Bundesbank-Präsident Jens Weidmann im Interview „Eine Pandemie rechtfertigt dies ausnahmsweise“

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Notenbanken gehören zu den entscheidenden Akteuren der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das wirft die Frage auf: Wieviel politischen Einfluss haben die unabhängigen Notenbanken auf die Politik und umgekehrt?

Weidmann: Die Unabhängigkeit wurde uns gewährt, um frei von politischen Einflüssen für stabiles Geld sorgen zu können. Im Gegenzug wurde unser Mandat auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität zugeschnitten. Wir dürfen nicht eigenständig andere Ziele verfolgen oder eine aktive Rolle in anderen Politikbereichen spielen. Das sind Entscheidungen, die Regierungen und Parlamente treffen müssen - ohne Einmischung der Notenbanken. Der gegenseitige Einfluss hat also klare Grenzen, die es zu respektieren gilt, zum Beispiel beim Klimaschutz.

Stichwort grüne Geldpolitik: Die demokratische Legitimation der Notenbanken beschränkt sich darauf, die Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Dennoch soll die EZB immer „grüner“ werden. Wie soll das gehen?

Weidmann: Der EZB-Rat hat im Juli beschlossen, Klimaschutzaspekte stärker in seinen geldpolitischen Handlungsrahmen einfließen zu lassen. Der Klimawandel und der Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft können die Preisaussichten beeinflussen und das Risiko von Vermögenswerten in unserer Bilanz ändern. Beides ist für stabile Preise bedeutsam. Deshalb bauen wir unsere Analysekapazitäten aus, fordern die Offenlegung notwendiger Informationen und verbessern unser Risikomanagement. Aber das sollte nicht mit einer eigenen Klimapolitik verwechselt werden. Es steht uns nicht zu, Ergebnisse der demokratischen Willensbildung von Parlamenten und Regierungen zu korrigieren oder vorwegzunehmen.

„Next Generation EU“: Zur Überwindung der Corona-Pandemie hat die Europäische Union einen Wiederaufbaufonds im Umfang von 750 Milliarden Euro aufgelegt. Einmalige Aktion oder ein erster Schritt hin zur Fiskalunion?

Weidmann: Die Staaten haben entschieden, sich in der Krise finanziell beizustehen. Dabei wird der Fonds durch eine gemeinsame Verschuldung finanziert. Eine außergewöhnliche Situation wie die Pandemie kann dies ausnahmsweise rechtfertigen. Allerdings ist eine dauerhafte Verschuldung auf europäischer Ebene im derzeitigen Ordnungsrahmen der Europäischen Union nicht vorgesehen. Gemeinsame Verschuldung erfordert gemeinsame Kontrolle, wenn wir die Europäische Union als Stabilitätsunion erhalten wollen. Dazu müssten die Mitgliedstaaten nationale Kompetenzen an die europäische Ebene abtreten. Eine Fiskalunion darf aber nicht durch die Hintertür eingeführt werden. Wir brauchen eine offene Diskussion in der Gesellschaft und in den Parlamenten, wie Europa gestaltet werden soll.

Bei Ihrem Amtsantritt waren Sie der bislang jüngste Bundesbankpräsident. Hatten Sie – insbesondere zu Beginn – jemals das Gefühl, sich aufgrund Ihres Alters besonders beweisen zu müssen?

Weidmann: Natürlich erschien ich dem einen oder anderen recht jung für das Amt des Bundesbankpräsidenten. Aber mit meinen 43 Jahren war ich durch meine Ausbildung und beruflichen Stationen – unter anderem bei der Bundesbank – gut vorbereitet. Persönlich habe ich mein junges Alter eher als Vorteil gesehen, konnte manches mit frischem Blick bewerten. Und alt wird man ja von ganz alleine: Heute bin ich bereits das dienstälteste Mitglied im EZB-Rat. Dort trage ich Mitverantwortung für stabiles Geld im Euroraum und bringe mich voll und ganz ein. Das galt damals – inmitten der Staatsschuldenkrise – genauso wie heute.


Über den Interviewten:
Volkswirt Jens Weidmann ist seit Mai 2011 Präsident der Deutschen Bundesbank. Als nationaler Notenbank-Chef ist er gleichzeitig Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank. Darüber hinaus ist Weidmann Vorsitzender des Verwaltungsrats der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel.
Hinter der Initiative Gesichter der Demokratie stehen 100 prominente Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft. Darüber hinaus genießt der 2017 gegründete Zusammenschluss – nach eigenen Angaben – die Unterstützung von Staats- und Regierungschefs, Friedensnobelpreisträgern, führenden Medienschaffenden sowie Vorstandschefs global tätiger Dax-Konzerne.

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