem Schwerpunkt auf hohem Wachstum und Reinvestitionen in die Produktion zu einem Schwerpunkt auf höheren Dividendenausschüttungen und mehr Kapitaldisziplin gewandelt. Dies war eine der deutlichsten Veränderungen, die wir bislang erlebt haben. Und dieser Trend wird sich voraussichtlich fortsetzen. Der rekordverdächtige Cashflow der vergangenen zwölf Monate hat den Ölproduzenten einige der solidesten Bilanzen der Geschichte beschert. Fast 40 Prozent der Führungskräfte der 100 größten Öl- und Gasunternehmen in den USA gaben laut einer Deloitte-Studie aus dem Jahr 2022 an, dass Schuldenabbau und Aktionärsrenditen für sie oberste Priorität bei der Kapitalallokation haben.

Diese erneute Konzentration auf die Aktionärsrenditen ist darauf zurückzuführen, dass die Investoren Kapitaldisziplin fordern. Investoren, die bereit sind, sich jetzt zu engagieren, drängen eher auf Dividenden und Aktienrückkäufe als auf Reinvestitionen zu höheren Preisen. Es wird wahrscheinlich noch zwölf bis 18 Monate dauern, bis die Erzeuger beginnen, in ihre Unternehmen zu reinvestieren, wobei sie weiterhin auf Kapitaldisziplin und Kapitalrendite achten müssen.

Sie haben es angesprochen; die steigenden Explorationskosten sind nicht ohne, oder?

Braun: Ja, die hochwertigeren Ölreserven sind aufgebraucht und die weitere Exploration wird teurer und erfordert mehr Fachwissen, je weiter die Bohrungen vordringen. Den US-amerikanischen Explorations- und Produktionsunternehmen fehlt das Fachwissen für die fortgeschrittene Exploration und um neue Angebote auf den Markt zu bringen, werden sie wahrscheinlich Unternehmen erwerben müssen, die wissen, wie man diese Ölfelder erschließt. Außerdem sind die Kosten für Öldienstleistungen mit der Inflation gestiegen. Die höhere Kostenstruktur wirkt sich auf die gesamte Branche aus, trifft aber vor allem kleinere Unternehmen, die weniger Möglichkeiten zur Personalbeschaffung haben.

 

Unter Berücksichtigung der Angebots- und Nachfragedynamik sind wir der Ansicht, dass 70 US-Dollar pro Barrel Öl eine Untergrenze darstellen, die in den meisten Szenarien Bestand haben dürfte. Unsere Analyse zeigt, dass dies den großen Ölgesellschaften die Aufrechterhaltung ihrer Rentabilität ermöglichen würde, selbst wenn man die Inflation und höhere Produktionskosten berücksichtigt.

Welche Auswirkungen hat eigentlich der Inflation Reduction Act in den USA auf die Energieunternehmen?

Braun: Das Inflationsbekämpfungsgesetz 2022 ist ein bahnbrechender Rechtsakt. Der Gesetzesentwurf stellt 369 Milliarden US-Dollar an Bundesmitteln als Steueranreize für saubere Energie, Darlehen sowie Subventionen für Verbraucher und Unternehmen zur Verfügung, die das Potenzial haben, das Renditeprofil für Investitionen in Bereichen wie der Kohlenstoffbindung und dem Aufbau einer sauberen Wasserstoffinfrastruktur zu verbessern.

In den nächsten zehn Jahren könnten die Rechtsvorschriften zu einer Welle von Investitionen beitragen. Öl- und Gasunternehmen sowie Chemie- und Automobilhersteller sind nur einige der potenziellen Nutznießer. Nur eine Handvoll der US-Supermajors, der größten börsennotierten Öl- und Gasunternehmen in den USA, hat skalierbare kohlenstoffarme Projekte in Angriff genommen, aber die Subventionen im Inflationsbekämpfungsgesetz werden wahrscheinlich andere von ihrer Randposition wegbringen.

Planungssicherheit hängt aber auch von der jeweiligen US-Administration ab, oder?

Braun: Inmitten des Optimismus ist zu erkennen, dass einige Unternehmen vorsichtig vorgehen. Denn sie sind sich bewusst, dass sich die politischen Prioritäten mit einer Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses ändern könnten. Die Regierung von Joe Biden unterstützt zwar Investitionen in erneuerbare Energien; sollte es jedoch bei den nächsten Wahlen zu einem Regierungswechsel kommen oder sollten die Energiepreise zu hoch werden, könnten sich die Prioritäten leicht wieder zugunsten fossiler Brennstoffe verschieben, um die Kosten zu senken.

Wie unterscheiden sich europäische und US-amerikanische Unternehmen in ihren Ansätzen zur Kohlenstoffneutralität?

