Neue Basistechnologien: Wasser auf die Mühlen der Kapitalismusfeinde
Es gibt in den westlichen Gesellschaften eine starke antikapitalistische Stimmung. Dies ist keine neue Erkenntnis, schon Joseph Schumpeter hat sie 1942 in seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ eingehend analysiert. Als Schlüsselfaktor für die Feindschaft gegenüber der Marktwirtschaft erkannte Schumpeter die wachsende Bedeutung der gesellschaftlichen Gruppe der „Intellektuellen“. Dies sind Menschen höherer Bildung, die sich selbst als von der Gesellschaft missverstanden verstehen, und hierfür dem Kapitalismus die Schuld geben. Sie engagieren sich bei gesellschaftlichen Missständen, mit denen sie nicht direkt etwas zu tun haben. Dabei haben sie aber weniger die konkrete Mängelbeseitigung im Auge, als eine Veränderung des verantwortlich gemachten Systems.
In vorkapitalistischen Zeiten war höhere Bildung ein Privileg und führte zu gesellschaftlich hoch angesehenen Positionen mit guter Bezahlung. Die Zahl der Arbeitsplätze für Gebildete hat jedoch seitdem bei Weitem nicht so stark zugenommen wie die der Menschen mit höherer Bildung. Deshalb werden viele Gebildete unbefriedigend beschäftigt oder bleiben arbeitslos – die Zahl der Intellektuellen steigt an. Ihre Unzufriedenheit übertragen sie auf ihre Mitmenschen und schüren Unmut über das wirtschaftliche und politische System.
Zu Schumpeters Zeiten hingen die meisten Intellektuellen noch dem Sozialismus an. Das offensichtliche Scheitern dieses Gegenmodells zur Marktwirtschaft hat jedoch nicht dazu geführt, die Kapitalismusfeindlichkeit in den westlichen Demokratien zu vermindern; ganz im Gegenteil. Das Fehlen einer Alternative zum Kapitalismus hat seine Gegner lediglich noch frustrierter gemacht. Heutzutage wollen sie als Globalisierungskritiker oder als Kämpfer für (Verteilungs-)Gerechtigkeit die Welt verbessern, ohne aber eine konkrete Vorstellung davon zu haben, wie eine bessere Welt aussehen soll.
Die „großen Konzerne“ und ihre angebliche Macht eignen sich immer noch als ein Feindbild, mit dem alle Übel der Welt erklärt werden können. Technischer Fortschritt wird als Instrument der Konzerne gesehen, die ihre Interessen auf Kosten anderer durchsetzten, und als Bedrohung empfunden.
Mit der fortschreitenden Einführung neuer Basistechnologien wird ein weiterer Kahlschlag von potenziellen Intellektuellen-Berufen verbunden sein. Insbesondere durch künstliche Intelligenz wird eine Tätigkeit stark leiden, die schon Schumpeter als klassische Intellektuellen-Beschäftigung beschrieben hat, und die sich wie keine andere zum Verbreiten von (oberflächlichen) Meinungen eignet: der Journalismus. Das Tagesgeschäft der Aufarbeitung von Nachrichten wird zunehmend von Auswertungs-Programmen übernommen; für Qualitätsjournalismus mit tiefer gehenden Reportagen und Analysen sinkt zudem die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft.
Demokratische Blockade statt Maschinensturm: Fortschrittsfeindschaft 2.0
Steigende Ungleichheit, die drohende Wegrationalisierung von gut bezahlten Berufszweigen sowie eine wachsende Anzahl von kapitalismuskritischen Intellektuellen erzeugen ein geistiges Klima, das fortschrittsfeindlich ist. Es ist dennoch im Allgemeinen nicht zu erwarten, dass es zu radikalen „Maschinenstürmereien“ wie im 19. Jahrhundert und brutalen Niederschlagungen kommt.
