
Die globalen Wirtschaftsaussichten werden derzeit schlechter. Doch bestimmte Bereiche der Aktienmärkte, von denen einige jahrelang nicht beachtet wurden, zeigen sich nun stark. Dazu gehören vor allem Aktien auf Märkten wie Europa und Japan, die in den vergangenen Monaten angesichts einer ausgeprägten Schwäche des US-Dollars in die Höhe geschossen sind. Tatsächlich hat sich die Zahl der attraktiven Investitionsmöglichkeiten im vergangenen Jahr vergrößert. Das steht ganz im Gegensatz zum vergangenen Jahrzehnt, als US-Technologieaktien mit großer Kapitalisierung die Marktrenditen dominierten.
„Früher war der Markt binär, mit einer Entweder-oder-Logik – heute ist er ausgewogener“, meint Capital-Group-Aktienportfoliomanager Martin Romo. „Das Spektrum der Anlagemöglichkeiten hat sich erweitert und umfasst jetzt Aktien innerhalb und außerhalb der USA, Wachstums- und Qualitätsaktien, den Technologiesektor und das Gesundheitswesen, Industrieunternehmen und den Energiesektor.“
Eine Dollarabwertung könnte Nicht-US-Aktien beflügeln
Zumindest ein Teil dieser Dynamik beruht auf der Entwicklung des US-Dollars. Nach einer elfjährigen Stärkephase hat der Greenback an Dominanz verloren, sein Kurs gegenüber dem Euro, dem Yen und vielen anderen Währungen wurde abwertet. Ein anhaltender Abwärtstrend wäre eine willkommene Nachricht für Anleger mit Aktien und Anleihen, die nicht aus den USA kommen, und deren Renditen in den vergangenen Jahren unter Wechselkurseffekten gelitten haben.
Grafik 1: Nicht-US-Aktien haben sich in Phasen der Dollarschwäche erholt

Quellen: Capital Group, J.P. Morgan, MSCI, Refinitiv Datastream, Standard & Poor’s. Die relativen Renditen und Veränderungen des US-Dollar-Index werden auf der Grundlage der kumulativen Gesamtrendite in US-Dollar gemessen. Der US-Dollar-Index reflektiert den US-Dollar Real Broad Effective Exchange Rate Index von J.P. Morgan, der 2010 auf 100 indexiert wurde. Stand: 31. Mai 2023. Die Ergebnisse der Vergangenheit sind kein Indikator für die Ergebnisse in zukünftigen Zeiträumen.
Märkte außerhalb der USA zeigen bereits Anzeichen für einen Währungsschub. Als der Dollar abrutschte, erwirtschafteten europäische Aktien im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 die höchsten Renditen der Industrieländer. Auch japanische Aktien haben eine beeindruckende Rally durchlaufen – wobei der Tokio Stock Price Index (TOPIX) Mitte Mai auf den höchsten Stand seit 33 Jahren gestiegen ist.
Seit Oktober 2022 ist der Dollar gemessen am J.P. Morgan US-Dollar Real Effective Exchange Rate Index um etwa 6 Prozent gesunken. Das mag zwar nicht viel erscheinen, aber Währungstrends entwickeln sich oft über lange Zeiträume, so Andrew Cormack, Fixed-Income-Portfoliomanager bei Capital Group. „Die US-Währung durchläuft üblicherweise langjährige Zyklen“, erklärt Cormack. „Und ich denke, dass der starke Dollarzyklus der letzten zehn Jahren schon ein wenig zu lange gedauert hat.“
Während der Dollar aufgrund seines Status als sicherer Hafen immer noch unregelmäßig Stärkephasen durchlaufen könnte, meint Cormack, dass der langfristige Kurs niedriger sein dürfte. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, darunter die schleppende US-Konjunktur, der schwache Wohnungsmarkt und Anzeichen dafür, dass die US-Notenbank Federal Reserve im restlichen Jahresverlauf 2023 keine weitere Zinserhöhung vornehmen könnte.
US-Tech-Aktien mit starker Performance
Auch US-Aktien haben sich in diesem Jahr bisher gut entwickelt, was vor allem auf eine Erholung der Big-Tech-Aktien zurückzuführen ist. Im S&P 500 Index war Technologie in diesem Jahr der Sektor mit der besten Performance, was zum Teil auf die Begeisterung der Investoren für die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) wie ChatGPT zurückzuführen ist. ChatGPT gehört Microsoft und Open AI und wurde in diesem Jahr zur am schnellsten wachsenden Anwendung für Privatverbraucher der Geschichte.
Heute bieten jedoch nicht nur Tech-Aktien Anlagechancen. Auch andere Marktsegmente sind ins Rampenlicht getreten. An Wachstum interessierte Investoren sollten ihren Blick daher auch auf andere Bereiche richten.
Dividendentitel gewinnen an Bedeutung
In diesem Umfeld könnten Dividendenaktien an Bedeutung gewinnen. Das gilt insbesondere, wenn sich das globale Wirtschaftswachstum weiter verlangsamt und die Märkte wieder volatiler werden. Dividendenstarke Papiere lassen sich auf den globalen Märkten leichter finden, weil es mehr Dividendenzahler mit Sitz außerhalb der USA gibt und diese Unternehmen größeren Wert auf Ausschüttungen an die Aktionäre legen.
So hat beispielsweise der französische Arzneimittelhersteller Sanofi seine Dividendenausschüttung bereits über 28 Jahre in Folge erhöht. Unilever, der Konsumgüterriese mit Sitz in Großbritannien, erhöht sie schon seit 22 Jahren in Folge. Am 31. Mai 2023 lieferten mehr als 600 Unternehmen mit Hauptsitz außerhalb der USA hohe Dividendenrenditen zwischen 3 und 6 Prozent. In den Vereinigten Staaten waren es hingegen nur 130 Unternehmen.
Seit Anfang 2022 ist der Anteil von Dividendenzahlungen an den Gesamtrenditen auf allen Märkten gestiegen, ebenso wie die Auszahlungen an Anleger insgesamt. Globale Unternehmen schütteten in den zwölf Monaten bis zum 30. April 2023 Dividendenzahlungen in Höhe von mehr als zwei Billionen US-Dollar aus, was einem Anstieg von 8,9 Prozent gegenüber dem vorherigen Zwölfmonatszeitraum entspricht.
„Ich gehe davon aus, dass Dividenden in diesem Jahr und darüber hinaus für die Anleger von größerer Bedeutung sein werden“, so Capital-Group-Portfoliomanagerin Caroline Randall. „In Zeiten relativer Instabilität und steigender Fremdkapitalkosten ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, sich auf die Qualität der Dividendenzahler zu konzentrieren.“
Grafik 2: Die Dekade der Dividenden ist da

