Düstere Zukunft oder Hoffnungsschimmer? Wie es um ethische Standards in der Tech-Branche bestellt ist

Sébastien Thevoux-Chabuel ist ESG Analyst und Portfoliomanager bei Comgest.

Sébastien Thevoux-Chabuel ist ESG Analyst und Portfoliomanager bei Comgest. Foto: Comgest

Während hierzulande in den vergangenen Monaten die Debatte um die hoch umstrittene Reform des EU-Urheberrechts für kontroverse Diskussionen gesorgt hat, richtet sich der mediale Fokus nun wieder verstärkt auf die sozialen Netzwerke. Denn der Kontinent fürchtet um die Glaubwürdigkeit der anstehenden Europawahlen und erschaudert vor der Möglichkeit, dass alte Bekannte wieder ihren Unfrieden stiften: Trolle, Hacker und die gefürchteten Fake News.

Die EU-Kommission hat bereits im Vorfeld auf mögliche Manipulationsversuche reagiert und frühzeitig mit den einzelnen Plattformen Kontakt aufgenommen. Ziel des Ganzen: Vor den Europawahlen im Mai möglichst frühzeitig bei Facebook und Co. Falschmeldungen entlarven und maschinelle Propaganda unterbinden.

Doch auch anderorts, wie im US-amerikanischen Silicon Valley, haben in den vergangenen Jahren immer wieder aufkommende Berichte um Hass-Kommentare, Datenskandale oder kartellrechtliche Fragestellungen die ethischen Standards vieler Technologieunternehmen kritisch beleuchtet und zuletzt auch den Gesetzgeber einzelner Länder auf den Plan gerufen.  So hat erst im März die US-Senatorin Elizabeth Warren die Tech-Branche scharf angegriffen und die Zerschlagung von einzelnen Schlüsselkonzernen wie Google oder Amazon offen gefordert.

Langfristig orientierte und auf hochwertige Wachstumstitel ausgerichtete Anleger wie wir haben den Technologiesektor stets mit einer Mischung aus Faszination und Besorgnis betrachtet. Technologie kann den Alltag der Menschen auf umfassende Weise mitgestalten und damit enormes, dauerhaftes Wachstum schaffen. Unter Technologie verstehen wir die Automatisierung manueller Abläufe und Methoden, um gleiche oder bessere Resultate zu erheblich niedrigeren Kosten oder auf einer höheren Stufe zu erreichen, die vor dem Aufkommen der entsprechenden Technologie schlichtweg nicht realisierbar war.

Von der Beherrschung des Feuers bis hin zur Entwicklung industrieller Maschinen und Autos – stets konnten der wirtschaftliche Fortschritt und Produktivitätssteigerungen einem singulären Motor zugeschrieben werden: der Technologie. Daher sollte die Menschheit all den Investoren und Unternehmern dankbar sein, die innovative Ideen massentauglich gemacht und damit beide Geschlechter von zermürbenden Tätigkeiten befreit haben und ihnen zu einem immer höheren Lebensstandard verholfen haben.

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Über die sozialen Auswirkungen von Technologie ist hingegen wesentlich weniger bekannt. Ein Team von Archäologen untersuchte in einer Studie, die den Zeitraum von 11.000 vor Christus bis vor 300 Jahren umfasst, die Ursprünge der ungleichen Wohlstandsverteilung. Dabei wiesen alle 63 untersuchten Gesellschaften von Nordamerika bis Eurasien ein ähnliches Muster auf. Bis zur landwirtschaftlichen Revolution teilten diese Gesellschaften ihre Ressourcen und lebten solidarisch. Mit der Umwälzung und mit jeder neuen Technologiewelle kam es zu einem Wohlstandsschub, der dazu führte, dass das Angebot die Nachfrage überstieg.

In der Folge gewannen diejenigen Akteure an Macht, denen es gelang, die Technologie zu beherrschen und den überschüssigen Reichtum zu erhalten. Technologien verstärkten jedoch nicht nur die Ungleichheit unter den Menschen, sondern prägten auch unsere gesellschaftlichen Normen, unsere Kulturen und unsere ethischen Grundsätze, da sie stets neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit sowie und neue Vorstellungen von Gut und Böse hervorbrachten.