Dieter Lehmann im Gespräch „In Deutschland herrscht ein eigentümliches Risikoverständnis“

Seite 2 / 3

Wie verfolgen Sie das Ziel Diversifikation?

Lehmann: Wir setzen auf Korrelationsanalysen, und zwar nach geografischen Gesichtspunkten, nicht nach Branchen. Im Aktienbereich schauen wir uns zum Beispiel an, welcher Index die Spezifika einer Region besonders gut abbildet und wie dieser Index mit unseren anderen Anlagen korreliert. Wir kennen die Schwächen der Korrelationsanalyse, doch unserer Erfahrung nach funktioniert Diversifikation auf dieser Ebene sehr gut.

Welche Rolle spielen aktive beziehungsweise passive Anlagen?

Lehmann: Aktives Management wäre in diesem Ansatz ein Widerspruch, denn dann kämen wir zu anderen Korrelationen. Es gibt aber Ausnahmen, etwa bei europäischen Small Caps – derzeit unser einziges aktiv gemanagtes Mandat. Dafür gibt es einen objektiven Grund: Ein passives Engagement in europäischen Small Caps ist schwierig, es fehlt an Liquidität. Würde man ganz darauf verzichten, brächte man sich aber um die Chancen und das Alpha-Potenzial in diesem Bereich. Im Rentenbereich verfahren wir ähnlich. Im Bereich Immobilien haben wird drei Beteiligungsgesellschaften mit Direktanlagen, aus Diversifikationsgründen in Größenordnungen von 10 bis 25 Millionen Euro pro Einheit.

Sie sprachen von Ihrer langfristigen Ausrichtung. Reagieren Sie auch auf aktuelle Geschehnisse?

Lehmann: Taktische Allokationen sind bei uns sehr selten. So haben wir von Dezember 2018 bis Mai 2019 die Aktienquote leicht angehoben, da wir den Rückgang am Markt für nicht gerechtfertigt hielten. Auch jetzt in der Corona-Krise haben wir unsere Aktienquote geringfügig erhöht. Außerdem reagieren wir bei Ereignissen, die die Gesetze des Marktes außer Kraft setzen. Zum Beispiel haben wir uns nach dem Brexit-Votum 2016 fast vollständig aus Großbritannien und nach dem Tod von Nelson Mandela 2012 komplett aus Südafrika zurückgezogen. In solchen außergewöhnlichen Phasen kann Diversifikation nicht mehr funktionieren.

Durch das Nullzinsumfeld ist es sehr schwierig geworden, mit festverzinslichen Anlagen noch Renditen zu erzielen. Haben Sie Ihre Anlagestrategie anpassen müssen?

Lehmann: Wir kaufen seit vielen Jahren keine Bundesanleihen oder Pfandbriefe mehr und sind ausgewichen auf andere europäische Länder, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Schwellenländer, und zwar in Lokalwährungen. Währungsrisiken sichern wir nicht ab, denn höhere Zinsniveaus erhält man nur, wenn man genau das nicht macht. Außerdem haben wir unsere Rating-Anforderungen behutsam gesenkt von BBB auf BB-. Unsere Erfahrung ist, dass unterhalb des Investment-Grade-Bereichs die Angebotspalette viel größer wird und die Titel nicht unbedingt schlechter sind. In diesem Bereich ergibt sich oft ein kleines Fenster mit guten Opportunitäten. Und wir haben, oft mit Unbehagen, die Laufzeiten erhöht – angesichts der immer weiter fallenden Zinsen die richtige Entscheidung.