Der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) ist in vielen Branchen ein Großtrend, dies gilt auch für das Asset Management. Schaut man jedoch genauer hin, so wird man feststellen, dass das Universum jener Publikumsfonds, die KI im Anlageprozess für Investments nutzen, eher eine Nische bildet.
Im deutschsprachigen Raum verwalten rund zwei Dutzend Anbieter ein Fondsvolumen von circa 500 Millionen Euro, weltweit liegen die Assets under Management bei knapp drei Milliarden Euro, aufgeteilt auf 45 bis 70 Strategien. Dies legen Auswertungen der führenden deutschen und Schweizer Indexanbieter nahe.
Hype oder langfristig wachsendes Interesse an KI?
Ließe sich angesichts dieser Zahlen ableiten, dass – ähnlich wie in einigen anderen Sektoren – nach dem ersten Hype (ausgelöst unter anderem durch ChatGPT) eine gewisse Ernüchterung beim Einsatz von KI auch in der Finanzindustrie eingesetzt hat? Nein, es ist sogar eher das Gegenteil zu beobachten. Das Investoreninteresse steigt nachweislich und die Peergroup wächst.
Vielmehr zeigt sich jedoch, dass die Integration von KI in Portfolioentscheidungen kein „Plug & Play“-Szenario ist. Angefangen von der Analyse und Auswertung von Daten über die Berechnung von Handelsprognosen bis zum Risikomanagement – all dies verlangt tiefe Kenntnisse der Funktionsweise von KI-Algorithmen und ihrer Besonderheiten bei der Anwendung auf die Finanzmärkte.
Differenzierter Einsatz von KI
Insofern vielleicht nicht verwunderlich: Nach Angaben des Indexanbieters Next Gen Alpha befindet sich unter den zehn größten deutschen Asset Managern kein Haus, das ein entsprechendes Produkt anbietet.
Wesentliche Marktanteile entfallen daher auf eher kleinere, innovative Anbieter, die das Thema frühzeitig erschlossen haben. Die meisten Fonds haben eine durchschnittliche Größe von kaum mehr als 20 Millionen Euro Assets under Management. Etwa die Hälfte der weltweit eingesetzten KI-Investmentstrategien entfällt auf Europa, mehrheitlich Deutschland, gefolgt von der Schweiz und Skandinavien.
Werden Vermögensverwalter und Private Wealth Manager von ihren Kunden auf KI als Baustein angesprochen, so ging es noch vor wenigen Jahren eher darum, den Anschluss an technologische Trends und potenzielle Wettbewerbsvorteile nicht zu verpassen.
Heute identifizieren auch Family Offices und Dachfondsmanager sehr spezifische Anwendungsfelder, für die sie KI effektiv unterstützend einsetzen. Es besteht ein klareres Verständnis darüber, welcher Nutzen aus dem Einsatz von KI gezogen werden soll, etwa in der Risikobewertung, bei der Suche nach Rendite oder in der Portfoliodiversifikation.
Wie der Einsatz von KI Portfolios diversifiziert
Der zuletzt genannte Punkt, Diversifikation, wird von vielen Marktteilnehmern als ein Hauptnutzen von KI gesehen, der institutionellen und Wholesale-Investoren bei der Verwirklichung ihrer Anlageziele helfen kann. Dies lässt sich (bedingt) für thematische Investments sowohl für Hersteller als auch Anwender von KI reklamieren, vor allem aber für Fonds, deren Portfolios von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden.
Hier besteht der Wertbeitrag in der geringen Korrelation zu anderen Anlagestrategien. Die KI übersetzt Handelssignale, die durch Deep Learning und prädiktive Analyse generiert werden, in Portfoliopositionen. So wird sie in den meisten Fällen zu alternativen Handelsgelegenheiten und Portfoliozusammensetzungen kommen.
Selbst wenn ein Fondsmanager und eine KI in der gleichen Assetklasse, etwa Aktien, selektieren, werden die Ergebnisse aufgrund unterschiedlicher Research- und Modellparameter sowie Arbeitsweisen von Mensch und Maschine unterschiedlich sein.
Weitere Einsatzzwecke von KI
Fortschrittliche KI-Strategien sollen emotionslos handeln, Muster in Daten erkennen und – dies unterscheidet sie zumeist von klassischen Quant-Strategien – sowohl Momentum (Trendfolge) nutzen als auch Richtungswechsel in den Märkten antizipieren. Ihr größter Vorteil wird in der Unabhängigkeit vom allgemeinen Marktverlauf gesehen.
Welche Einsatzzwecke sind vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen an den Kapitalmärkten im Fondsmanagement absehbar? Als eines der ersten Modelle, das seit knapp zehn Jahren frei von Hypothesen und ausschließlich basierend auf Daten operiert, registrieren wir, dass Investoren in einem Umfeld fallender Zinsen zunehmend Alternativen zu Anleihen, Aktien und Cash prüfen.
Geringe bis negative Korrelation zu gängigen Anlageklassen
Die Abhängigkeit von Anlageklassen, die bisher zur Diversifikation zum globalen und europäischen Aktienmarkt gesucht waren, – darunter notabene auch Gold, Immobilien oder Private Equity – ist jedoch mit einer Korrelation von 0,7 bis 0,9 oftmals hoch.
In der Investmentpraxis sehen wir: Eine entsprechend zu diesem Zweck entwickelte KI-Beimischung kann dies besser. Die Dekorrelation mit gängigen Anlageklassen wie Aktien (-0,01), deutschen Staatsanleihen (-0,14), Gold (-0,03) oder Rohstoffen (-0,11) lässt sich empirisch anhand von 55.000 Börsentransaktionen nachweisen.
In dieser Gegenwirkung zur Wechselbeziehung beziehungsweise zum Gleichlauf von Aktien und weiteren Assetklassen sehen wir mithin den größten disruptiven Mehrwert KI-integrierter Ansätze. Die Zukunft wird darin liegen, die KI auf unterschiedliche Ausgangsportfolios und verschiedene Anlagestrategien flexibel anzuwenden.
KI-Systeme werden bereits zunehmend als zusätzlicher Instrumentenkasten anerkannt. Ausgehend von der Rolle als zweite Meinung und „Assisted KI“ wird die Forschung in Richtung einer noch weiteren Durchdringung gehen. Die Verifizierung und Plausibilisierung der KI-Vorschläge durch den menschlichen Portfoliomanager als Controller halten wir auch in den kommenden Jahren für erforderlich.
Über die Gastautoren
Pablo Hess und Michael Günther sind KI-Entwickler und Portfoliomanager bei Tungsten Capital mit Sitz in Frankfurt am Main. Ihre Strategie gehört zu den etablierten KI-Investmentlösungen im DACH-Raum mit einem verwalteten Fondsvermögen von über 170 Millionen Euro.