Stattdessen werden Protestgruppen die Möglichkeiten des demokratischen Rechtsstaates und der Einflussnahme über Medien nutzen, um Fortschritt zu blockieren. Sie gründen neue oder infiltrieren alte Parteien, führen Gerichtsprozesse und unterstützen Streiks. Public Relations Aktionen und Lobbyismus werden von Kapitalismusgegnern inzwischen genauso professionell genutzt wie von ihren Gegnern. „Sachbücher“ und Presseartikel werden geschrieben und massenweise verkauft, die schreckliche Gefahren aufgrund von drohenden Veränderungen heraufbeschwören.
Einen evolutionären Prozess wie den technischen Fortschritt kann man nicht aufhalten. Man kann höchstens versuchen, sich an Unvermeidbares anzupassen und den Prozess in die eigene Richtung beeinflussen. Verlierer sind nicht zu verhindern. Vermeidbar ist jedoch, dass die Anzahl der Verlierer zu groß wird sowie dass diese ins soziale Nichts fallen. Doch hierzu wäre schon heutzutage vorausschauendes Handeln wichtiger Entscheidungsträger erforderlich. In westlichen Demokratien fällt dies führenden Politikern aber immer schwerer.
Aktuell dominiert ein Politikstil, der darauf basiert, unangenehmen Wahrheiten auszuweichen. Jeder Wählergruppe wird versprochen, für ihre Interessen einzutreten. Diese sind oft widersprüchlich und zumeist auf Besitzstandswahrung aufgerichtet. Um es allen recht zu machen, werden Entscheidungen entweder vermieden oder verwässert, um nur ja keinem wehzutun. So werden notwendige Anpassungen in der Regel auf die lange Bank geschoben, was langfristig die Situation verschlimmert. Nur noch im äußersten Notfall, wenn etwas richtig schief geht, besteht die Chance auf Veränderung. Letztlich ist es dann aber Glücksache, ob Politiker diese Gelegenheiten für sinnvolle Veränderungen nutzen oder mit Aktionismus am Ende noch mehr kaputtmachen – wie zuletzt in der Eurokrise.
Schumpeter entwickelte 1942 eine skeptische Vision, in dem er eine Selbstvernichtung von Demokratie und Marktwirtschaft aufgrund der Eigendynamik von kreativer Zerstörung und wachsender Kapitalismuskritik prognostizierte. Damals konnte er jedoch noch nicht ahnen, dass 1) der Sozialismus als damals noch gefürchtete Alternative sich sehr viel schneller als der Kapitalismus selbst vernichten würde; sowie 2) Technologiebegeisterung, vorausschauendes Denken und Kapitalismus in Asien eine neue Symbiose eingehen würden.
Singapur: Smart Nation statt Technologieverweigerung
Ein Land, dessen Regierung sich jetzt schon den Herausforderungen durch den Technologiewandel stellt, ist Singapur. Dort wurde zum offiziellen Politikziel erklärt, eine „Smart Nation“ zu schaffen, das heißt ein Land, das auf die Veränderungen durch technischen Fortschritt eingestellt ist. Um dies zu verwirklichen, wurde eine Agentur mit der Bezeichnung „Infocomm Development Authority (IDA)“ geschaffen. Sie soll in den kommenden Jahren unter der Bezeichnung „Smart Nation Platform (SNP)” eine Infrastruktur für die Nutzung neuer Technologien entwickeln.
Ende 2015 beginnt eine Testphase, in der lokale Versuche mit drahtlosen Konnektivitätssensoren und Netzwerken laufen. In einem späteren Stadium sollen dann Technologien entwickelt und umgesetzt werden, die eine Umsetzung im großen Maßstab erlauben. Insbesondere besteht das Ziel, Anwendern die interkonnektive Nutzung ihrer IT-Geräte in jeder Phase ihres Alltags sowohl mobil wie auch an festen Standorten zu ermöglichen. Hiermit sind bisher noch nicht da gewesene Anforderungen an die technische Leistungsfähigkeit von Netzen sowie an die Datensicherheit verbunden.
