Das Ende einer Erfolgsgeschichte? „Die traditionelle Geldpolitik funktioniert nicht mehr“

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Gewinnen andere Theorien und Ideen angesichts der aktuellen Probleme neu an Relevanz? Die Modern Monetary Theory (MMT) etwa wirft einen neuen Blick auf unser Geldsystem. Auch die Idee des „freien Geldes“ von Friedrich August von Hayek, also einer Privatisierung des Geldangebots, hat ihre Anhänger.

Raviol: Unser Geldsystem ist an einen Punkt gekommen, an dem es nicht mehr so funktioniert wie bisher. Daher ist es wohl kein Zufall, dass neue Dinge entstehen wie die MMT, der zufolge sich der Staat als Währungsherausgeber unbegrenzt verschulden kann, ohne dass es zu Inflation kommen muss. Aus meiner Sicht ist das Konzept Unsinn und dient als Rechtfertigung für ungebremste Fiskalpolitik. Mein Eindruck ist aber, dass wir in dieser Welt schon ein Stück weit angekommen sind, vor allem in den USA mit ihren enormen Staatsausgaben. Zumindest als Gedankenspiel halte ich hingegen die Idee des freien Geldes für hoch spannend. Klar ist aber: Ein Übergang wäre immer mit heftigsten Schmerzen verbunden. Niemand hat derzeit wohl Interesse daran, ein solches Experiment zu wagen.

Binswanger: Mit dem Konzept des freien Geldes haben wir im 19. Jahrhundert keine guten Erfahrungen gemacht. In der Welt ohne Zentralbanken vergaben Geschäftsbanken regelmäßig zu viele Kredite, es kam zu Krisen. Aus diesem Grund wurden Zentralbanken eingeführt.

Wäre es besser, Geschäftsbanken bei der Geldschöpfung auszuschalten, wie es Anhänger des Aktiv-/Vollgeldes fordern?

Raviol: Das Vollgeldsystem verschiebt nur den Ort der Geldschöpfung. Das Problem, dass die Zinsen nicht mehr angehoben werden können, wäre damit nicht gelöst. Und ich bezweifle, dass die Zentralbanken die notwendigen Kreditmengen abschätzen könnten. Das ist eindeutig Planwirtschaft – und das hat noch nie funktioniert.

Binswanger: Man darf nicht vergessen: Im Großen und Ganzen funktioniert unser System erstaunlich gut und ist eine enorme Erfolgsgeschichte. Daher haben die Schweizer das Konzept des Vollgeldes 2018 in einer Volksabstimmung auch abgelehnt. Sie wollten ein bewährtes System nicht aufs Spiel setzen. Ich sehe im Moment kein anderes Geldsystem, das einen entscheidenden Vorteil bringen würde. Es gibt Probleme, ja – die lösen wir aber nicht, indem wir ein anderes Geldsystem einführen.

Unser Geldsystem ist dann doch nicht reformbedürftig?

Binswanger: Wir schauen beim Thema Geldsystem immer stark auf die Inflation. Was wir zu wenig sehen, ist, dass unser Geldsystem auch für das Wirtschaftswachstum entscheidend ist. Ohne die Geldschöpfung durch Banken, also die Möglichkeit der Kreditvergabe für Investitionen ohne Einschränkung des Konsums, könnte es ein solches Wirtschaftswachstum nicht geben. Unser Geldsystem ist ganz intrinsisch verbunden mit unserem Wirtschaftssystem. Aber alles hat seinen Preis und der ist in diesem Fall die Instabilität. Finanzkrisen begleiten uns seit über 200 Jahren, in Zeiten mit und in Zeiten ohne Zentralbanken. Heute ist tatsächlich mehr Geld im Umlauf, als es profitable Investitionsmöglichkeiten in der realen Wirtschaft gibt. Da muss man immer wieder schauen, damit das nicht eskaliert.

Dieses Interview wurde uns freundlicherweise von Lupus alpha zur Verfügung gestellt und stammt aus dem aktuellen Leitwolf-Magazin. Link zum Magazin leitwolf 007 (leitwolf-magazin.de)


Zu den Interviewten:
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. 2015 schrieb er das Buch „Geld aus dem Nichts. Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen“. 2020 belegte er im Schweizer „Ökonomen-Einfluss-Ranking“ der NZZ Platz drei.

Alexander Raviol ist Partner und Chief Investment Officer Alternativ Solutions von Lupus alpha. Er verantwortet mit seinem 9-köpfigen Team Volatilitätsstrategien von über zwei Milliarden Euro.

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