Drei Jahre Solvency II Wie Versicherungen das Mammutregelwerk stemmen

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Ein Anwender des Standardmodells ist die Lebensversicherung von 1871 (LV 1871). Andreas Billmeyer leitet dort das Risikomanagement. Gemessen an den Kapitalanlagen in Höhe von 5,6 Milliarden Euro ist der Münchner Lebensversicherer relativ klein. Billmeyer ist ein internes Modell einfach zu teuer und aufwendig. Und die Bafin wäre schnell überfordert. Denn „weder auf unserer Seite noch aufseiten der Bafin wäre ein Genehmigungsprozess für alle kleinen Versicherungsunternehmen praktikabel, damit sie ein internes Modell anwenden können“, argumentiert er.

Gleichwohl versuchen auch kleinere Unternehmen, eigene Modelle zu entwickeln. Denn sie erkennen, dass das Risikoprofil der Standardformel nicht zu ihnen passt. Beispielsweise hat der Versicherungskonzern Gothaer nach Angaben seines Risikochefs Stephan Oetzel intensiv darüber nachgedacht und losgelegt: „Wir haben im Schaden-Unfall-Bereich zumindest für das versicherungstechnische Risiko ein internes Modell im Einsatz. Wir haben uns bisher aber immer dagegen entschieden, den Zertifizierungsprozess mit der Bafin zu durchlaufen. Denn da steht ein enormer Aufwand dahinter.“ Es sei einfach eine Kosten-Nutzen-Abschätzung, so Oetzel.

Der Gothaer-Konzern gehört zu den größeren deutschen Versicherungskonzernen und verwaltet Kapitalanlagen in Höhe von rund 30 Milliarden Euro. Die Gothaer nutzt das Modell jedoch für interne Zwecke, etwa für den Rückversicherungseinkauf. Oetzel geht davon aus, dass andere mittelgroße Versicherer ähnlich vorgehen. Und er will nicht ausschließen, eines Tages das eigene Risikomodell doch noch gegenüber der Bafin zertifizieren zu lassen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Zertifizierungsprozess mit weniger Aufwand verbunden wäre. 

Adressaten lesen SFCR-Berichte nicht

Einmal im Jahr müssen die Unternehmen seit Inkrafttreten der Richtlinie 2016 einen Solvenz- und Finanzbericht (SFCR) veröffentlichen – und zwar für jedes einzelne Unternehmen im Konzern und für den Konzern als Ganzes. In diesem Bericht sollen die Versicherer in allgemeinverständlicher Form über die Finanzlage, die Risiken und die allgemeine Geschäftsentwicklung berichten. Die Dokumente sollen die Versicherungsnehmer informieren und stehen im Internet meist neben dem Geschäftsbericht zum Download bereit.

Der klassische Geschäftsbericht der LV 1871 umfasst für das Geschäftsjahr 2017 insgesamt 76 Seiten. Der SFCR-Bericht der Münchner steht dem mit 74 Seiten kaum nach. Doch der enorme Aufwand läuft ins Leere. Denn zahlreiche SFCR-Berichte werden von der Öffentlichkeit überhaupt nicht abgerufen. Damit wird die Zielsetzung, eine breite Öffentlichkeit über die aktuelle Finanz- und Solvenzlage der Versicherungsunternehmen zu informieren, klar verfehlt, meint der Versicherungsverband GDV.

Interessierte haben die Solvenz- und Finanzberichte deutscher Versicherer lediglich 11.800-mal in den ersten vier Monaten 2018 abgerufen. Im Monatsdurchschnitt entspricht dies mageren 33 Downloads pro Unternehmen. Quelle: GDV; die Daten stammen von 70 Lebensversicherern und 107 Schaden- und Unfallversicherern 

Auch am Überblick mangelt es: Nach Angaben des GDV legen jährlich mehrere Tausend europäische Versicherer aller Sparten einen solchen Solvenzbericht vor. Die Vielzahl an gesetzlich geforderten Detailinformationen mache die Berichte jedoch für Nicht-Experten nahezu unverständlich, schätzt der Verband ein und vertritt die Ansicht, dass die Berichtspflichten zu entschlacken seien.