Digitalisierung im Private Banking, Teil 1 Die neue Welt des Private Bankings

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Kunde nicht vergessen

Nicht alles, was technologisch möglich ist, wird der Private-Banking-Kunde auch anwenden. Schlussendlich werden die Kunden darüber befinden, welche technologische Innovation sich durchsetzt. Dies stellt heute eine der wichtigsten strategischen Unbekannten dar. 

Die Erhöhung der sogenannten Convenience für den Kunden stellt einen der Hauptansatzpunkte technologischer Neuerungen dar, dennoch muss der Kunde auch in seiner eigenen Wahrnehmung einen Mehrnutzen erhalten.

Diese Sphäre beinhaltet sowohl im positiven wie negativen Falle Wahrnehmungsverzerrungen, welchen auch immer eine irrationale Komponente beiwohnt. Diese in gewünschter Richtung zu beeinflussen, wird eine Herausforderungen sein, wenn es darum gehen wird, nicht die – vielleicht kleine – Gruppe der technologieaffinen Kunden zu gewinnen, sondern eine erhöhte Penetration bei breiteren Kundenschichten zu erreichen. Dabei ist das Szenario denkbar, dass Kunden trotz aller vernünftig vorzutragenden Vorteile einer technologischen Lösung, sich partout nicht überzeugen lassen, diese zu beanspruchen.

Selbstverständlich kann ein Anbieter durch (finanzielle) Anreize diese Entscheidung auch beeinflussen. Der Gefahr der Trägheit des Kundenverhaltens beziehungsweise einer innewohnenden Irrationalität ist aber Rechnung zu tragen. Ein schönes Beispiel dazu ist, dass bei Befragungen vermögende Kunden sehr intensiv hervorheben, wie wichtig ihnen ein digitales Angebot ihrer Bank ist. Gleichwohl zeigt sich, dass die tatsächliche Nutzung der Vertriebskanäle Telefon oder persönlicher Kontakt immer noch deutlich mehr als 90 Prozent betragen.      

Schon heute zeigt sich im Banking, wie auch in anderen Konsumgüterindustrien, wie vielfältig das Kundenverhalten eines einzelnen Kunden sein kann und es schwerfällt, in sich homogene Kundenprofile zu bestimmen. Es ist eher davon auszugehen, dass diese Heterogenität sogar zunehmen wird. So können Kunden in einem Bereich zu den Early Adopters gehören und wiederum bei einem anderen Thema die absoluten Traditionalisten bleiben.

Hierbei spielt das besondere Gut, bei dem es im Private Banking geht, jedenfalls auch eine besondere Rolle. Geld ist zweifelsohne ein besonderes Gut und damit verbundene Dienstleistungen unterliegen gewiss auch besonderen Gesetzmäßigkeiten, die sich über die Zeit verändern können aber nicht müssen.

Neue Konkurrenz begeistert Kunden

Die größte Gefahr liegt darin, dass bestehende oder potentielle Kunden schneller als erwartet die neuen technologischen Angebote und Geschäftsmodelle annehmen und den Etablierten keine strategische Reaktionsmöglichkeit bleibt (Jump Adoption). In diesem Fall würde den etablierten Anbietern die Grundlage des eigenen Geschäftsmodells entzogen, indem Kunden verloren gehen und damit die Ertragsgrundlage erodiert oder gar implodiert.

Aber auch eine langsamere Entwicklung könnte strategisch gefährlich sein, da sie zu einem unbemerkten Verlust der Befriedigung von wichtigen Kundenbedürfnissen führt und damit einen latenten Kundenfrust aufbaut.

Schaut man als Bank lediglich auf die Ertragsströme der bestehenden Kundschaft, kann man dem Trugschluss erliegen, dass alles gut ist. Dies hat mit den speziellen betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen des Private-Banking-Geschäftsmodells zu tun.

Beispielsweise werden im Private Banking gerade mit den ältesten Kunden im Durchschnitt am meisten Erträge generiert. Somit hat ein Private-Banking-Anbieter im Vergleich zu anderen Finanzdienstleistern tendenziell diejenigen Kunden, welche gegenüber dem Technologie-Thema und den damit verbundenen Verhaltensveränderungen die durchschnittlich tiefsten Adoptionsraten aufweisen.

Dies kann dazu führen, dass man relativ lange glaubt, die richtigen Kundenbedürfnisse zu befriedigen und der langsam erodierenden Ertragsbasis nicht diejenige Bedeutung zumisst, welche notwendig wäre. Das Preismodell des Private Bankings erlaubt es aufgrund des hohen Anteils der wiederkehrenden Erträge, (gekoppelt mit dem dargestellten typischen Kundenverhalten) relativ lange eine minimale Profitabilität zu erhalten, auch wenn man in Wahrheit Markttrends nicht richtig einschätzt. Es kann sich demzufolge eine strategische Lücke öffnen, den man lange Zeit nicht richtig bemerkt. Je länger diese Entfremdung der Bank vom Markt andauert, desto schwieriger wird es werden, das Steuer noch herumzureissen.