Braun: Öl- und Gasunternehmen suchen unabhängig der Region nach neuen Wegen, um die Emissionen in ihrem Betrieb zu reduzieren. Eine der wichtigsten Triebkräfte für diese Verhaltensänderung war die Zunahme von Netto-Null-Zielen, bei denen die Menge der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen durch eine gleichwertige Reduzierung ausgeglichen wird.

Während europäische Öl- und Gasunternehmen proaktiv nach Ersatz für ihr Geschäft mit fossilen Brennstoffen suchen, konzentrieren sich die US-amerikanischen Unternehmen in erster Linie darauf, wie sie Kohlenstoff aus ihrem bestehenden Geschäft entfernen können. Sie nutzen Taktiken wie die Kohlenstoffbindung – bei der Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnommen und in fester oder flüssiger Form gespeichert wird – anstatt ihren Energiemix zu diversifizieren.

Wie in den USA werden auch für europäische Unternehmen durch neue Rechtsvorschriften Anreize geschaffen, was müssen Anleger darüber wissen?

Braun: Im REPowerEU-Plan, der von der Europäischen Kommission im März 2022 übernommen wurde, sind neue Investitionen in Höhe von fast 210 Milliarden Euro für saubere Energie in der Europäischen Union vorgesehen. Mit dem Gesetzesentwurf werden neue Energiepartnerschaften mit Anbietern von erneuerbaren und kohlenstoffarmen Gasen sowie saubere Wasserstoffprojekte und der Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen finanziert.

Die Unternehmen beeilen sich, um Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Warum machen sie so bereitwillig mit?

Braun: Wenn jetzt nicht in die Infrastruktur für erneuerbare Energien investiert wird, besteht die Gefahr, dass die Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt in Schwierigkeiten geraten werden. Und dabei geht es nicht nur um Belange hinsichtlich Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Es besteht die Gefahr, dass Marktanteile verloren gehen, wenn die Gesamtnachfrage nach erneuerbaren Energien steigt.

Wo sehen Sie Bereiche mit relativem Wert?

Braun: Die Ansicht, dass die Produktionskosten für kanadische Ölsande in der Region Alberta hoch sind, ist ziemlich weit verbreitet. Aber die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort ändern sich. Die Kosten für die Ölförderung sind dort in den vergangenen beiden Jahrzehnten gesunken. Die lange Lebensdauer und der geringe Verfall dieser Anlagen bedeuten, dass die Kapitalintensität, die zur Aufrechterhaltung des Betriebs erforderlich ist, im Vergleich zu US-Konkurrenten vergleichsweise gering ist, und sie ermöglichen eine hohe Generierung von freiem Cashflow, also von Cashflow, der die Betriebs- und Kapitalkosten des Unternehmens übersteigt. Darüber hinaus werden die kanadischen Ölsandaktien häufig mit Bewertungsabschlägen gegenüber der US-amerikanischen Explorations- und Produktionsvergleichsgruppe gehandelt. Dies ist zum Teil auf Umweltbedenken und die hohe Kohlenstoffintensität der Produktion pro Barrel zurückzuführen.

Wo stehen die europäischen Big Player im Rennen um die Gelder der Anleger?

Braun: Die Managementteams ausgewählter US-amerikanischer und europäischer Ölgiganten arbeiten mit der stärksten Kapitaldisziplin seit Jahrzehnten und die Dividenden bieten den Anlegern ein gewisses Polster, selbst wenn die Ölpreise von nun an nachgeben sollten. Die Supermajors könnten von den länger anhaltenden höheren Öl- und Gaspreisen profitieren, die den vorgelagerten Explorations- und Produktionsunternehmen zugutekommen – zusätzlich zu den rekordverdächtigen Raffineriemargen im nachgelagerten Bereich, denen reine Upstream-Unternehmen nicht ausgesetzt sind. Auf der Bewertungsbasis werden die europäischen Supermajors, was das Kurs-Gewinn-Verhältnis betrifft, trotz sehr ähnlicher Geschäftsmerkmale mit einem überdurchschnittlichen Abschlag gegenüber ihren US-Konkurrenten gehandelt.

 

Zur Person:

Christophe Braun ist Investment Director bei der Capital Group und verantwortlich für den Bereich Aktien. Er verfügt über 13 Jahre Erfahrung in der Investmentbranche und ist seit sieben Jahren bei Capital Group tätig. Bevor er zu Capital kam, arbeitete Christophe bei CBP Quilvest S.A. als Portfoliomanager und Investment Advisor. Davor war er Anlagevertreter bei TD Direct Investing International.  Er hat einen Master-Abschluss in Finanz- und Industrieökonomie von der Royal Holloway University of London und ein Diplom in Betriebs- und Volkswirtschaft von der Universität Leopold Franzens in Österreich. Christophe ist in Luxemburg ansässig.

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