Der offene und proaktive Umgang mit neuen Technologien wird Singapur nicht nur ermöglichen, die Folgen des anstehenden Wandels besser zu bewältigen. Es gibt dem Land auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil im zukünftigen globalen Wettbewerb. Singapur steht dabei nicht alleine, auch andere asiatische Länder wie China und Südkorea treiben den Einsatz neuer Technologien konsequent voran. Speziell die europäischen Länder müssen aufpassen, dass sie nicht weit zurückfallen. Dies wäre nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht problematisch: Wenn es wenig demokratischen Staaten wie Singapur oder China leichter fällt, langfristig wegweisende Entscheidungen zu treffen, ist die Grundidee der Demokratie gefährdet.
Neue Technologien: in Europa kein einfaches Erfolgsrezept für Anleger
Für Anleger bringt die zunehmende Verwendung neuer Technologien zunächst einige offensichtliche Vorteile, da sie hohes Gewinnwachstum bei Unternehmen ermöglichen. Kapitaleinkommensbezieher werden gegenüber Arbeitseinkommensbeziehern bevorzugt. Es gibt einen strukturellen Druck auf Lohnkosten. Dieser wirkt deflationär, was neben Aktien auch Renten hilft.
Andererseits wird es an der Börse nicht einheitlich nach oben gehen, sondern eine starke Differenzierung zwischen Gewinnern und Verlierern geben. Firmen mit Wettbewerbsnachteilen werden noch schneller zurückgedrängt als in früheren Zeiten. Innovative Unternehmen können hingegen sehr schnell und profitabel wachsen. Nur bei Aktien von solchen Gewinnern ist mit herausragenden Renditen zu rechnen. Bei Indexanlagen besteht die Gefahr, dass man zu viele Verlierer mit kauft.
Weiterhin sollte man davon ausgehen, dass speziell die europäischen Demokratien mit den anstehenden sozialen Veränderungen sehr schlecht zurechtkommen. Der latente Antikapitalismus und eine Blockadehaltung behindern notwendige Anpassungen und machen im Endeffekt alles schlimmer. Zudem wird man als Anleger, der mit seinen Investments von Veränderungen profitiert, Bestandteil des Feindbildes, und damit ebenfalls zum Ziel für kapitalismusfeindliche Politik.
Im traditionell technikaffinen Deutschland spielt die Wirtschaft im Moment die Rolle des Einäugigen unter den Blinden. Viele Firmen positionieren sich in Hinblick auf neue Basistechnologien, in der Regel jedoch ohne über den Tellerrand von „Industrie 4.0“ hinauszusehen. Einige sehr innovative Unternehmen dürften in ihren Segmenten in der Zukunft ihre Spitzenpositionen behalten oder sogar ausbauen. Für eine gute Zukunft des ganzen Landes reicht dies aber nicht: Politik und Gesellschaft verdrängen – genau wie die europäischen Nachbarn – bisher weitgehend Gedanken an kommende soziale Veränderungen. Eine weitere Spaltung der Gesellschaft in wenige Gewinner und viele Verlierer, die nicht so recht wissen, was sie eigentlich falsch gemacht haben, ist deshalb auch hier wahrscheinlich. Wenn die sozialen Konflikte in der Folge weniger schlimm werden als in anderen europäischen Ländern, sollte dies nicht trösten, weil andere Regionen der Welt wirtschaftlich vorbeiziehen. Wenn zudem die Verlierer politisch die Konsequenz ziehen, dass der Kapitalismus vor allem an ihrer Lage schuld sei, werden sie notwendige Änderungen eher verhindern als unterstützten.
Vor Jahrzehnten haben Asiaten westliche Technologie imitiert, um den Anschluss an die damals führenden Nationen zu schaffen. Heute sollte Europa von Asien die Aufgeschlossenheit für neue Technologien (wieder) lernen. Sonst verlieren wir mehr als nur ein paar veraltende Berufszweige.