Die sozialen Folgen des Technologiewandels Die Zukunft gibt es nicht umsonst

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Druck auf die Mitte und Superstars

Seit einigen Jahren erscheint immer mehr Literatur zum Thema Einkommens- und Vermögensverteilung, deren Quintessenz die Gleiche ist: In entwickelten Ländern nimmt die ökonomische Ungleichheit seit ca. 30-40 Jahren immer weiter zu. Die bereits Wohlhabenden werden immer wohlhabender, während der Lebensstandard sozial schwächer gestellter Personen mehr oder minder stagniert. Nur ein relativ geringer Anteil der Bevölkerung, dem es vorher schon gut ging, profitiert wirklich vom Wirtschaftswachstum.

Je nach politischer Ausrichtung wird diese Tatsache unterschiedlich interpretiert: entweder als Ausdruck zunehmender Ungerechtigkeit, der durch staatliche Verteilungspolitik entgegengesteuert werden muss. Oder sie wird als bedauerliche, aber gleichzeitig unvermeidbare Nebenwirkung eines ökonomischen Prozesses angesehen, der dazu führt, dass die Menschen, die leistungsfähiger sind oder ihr Kapital rentabler anlegen, ebenfalls ihren Wohlstand immer schneller mehren können.

Sieht man sich die Fakten genauer an, so stellt man drei Tendenzen fest, die weder zu der einen noch der anderen Vorstellung so recht passen wollen:

1) Das Klischee von den Reichen, die immer reicher werden, ist nur für die Spitze der sehr Wohlhabenden richtig. In der Top 10 Prozent oder selbst in der Top 1 Prozent der Vermögenden sind die schnell wachsenden Vermögen eine Ausnahme. Es sind vor allem die Superreichen – also die 0,1% wohlhabendsten Menschen der Welt – auf die der Großteil des Wohlstandszuwachses konzentriert ist.

2) Die Ungleichheit führt nicht dazu, dass die Armen absolut gesehen immer ärmer werden. Allerdings ist die Gefahr für Angehörige der Mittelschicht gestiegen, zu verarmen. Geringe Arbeitsplatzsicherheit und ausgedünnte Sozialsysteme haben schon bei so mancher Mittelschichtfamilie, deren Ernährer unerwartet arbeitslos wurde, zum sozialen Absturz geführt. Und selbst bei denjenigen, denen es noch gut geht, hat die Abstiegsangst zugenommen.

3) Es gibt im Gegensatz zu früheren Zeiten kaum Fluktuation zwischen den einzelnen Schichten. Eine Karriere vom „Tellerwäscher zum Millionär“, also der schrittweise soziale Aufstieg durch kontinuierlich hohen Arbeitseinsatz, ist heute in Europa und USA äußerst selten geworden. Persönliche Netzwerke und Bildungsanforderungen fungieren zunehmend als Schranken, die speziell Angehörige der unteren Mittelschicht beim Aufstieg hindern.

Diese Entwicklungen werden durch die zunehmende Automatisierung der Arbeitswelt nicht verbessert. Im Gegenteil, sie dürften sich noch weiter verschärfen. Dies liegt nicht nur daran, dass Veränderungen in der Produktionsweise typische Mittelschichtberufe besonders gefährden. Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee habe in ihrem 2014 erschienen Buch „The Second Machine Age“ auf eine weitere Tendenz hingewiesen, welche die starke Verengung zur Spitze fördert: die Entwicklung zur „Superstar-Ökonomie“: In unserem Internet-Zeitalter führen globale Märkte und hohe Informationstransparenz dazu, dass sich Kunden mit ähnlichen Interessen nahezu überall auf der Welt für die gleichen Anbieter entscheiden. Wenige Spitzenanbieter konkurrieren gegeneinander – oder es gibt überhaupt keinen Wettbewerb mehr, weil ein Anbieter von Anfang an schon so dominant ist, dass keiner sich mehr traut, gegen ihn anzutreten.

