Die sozialen Folgen des Technologiewandels Die Zukunft gibt es nicht umsonst

Karl-Heinz Thielmann, Vorstand von Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage

Karl-Heinz Thielmann, Vorstand von Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage

vor 204 Jahren entstand ein Großbritannien eine radikale Volksbewegung: die Maschinenstürmer. Textilarbeiter, die ihren Berufsstand durch die kommende Mechanisierung der Stoff- und Bekleidungsherstellung gefährdet sahen, griffen zu Gewalt-Maßnahmen, um ihren Status zu sichern. Sie zerstörten mechanische Webstühle und neu errichtete Fabriken, um den Austausch von qualifizierten Arbeitern durch Ungelernte zu verhindern oder um gegen Verschlechterungen der Bezahlung sowie der Arbeitsbedingungen zu protestieren. In Großbritannien wurde die Rebellion bis 1814 blutig niedergeschlagen, die Unruhen flackerten aber 1816 und 1830-1833 wieder auf. In Deutschland kam es zwischen 1815 und 1849 zu insgesamt 186 dokumentierten Fällen des „Maschinensturms“.

In den Jahren danach wurden die Aufstände der Maschinenstürmer von romantisch gesinnten Autoren als Rebellion der Unterprivilegierten gegen das frühkapitalistische System verklärt. Ökonomen wiederum sahen diese Gruppe vorwiegend als rückständige Fortschrittsverweigerer an, deren Aktionen bornierte Technikfeindlichkeit widerspiegelte.

Beide Sichtweisen sind jedoch viel zu einfach und reflektieren die historischen Tatsachen nur unzureichend. Die Aufständischen waren weder grundsätzlich technikfeindlich, antikapitalistisch noch unterprivilegiert. Im Gegenteil: Es handelte sich größtenteils um qualifizierte Facharbeiter und Handwerker, die für damalige Verhältnisse relativ gut verdienten. Ihr Kampf war nicht gegen Ausbeutung oder den Fortschritt gerichtet. Für sie ging es um die Besitzstandswahrung ihrer ökonomisch nicht mehr wettbewerbsfähigen sozialen Gruppen.

Der unvermeidbare Preis der kreativen Zerstörung

Mit „kreativer Zerstörung“ hat Joseph Schumpeter den Prozess beschrieben, der unsere kapitalistische Wirtschaftsordnung vorantreibt und Wohlstand generiert. Der technische Fortschritt führt dazu, dass neue Unternehmen und Branchen entstehen, die effizienter produzieren als bisherige. Dieser Prozess ist für die Gesamtwirtschaft positiv, da so der Wohlstand der Gesellschaft gemehrt wird. Allerdings führt er auch zu Verlierern, den verdrängten Berufsgruppen. Den hier Beschäftigten wird durch Innovation die Lebensgrundlage entzogen.

Die Maschinenstürmer sind ein Beispiel für Menschen, die persönlich sehr negativ durch die kreative Zerstörung betroffen waren, und darauf besonders radikal reagierten. Ihr Widerstand war gerade deswegen so heftig, weil es ihnen wirtschaftlich vorher gut ging und sie an sozialem Status und Wohlstand einbüßten. Für jeden Menschen – und das gilt für jeden von uns bis heute – ist es psychologisch sehr schwierig, mit einer Zurücksetzung zurechtzukommen. Dies gilt insbesondere, wenn man a) gut situiert ist und es deswegen materiell viel zu verlieren gibt; sowie b) wenn man als Grund für diese Niederstufung kein konkretes eigenes Versagen feststellen kann, sondern hierfür externe Faktoren, wie z. B. den technischen Fortschritt verantwortlich sieht.

Soziale Sprengkraft entfaltet dieser Prozess insbesondere dann, wenn es aufgrund von Basisinnovationen zu grundlegenden Veränderungen in der Wirtschaft kommt. Dann nämlich werden große Berufsgruppen überflüssig gemacht, ohne dass ihre Beschäftigten in ausreichendem Umfang von den neu entstehenden Wirtschaftszweigen aufgefangen werden können. Vor 200 Jahren waren dies Tuchscherer, Baumwollweber und Strumpfwirker. Heute stehen wir mit der Einführung von leistungsfähigen neuen Robotern und künstlicher Intelligenz wieder vor einer absehbaren Welle des strukturellen Niedergangs von vielen bisher relativ gutbezahlen und hoch angesehenen Berufen.

Arbeit im heutigen Sinne wird durch den Technologiewandel infrage gestellt

Heute besteht die Möglichkeit, dass neue Technologien menschliche Arbeit nicht nur wie in früheren Innovationsphasen verändern und effizienter machen, sondern ganz ersetzen. Denkt man die Einsatzmöglichkeiten von Robotern und künstlicher Intelligenz zu Ende, so ist in ca. 20-40 Jahren ein Zustand vorstellbar, in dem Roboter die meisten heute von Menschen geleisteten Arbeiten zuverlässiger und effizienter erledigen. Lediglich wenn es auf Kreativität bzw. bestimmte handwerkliche oder kommunikative Fähigkeiten ankommt, dürfte der Mensch seine Überlegenheit (vorerst) behalten.

Dies würde noch größere gesellschaftliche Veränderungen bedingen als bisherige Phasen des Strukturwandels. Und ähnlich wie in der Zeit der Maschinenstürmer werden vor allem spezialisierte Berufe mit einem relativ hohen Qualifikationsgrad betroffen. Bloß diesmal werden es Tätigkeiten wie Steuerberater, Kreditsachbearbeiter oder Lokführer sein. Bei ihnen kommt es vorwiegend auf Genauigkeit und Zuverlässigkeit an; hier haben Rechner mit künstlicher Intelligenz zunehmend Vorteile.

Niedrig qualifizierte Beschäftigte sind zwar im Prinzip von den Veränderungen ebenfalls betroffen. Doch sie haben im Vergleich mit intelligenten Maschinen zwei Vorteile, die zumindest für die nächsten Jahrzehnte einen gewissen Schutz gewähren:

1) Selbst für mit künstlicher Intelligenz betriebene Roboter sind einfache manuelle Tätigkeiten nach wie vor sehr schwierig. Um diese durchzuführen, ist nicht nur hohe Rechenleistung, sondern auch eine leistungsfähige Sensorik und feingliedrige Mechanik erforderlich; beide sind mit hohen Kosten verbunden. Menschliche Arbeitskraft wird hier auf absehbare Zeit einfach billiger bleiben.

2) Sie werden relativ oft im Service-Bereich eingesetzt, wo es auf zwischenmenschliche Kontakte ankommt.

Selbst wenn Berufe wie Altenpfleger, Zimmermädchen, Kellner oder Küchenhilfe zunächst relativ ungefährdet erscheinen, kann sich dies aber langfristig ändern. Zudem ist ihr Vorteil im Kampf um den Erhalt des Arbeitsplatzes mit einem ganz grundsätzlichen Nachteil verbunden: Die Entlohnung erlaubt kaum mehr als die Finanzierung des Lebensunterhalts. Sie eröffnet nur die Perspektive auf sehr bescheidenen Wohlstand, von gesellschaftlichem Aufstieg ganz zu schweigen. Wird „arm trotz Arbeit“ zum Lebensmotto eines Großteils der nächsten Generationen; zumindest bevor im nächsten Schritt auch noch ihre Berufe durch immer günstigere Roboter wegrationalisiert werden?

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