Dieter Lehmann im Gespräch „In Deutschland herrscht ein eigentümliches Risikoverständnis“

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Wie können Stiftungen mit den besonderen Herausforderungen der Niedrigzinsen umgehen?

Lehmann: Wir haben in Deutschland über 20.000 Stiftungen, die meisten davon sind – anders als in den USA – sehr klein. Viele dieser Stiftungen hoffen nicht mehr auf laufende Erträge, sondern setzen auf Spenden. Das kann noch eine Weile funktionieren. Als Leiter des Arbeitskreises Stiftungsvermögen beim Bundesverband Deutscher Stiftungen ermutige ich Stiftungen aber auch, es anders zu machen. Das Problem ist jedoch oft, dass die Ehrenamtlichen, die in diesen Stiftungen arbeiten, selten Know-how im Finanzbereich haben. In ihren Köpfen ist fest verankert: nur nicht risikoreich anlegen, nur keine Aktien. Das macht eine vernünftige, ausgewogene Anlagestrategie schwierig.

Was raten Sie?

Lehmann: In Deutschland herrscht ein etwas eigentümliches Risikoverständnis. Spricht man von risikobehafteten Anlagen, meint man immer Aktien. Das Bonitätsrisiko von Anleihen wird dagegen völlig ausgeblendet. Das gilt auch für den Gesetzgeber. Als Stiftung bin ich grundsätzlich zwei Kernrisiken ausgesetzt: dem Volatilitäts- und dem Bonitätsrisiko. Das Volatilitätsrisiko kann ich, wenn ich auf Ewigkeit ausgerichtet bin, aushalten. Schwankungen spielen langfristig keine Rolle, Bonitäten aber schon. Ich würde mir hier ein Umdenken wünschen, ansonsten werden viele Stiftungen auf Dauer ein Problem bekommen. 

Welche Bedeutung hat das Thema Nachhaltigkeit für Ihre Stiftung?

Lehmann: Nachhaltigkeit ist für uns schon lange ein wichtiges Thema. Seit vielen Jahren haben wir im eigenen Bestand nur Aktien von Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften. Es gibt auch eine Kriterienliste von Dingen, die wir nicht machen, etwa den Kauf von Aktien von Herstellern geächteter Waffen oder Agrarrohstoffen. Wir haben uns auch aus dem Aktienverleih komplett zurückgezogen, als wir festgestellt haben, dass Hedgefonds geliehene Aktien für Spekulationszwecke einsetzen. Vor zwei Jahren haben wir zudem ein eigenes Screening-Verfahren entwickelt, im Aktienbereich basierend auf einem Nachhaltigkeits-Tool von Reuters. Farben von Tiefrot bis Dunkelgrün signalisieren, wie Unternehmen Nachhaltigkeitskriterien einhalten. Wenn ein Portfolio in den gelben oder gar roten Bereich rutscht, wissen wir: Es gibt ein Problem. Dann können wir gegebenenfalls handeln.

Herr Lehmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Mit Dieter Lehmann sprachen Ralf Lochmüller (Gründer von Lupus alpha) und Dejan Saravanja (Senior Relationship Manager bei Lupus alpha). Das Interview wurde dem private banking magazin von Lupus alpha zur Verfügung gestellt.


Über den Interviewten:
Dieter Lehmann ist seit 21 Jahren verantwortlich für die Vermögensanlage der Volkswagenstiftung. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Finanzwirtschaft hat er bei der damaligen DG Bank gearbeitet, bevor er 1999 zur Volkswagenstiftung kam. Dort hat Lehmann die Anlagestrategie wesentlich geprägt. Als Leiter des Arbeitskreises Stiftungsvermögen beim Bundesverband Deutscher Stiftungen bringt er seine Expertise außerdem in die Kapitalanlage anderer Stiftungen ein. 


Über die Stiftung: 
Die Volkswagenstiftung wurde 1961 mit dem Erlös aus der Privatisierung des Volkswagenwerks gegru?ndet und ist mit einem Stiftungskapital von 3,5 Milliarden Euro eine der größten Stiftungen Deutschlands, nach Fördermitteln (2019: 253,2 Millionen Euro) ist sie die größte. Stiftungszweck ist die Förderung von Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre, darunter durchaus auch außergewöhnliche Köpfe beziehungsweise Vorhaben. Seit der Gru?ndung wurden u?ber 33.000 Projekte mit insgesamt mehr als 5,3 Milliarden Euro gefördert. Die Fördermittel setzen sich zusammen aus der „Allgemeinen Förderung“ und dem „Niedersächsischen Vorab“ mit den Gewinnanspru?chen aus den VW-Aktien des Landes Niedersachsen. Fu?r die Stiftung arbeiten gut 100 Mitarbeiter an der Kastanienallee in Hannover. 

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