Düstere Zukunft oder Hoffnungsschimmer? Wie es um ethische Standards in der Tech-Branche bestellt ist

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Die derzeitige Innovationswelle in der Informationstechnologie folgt dem gleichen historischen Muster – allerdings mit Formel-1-Tempo. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass heute Daten geerntet werden, dass Big-Data-Maschinen nicht mit Kohle, sondern mit DRAM und NAND  befeuert werden und dass die Anzahl der Ernteperioden exponentiell wächst. So enorm ist das Entwicklungstempo, dass die Beschäftigungsfähigkeit eines erheblichen Teils der Bevölkerung angesichts der Kombination von künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung mittlerweile in Zweifel steht.

Gleichermaßen haben die jüngsten Kontroversen um Unternehmen wie Facebook gezeigt, dass viele Verbraucher und Bürger sich mithilfe von Algorithmen quasi wie Marionetten steuern lassen. Ohne eine Kontrolle kann der Einsatz solcher Algorithmen zu Massenmanipulation und zur Ausnutzung aller möglichen kollektiven und individuellen Vorurteile führen – und dabei sind die Möglichkeiten, die sich aus der gigantischen digitalen Spur ergeben, die Nutzer hinterlassen, noch nicht einmal ansatzweise erschöpft. Ein Trend wird beispielsweise die personalisierte Preisdiskriminierung zwischen Verbrauchern sein, die auf Algorithmen basiert, mit deren Hilfe Unternehmen die Zahlungsbereitschaft von Konsumenten abschätzen können.

Doch selbst wenn die Macht von KI und die Folgen der Automatisierung überschätzt werden, sollte ihre Wirkung auf die Zivilgesellschaft ernst genommen werden. Es fällt nicht schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, in der Verstöße gegen Menschenrechte, wie das Recht auf Datenschutz oder die Konzentration der Macht in der Hand der Eliten, zu einer Schwächung der Demokratie und der freien Märkte führen könnten. Interessanterweise ist gerade ein Unternehmen, dem vor 20 Jahren Ablehnung auf breiter Ebene entgegenschlug, ein Hoffnungsschimmer.

Indem Microsoft die Frage stellte, was Computer tun sollten und nicht, was sie tun können, hat das Unternehmen die Rolle eines moralischen Vorreiters übernommen. Im Rahmen unseres Kontakts mit dem Unternehmen und belegt durch sein Engagement und seine öffentliche Positionierung scheint sich zu zeigen, dass der Software-Gigant den Weg ebnet in Richtung gemeinsamer Prinzipien für Zuverlässigkeit, Sicherheit, Datenschutz, Gefahrenabwehr, Transparenz und Verantwortung unter allen Akteuren des Technologiesektors.

Vor ein paar Jahren rief Microsoft mit seinem Vorschlag einer „Digitalen Genfer Konvention“ eine kritische Initiative ins Leben, um diese Grundsätze auf Staaten und ihren Umgang mit computerbasierter Kriegsführung zu übertragen. Gegenüber dem skeptischen Leser möchten wir hervorheben, dass Microsoft diese Prinzipien bereits selbst umgesetzt hat, etwa im Zuge seines langjährigen Machtkampfes mit der US-Regierung, gegen die das Unternehmen wiederholt wegen der missbräuchlichen Erhebung von Nutzerdaten geklagt hat.

Trotz ihrer entscheidenden Bedeutung sind es oft die Aufsichtsbehörden, die – ähnlich wie Generäle – die letzte Schlacht kämpfen. Um die düstere Zukunft abzuwenden, die der israelische Historiker und Autor Yuval Noah Harari in seinem Buch „Homo Deus“  heraufbeschwört, können Konsumenten und Anleger die Richtung weisen, indem sie sich aktiv mit Unternehmen auseinandersetzen und sie mit ihren Investitionsentscheidungen entweder fördern oder abstrafen.



Über den Autor:
Sébastien Thevoux-Chabuel kam 2013 als ESG-Analyst zu Comgest und ist als ESG-Portfoliomanager und Analyst für den ESG-Bereich in den Industrieländern, unter anderem Europa und USA, verantwortlich. Er besucht zusammen mit den Investmentanalysten Unternehmen und tauscht sich mit dem Unternehmensmanagement aus, um auf dieser Basis ausführliche ESG-Studien zu erstellen.

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