Disruptive Geschäftsmodelle Warum alte Value-Kriterien nicht mehr greifen

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Ist das antiquierte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) in diesem Fall aber überhaupt die passende Kennziffer, um derartige Geschäftsmodelle zu bewerten. Ich neige zu einem Nein. Technologie hat viele Facetten und bietet viele Anwendungsmöglichkeiten, die dem Nutzer im Vergleich den bestehenden Möglichkeiten oftmals größeren Komfort zu einem niedrigeren Preis bieten. Diese angemessen zu bewerten erfordert ein unkonventionelles Denken über den Tellerrand tradierter Kennzahlen hinaus.

Umsatz statt Marge

Investoren sollten in diesen Fällen den Versuch starten, die Summe der Einzelteile zu bewerten und sich den Unternehmenswert im Verhältnis zum Ebitda oder das Kurs-Umsatz-Verhältnis anschauen. Im Falle von Zalando zum Beispiel ist das Management darauf fokussiert, den Umsatz um 20 bis 25 Prozent pro Jahr nach oben zu treiben, anstatt höhere Margen zu erzielen.

Dazu werden die Erträge aus dem operativen Geschäft reinvestiert, um Marktanteile zu gewinnen und das Online-Modell auszubauen. Das geht zu Lasten der Ertragskraft und macht die Aktie auf Basis des KGV optisch teuer. Aber würde Zalando das Wachstum um 10 bis 15 Prozent verringern, läge die Ebit-Marge bei 10 Prozent und das KGV hätte sich quasi über Nacht halbiert.

Auch eine Kennziffer wie das Kurs-Buchwert-Verhältnis läuft regelmäßig ins Leere, weil viele Unternehmen mit einem digitalen Geschäftsmodell kaum über nennenswerte Vermögensgegenstände im klassischen Sinne verfügen. Der „Wert“ liegt im Know-how, eine bestimmte Dienstleistung anzubieten oder einen Handelsplatz zu betreiben.

Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit eines solchen Unternehmens ist letztlich, wie sich der Cashflow in den kommenden Jahren entwickelt, also wie gut es um die Finanzkraft bestellt ist. Viele Investoren zögern häufig damit, so vorzugehen, weil sie unschlüssig sind, inwieweit sie das starke Wachstum fortschreiben können und sie eine Abflachung fürchten.

Überraschungen im Portfolio

Diese Sorge ist nicht unbegründet. Aber es gibt aus Sicht von Unternehmen durchaus Möglichkeiten, das Wachstumstempo hoch zu halten – vor allem, wenn der Marktanteil erst noch im einstelligen Bereich liegt.

Dann stehen die Chancen gut, dass der Wachstumskurs über viele Jahre lang gehalten werden kann. Zum Beispiel hat der Essenlieferdienst Takeaway.com, dem auch Lieferando gehört, 17 Jahre Markterfahrung in den Niederlanden und weist dennoch zweistellige Wachstumsraten von Jahr zu Jahr auf. Das Geld, was Takeaway.com im Stammmarkt verdient, wird für die Expansion in Deutschland genutzt.

Die Beispiele zeigen: Was als Substanz gelten kann, liegt im Auge des Betrachters. Disruptive Geschäftsmodelle sind dabei sich zu etablieren. Das können und sollten Investoren nicht übersehen, sondern die Gelegenheiten nutzen, die sich daraus ergeben. An bestehenden, vermeintlich substanzstarken Firmen festzuhalten, kann dagegen ein Weg sein, in den kommenden Jahren für negative Überraschungen im Portfolio zu sorgen.


Über den Autor:
Philip Webster ist seit Mai 2016 Direktor Europäische Aktien bei BMO Global Asset Management und führender Fondsmanager des F&C European Growth & Income Fund und des F&C UK High Income Trust Fund. Zuvor war er mehr als 12 Jahre bei Aberdeen Asset Management tätig und für europäische Aktien zuständig.

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