Wie in Sport oder Popmusik gibt es auch in der Wirtschaft immer mehr globale „Superstars“. Im Gegensatz zu den Größen des Sports oder der Unterhaltung können Firmen aber ihre zeitweise Dominanz in dauerhafte monopolartige Positionen ausbauen; mit entsprechenden Konsequenzen für ihre langfristige Profitabilität. Unternehmen wie Amazon, eBay, LinkedIn, Facebook oder Google haben sich in ihrer Strategie hierauf eingestellt, indem sie von Beginn her anstrebten, der – oder einer der – globalen Dominatoren im jeweiligen Markt zu werden. Es ist kein Zufall, dass hinter diesen Unternehmen zumeist ehemalige Studenten amerikanischer Eliteuniversitäten bzw. mit einem familiären Hintergrund in der IT-Industrie stehen. Mittelständische oder regional fokussierte Firmen haben es in einem solchen Umfeld zunehmend schwerer.

Die Null-Grenzkostengesellschaft: keine schöne neue Welt

Für den amerikanischen Zukunftsforscher Jeremy Rifkin ist dies alles kein Problem. Für ihn handelt es sich um die konsequente Fortsetzung einer Entwicklung, die im 19. Jahrhundert mit der industriellen Revolution begonnen hat. Durch sie wurde das elende, fast sklavenartige Leben des größten Teiles der Menschheit beendet. Die Produktivitätssteigerungen einer zweiten industriellen Revolution im 20. Jahrhundert ließ die Arbeit in Landwirtschaft, Fabriken und Handwerk dramatisch zurückgehen. Die dritte Revolution im 21. Jahrhundert werde der massenhaften Lohn- und Gehaltsarbeit ein Ende setzen. Am Ende stehe ein im Wesentlichen von Rechnern erstelltes Produkt- und Dienstleistungsangebot, für das nur noch wenige Aufsichtskräfte benötigt würden.

Rifkin sieht am Ende der Entwicklung einen von den Mühen der Arbeit befreiten Menschen, der sich vor allem mit sozialen Dingen beschäftigen kann, weil sowieso fast jede produktive Tätigkeit von Robotern besser und effizienter erstellt werden kann. Weil eine Ausdehnung des Angebots so zu praktisch minimalen Kosten erfolgen kann, hat Rifkin diese Zukunftsgesellschaft mit „NullGrenzkostengesellschaft“ bezeichnet. Weil fast alles zu sehr geringen Kosten zur Verfügung steht, wäre Armut zumindest materiell betrachtet kein großes Problem mehr.

Der Schönheitsfehler bei Rifkins Vision ist, dass schon heute kaum noch jemand arbeitet, um einen Mindestlebensstandard zu haben. Es ist tief in der Psychologie des Menschen verankert, dass keiner unterdurchschnittlich sein will. Und das bevorzugte Mittel, sich selbst zumindest in einem bestimmten Bereich profilieren, und damit auch Selbstwertgefühl zu erhalten, ist Arbeit. Die Entlohnung ist letztlich die Anerkennung für erzielte Leistungen; und da diese immer relativ zu sehen sind, ist das relative Einkommensniveau (und die Dynamik hierin) für Menschen sehr wichtig. Psychologisch schlimm ist es besonders, wenn der Trend dreht: Menschen können nur sehr schlecht damit umgehen, wenn sie etwas bisher Erreichtes abgeben müssen und sozial nach hinten rutschen.

Genau dies wird aber mit der nächsten Welle der Automatisierung passieren. Rifkins neuer Mensch wird nicht nur von den Mühen der Arbeit befreit, sondern auch vom Selbstbewusstsein, das Arbeit – und die damit verbundene Entlohnung – vermittelt. Dass freigesetzte LKW-Fahrer, Lokführer, Kreditsachbearbeiter oder Steuerberater mit sozialen Tätigkeiten einen angemessenen Ersatz für ihre verlorenen Berufe sehen, ist kaum anzunehmen. Für sie dürfte Rifkins Null-Grenzkostengesellschaft eher eine Horrorvision sein, die es unbedingt zu vermeiden gilt. Umso wichtiger ist es daher, sich frühzeitig über akzeptable Alternativen für wegfallende Berufe Gedanken zu machen.