Quelle: FactSet. Die Daten für die Jahre 2023 bis 2025 basieren auf Konsensschätzungen vom 31. Mai 2023. CAGR = Jährliche Wachstumsrate.
Für Randall bedingt die Suche nach hochwertigen Dividendenzahlern eine genaue Überprüfung der Unternehmensbilanzen, der Kreditratings und des Zinsaufwands. Dies führt sie zu ausgewählten Unternehmen aus der Pharma- und Medizintechnikbranche, Versorgungsunternehmen, Energieerzeugern und einigen Industrieunternehmen.
Portfoliomanagerin Randall: „Es lohnt sich, die Äußerungen der Geschäftsführungen zu Dividenden zu verfolgen, und auch, ob sie ihre Versprechungen einhalten. Wer sich stärker auf Dividenden verlassen will, muss darauf vertrauen können, dass sie von den Unternehmen ausgeschüttet werden. Hier können wir als aktive Manager einen Mehrwert schaffen.“
Hohe Barmittel in Reserve sind ein Hausse-Signal
Angesichts dieser und anderer Chancen könnte für Anleger jetzt der Zeitpunkt gekommen sein, ihre Barmittel wieder zu investieren. In den vergangenen Monaten haben Anleger ihre Bestände an Aktien- und Rentenanlagen reduziert und die Geldmärkte zum 26. Mai 2023 auf einen Rekordwert von 5,39 Billionen US-Dollar getrieben.
Diese Flucht in Barmittel und Barmitteläquivalente wie Geldmarktfonds und kurzfristige Staatsanleihen ist wegen des parallelen Rückgangs von Aktien und Anleihen im vergangenen Jahr verständlich. Steigende Zinsen, die Inflation und die Konjunkturabkühlung haben diese Situation herbeigeführt. Viele Anleger verlagerten angesichts der hartnäckigen Volatilität und relativ hoher Renditen für Barmitteläquivalente ihre Einlagen aus Banken in die Geldmärkte.
Grafik 3: Auf die Flucht der Investoren in Barmittel folgten hohe Renditen

Quellen: Capital Group, Bloomberg Index Services Ltd., Investment Company Institute (ICI), Standard & Poor’s. Stand: 26. Mai 2023. Die Ergebnisse der Vergangenheit sind kein Indikator für die Ergebnisse in zukünftigen Zeiträumen.
Doch die Bedingungen haben sich seit Jahresbeginn 2023 verändert, und langfristige Anleger sollten ihren Ansatz möglicherweise überdenken. Barmitteläquivalente erreichten im Umfeld von zwei Börsentiefs in jüngerer Zeit ihre Höchststände. Während der globalen Finanzkrise beispielsweise verzeichneten Geldmarktfondsanlagen ihren Spitzenwert zwei Monate bevor der S&P 500 Index am 9. März 2009 seinen Tiefstand erreichte. Der Aktienmarkt registrierte in den folgenden drei Monaten eine Rendite von 40 Prozent und in den folgenden sechs Monaten eine Rendite von 55 Prozent.
In ähnlicher Weise erreichten Geldmarktfonds während der Pandemie ein Hoch, Wochen nachdem der S&P 500 im März 2020 auf einen Tiefstand gefallen war.
Nach den schmerzhaften Verlusten von 2022 könnten Anleger mit einer geringeren Risikobereitschaft in Erwägung ziehen, einige Barmittel für Aktien mit Dividendenzahlungen einzusetzen, die ihnen Potenzial für Erträge und Kapitalzuwachs bieten, sowie kurz- und mittelfristige Anleihen auszuwählen, die höhere Renditen als im Jahr 2022 geboten haben.
Innerhalb der gesamten Investmentlandschaft zeichnen sich kurzfristige Anleihen, Aktien mit Dividendenzahlungen und Aktien von Unternehmen außerhalb der USA wegen ihrer attraktiven Bewertungen und historisch geringeren Volatilität aus. Für vorsichtige Investoren auf der Suche nach einem Zeitpunkt zum Wiedereinstieg sind sie potenziell attraktive Alternativen zu Barmitteln.