Wandelanleihen Die Vielseitigkeit einer wenig beachteten Anlageklasse

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Doch es gibt weitere, plausible Gründe eine Wandelanleihe zu begeben. Dies kann zum Beispiel reine finanzielle Arbitrage sein. Das Unternehmen begibt eine Wandelanleihe mit niedrigem Kupon und sichert die potenziell zukünftige Zahlungsverpflichtung aufgrund eines hohen Aktienkurses direkt bei der Emission ab. Es kann durchaus sein, dass das Unternehmen hierbei in Summe günstiger wegkommt, als mit einer normalen Anleihe – obwohl es im Endeffekt aus Sicht des Unternehmens auf das gleiche Ergebnis herausläuft. Ein weiterer Grund kann sein, dass ein Unternehmen aus historischen Gründen Aktien eines anderen Unternehmens hält. Dann könnte das Unternehmen selbst eine Anleihe emittieren (und wäre damit als Emittent auch der entscheidende Faktor in der Kreditanalyse), die zugrundeliegende Aktienoption sich aber auf ein anderes Unternehmen bezieht.

Ein Beispiel für dieses Fall ist die RAG-Stiftung, deren Aufgabe die Finanzierung der Altlasten aus dem Steinkohlebergbau ist. Zu diesem Zwecke „erbte“ die Stiftung einen Anteil von knapp 70 Prozent an Evonik. Die Stiftung wählte den Weg einer Wandelanleihe, um den Anteil potenziell zu reduzieren. Durch die Emission erhielt die Stiftung Kapital, um ihre Investments zu diversifizieren. Würde die Evonik-Aktie über einen definierten Schwellenwert (=Wandlungspreis) steigen, so würde die Stiftung quasi automatisch ihren Anteil verringern. Würde der Kurs der Evonik-Aktie zum Laufzeitende unterhalb des Schwellenwertes liegen, so würde die Stiftung die Aktien behalten, könnte aber in gleichem Stil direkt eine weitere Wandelanleihe begeben.

Für den Investor ergibt sich eine spannende Situation: Aufgrund ihrer Struktur, ihrer Satzung und der Vermögenswerte stellt die RAG-Stiftung einen sehr sicheren Emittenten dar. Andererseits kann er an einer möglichen positiven Kursentwicklung der Evonik-Aktie partizipieren. Emittent der Wandelanleihe (=Kreditrisko) und zugrunde liegende Wandlungsoption (=Aktienchance) sind in diesem Fall nicht identisch, was die Situation komplexer aber auch gerade interessant macht. Ähnlich verhält es sich auch bei einer Wandelanleihe der amerikanischen Investmentbank J.P. Morgan, die wandelbar in Aktien von Ping An ist.

Bei Ping An handelt es sich um einen chinesischen Versicherungskonzern mit Fokus auf Lebensversicherungen. Daneben hält Ping An aber auch eine mehrheitliche Beteiligung an der Ping An Bank und ist in klassischen Schaden- & Unfall-Versicherungsbereichen aktiv. Der Versicherungsmarkt in China ist im Verhältnis zu vielen anderen Nationen noch deutlich unterpenetriert. Als technologisch fortschrittliches Unternehmen investiert Ping An zudem nicht nur selbst in die Entwicklung moderner Methoden, sondern auch in Start-ups und kleinere Unternehmen. Diese werden/wurden im Falle einer erfolgreichen Weiterentwicklung selbst an die Börse gebracht, wie beispielsweise im Falle von Ping An Good Doctor.

Der chinesische Markt für Lebensversicherungen wurde lange Zeit von wenig(er) nachhaltigem Wachstum dominiert. Die Versicherungskonzerne stellten haufenweise Versicherungsagenten an, die dann Freunde und Familie mit Versicherungen versorgten – und sich dann wieder einen anderen Job suchten, nachdem diese „low-hanging fruits“ abgearbeitet waren. Ping An wählte zuletzt einen anderen Weg und setzt verstärkt auf Versicherungsagenten, die über einen längeren Zeitraum in der Lage sind, Kunden zu gewinnen.

Dies sollte mittelfristig zu einem deutlichen Vorteil gegenüber dem eher auf kurzfristiges Volumen ausgelegten „Massen-Agenten-Prinzip“ führen. Doch auch der hohe Grad an technologischem Fortschritt, die potenziell steigende Penetration des chinesischen Versicherungsmarktes und letztlich auch steigende Zinsen (steigende Nettozinsmarge) könnten positive Faktoren für die Entwicklung von Ping An darstellen.

Doch ein Investment in Ping An birgt auch Risiken. Die Struktur des Unternehmens ist komplex, es verfügt über eine Vielzahl an Beteiligungen. Der Markt unterliegt typischerweise einem erhöhten Grad an Regulierung, die nicht immer einfach zu antizipieren ist. Nachrichten könnten mitunter verzögert in englischer Sprache zugänglich sein. Aus diesen Gründen ist die Beurteilung der Kreditwürdigkeit und des potenziellen Downside-Risikos der Aktie erschwert.

Die US-Bank J.P. Morgan hat als Emittent eine Wandelanleihe mit Wandlungsoption (aber nicht Pflicht) in Aktien von Ping An begeben. Die zinslose Anleihe läuft bis Ende 2023 und wird dann zum Nominalwert zurückbezahlt, es sei denn die Aktie von Ping An ist bis dahin über den Wandlungspreis gestiegen. Das Risiko des Investments liegt damit zu großen Teilen in der Zahlungsfähigkeit von J.P. Morgan, die mittlerweile vermutlich zu den diversifiziertesten und stabilsten globalen Finanzinstituten gehört.

Die Chance des Investments liegt dagegen fast ausschließlich in der Aktienentwicklung von Ping An begründet. Zwar haben Zinsumfeld und die operative Entwicklung von J.P. Morgan in Bezug auf den Anleihewert einen geringen Werteinfluss, zum Ende der Laufzeit aber wird die Wandelanleihe zum Nominalwert zurückbezahlt, oder aber eben zum eventuell höher liegenden Wert der zugrunde liegenden Aktien von Ping An. Somit bietet diese Wandelanleihe ein ganz besonderes Chance-Risiko-Profil, abhängig von zwei unterschiedlichen Unternehmen.

Der Kapitalmarkt bietet viele Chancen, und gerade Wandelanleihen sind dabei auch ein wichtiger Baustein. Doch nicht in jeder Marktphase empfiehlt es sich einen Schwerpunkt auf Wandelanleihen zu legen. Vielmehr ist es sinnvoll, einen dynamischen, agilen Ansatz zu verfolgen und Chancen dort zu nutzen, wo es sie gibt.

 

Über den Autor:

Fabian Leuchtner ist Mitgründer und Geschäftsführer der unabhängigen, inhabergeführten Investmentboutique Aguja Capital mit Sitz in Köln. Er und sein Geschäftspartner Dimitri Widmann, beide vormals Flossbach von Storch, sind unter anderem Fondsberater des Mischfonds Squad Aguja Opportunities.

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