ESG-Experte zur Aktienduration Die Schattenrotation der nachhaltigen Kapitalanlage

Seite 2 / 3

Mithilfe welcher Daten wird dies umgesetzt?

Entscheidend für das Identifizieren der Unternehmenseigenschaften, die verstärkt vom langfristigeren Investor bevorzugt werden, sind neben der Relevanz der ESG-Strategien die Verfügbarkeit, Qualität und finanzielle Materialität der Daten, mit denen Nachhaltigkeit in Portfolios umgesetzt wird:

ESG-Ratings: Auf der Suche nach Kennzahlen greifen Asset Manager auf externe Ratinganbieter zurück. Diese Datensätze decken viele Themen ab, die beim Beurteilen von ESG-Chancen und -Risiken in der Fundamentalanalyse zum Tragen kommen (ESG-Integration). Kooperationen zwischen Fondsbewertungsplattformen und Anbietern von ESG-Bewertungen setzen Portfoliomanager verstärkt dem Anreiz aus, sich nach best-in-class (industrie-spezifisch) und best-of-class (industrieübergreifend) ESG-Ratings auszurichten, um im Wettbewerb um Anlagevermögen nicht das Nachsehen zu haben (Positivlisten). Ergebnisse aus ESG-Analysen haben ebenfalls Einfluss auf den kritischen Dialog, den Fondsmanager mit Unternehmen führen, in die sie im Auftrag ihrer Kunden investieren (Engagement).

Ausschlusskriterien: Diese speisen sich meist aus zwei Quellen: Zum einen aus Umsätzen, die Unternehmen in kontroversen Geschäftsfeldern wie Waffen, Tabak und Alkohol erzielen (Negativlisten) – und zum anderen aus kontroversen Geschäftspraktiken, mit denen Firmen international anerkannte Wertekonzepte wie den UN Global Compact, die Menschenrechtskonvention, die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen oder die Arbeitsrechtstandards der ILO verletzen (normenbasiert). Ausschlüsse orientieren sich hierbei entweder an harten Grenzwerten (> 0 Prozent Exposure), an subjektiven Grenzwerten (zwischen 0–x Prozent) oder an von der Regulierung vorgegebenen Grenzwerten.

Letzteres könnte beispielsweise bei Übernahme des BVI-Zielmarktkonzeptes durch Mifid II geschehen: Demnach werden Unternehmen aus Portfolios ausgeschlossen, wenn Umsätze aus Herstellung und/oder Vertrieb folgende Grenzwerte überschreiten: kontroverse Waffen > 10 Prozent, Tabakproduktion > 5 Prozent und Kohle > 30 Prozent. Darüber hinaus werden Unternehmen ausgeschlossen, die durch schwerste Kontroversen – im Sinne von Verletzungen des UN Global Compact – belastet sind.

Umsatzanteile: Um positives Exposure gegenüber investierbaren Themen gemäß den UN-Nachhaltigkeitszielen und der geplanten EU-Taxonomie aufzubauen, dienen ebenfalls Umsatzanteile als Indikator, die sich entsprechend zuordnen lassen (Impact Investing, thematische Präferenzen). Obwohl dies lediglich eine Basis für Anlageentscheidungen darstellt und die tatsächliche Investition von weiteren Aspekten abhängt, gilt jedoch im Umkehrschluss auch, dass Titel mit 0 Prozent Exposure ggü. entsprechenden Themen nicht in Screenings auffallen.

Klimadaten: Implikationen des Klimawandels werden in allen ESG-Strategien berücksichtigt. Damit verbundenes Chancenpotenzial wird, ähnlich wie das positive Exposure, meist Unternehmenstätigkeiten zugeordnet, mit denen sich Ursachen des Klimawandels bekämpfen lassen und dessen Folgen mildern. Hauptsächlich liegt der Fokus bei der Berücksichtigung des Klimawandels in Portfolios aber auf der Risikokomponente. Dabei wird auf Ergebnisse anerkannter Klimamodelle abgestellt. Zentral sind dabei unseres Erachtens drei Aspekte:

  • Erderwärmungspotenzial: Ist ein Titel konform mit dem 2°-Celsius-Ziel der UN? Wenn nicht, welche inkrementellen Investitionen sind nötig, um konform zu sein? Die Kennzahl bemisst, inwiefern Unternehmen mit dem < 2°-Celsius-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen übereinstimmen, was auf Basis von CO2-Emissionen mit den Bemessungsgrundlagen Scope 1-3 unter Berücksichtigung von CO2-Reduktionzielen ermittelt wird.
  • Anpassung der Unternehmenswerte: Ist ein Abschlag oder eine Prämie auf den Marktwert eines Unternehmens fällig, um Effekte steigender CO2-Regulierung, physischer Risiken oder Chancen durch techno-logischen Wandel zu berücksichtigen? Im 2°-Celsius-Szenario verwendet das Risikomodell die Kohlenstoffpreise aus dem AIM-CGE-Modell, Technologievoraussetzungen unter Verwendung unternehmensspezifischer Patentportfolios und Trenddaten für extreme Wetterverhältnisse.
  • Abzuschreibende Vermögenswerte: Zählt ein Unternehmen zu den Lösungsanbietern, die die Folgen des Klimawandels helfen abzufedern, oder drohen Abschreibungen auf sogenannte Stranded Assets – d. h. auf Vermögenswerte, die z. B. aufgrund neuer Regulierung weniger werthaltig sind als dies bislang bilanziert wurde?

Beim Vergleich der Daten (Abbildung 4) fällt Folgendes auf: Erstens korreliert die Verteilung der ESG-Ratings stark positiv mit dem Maß für Aktienduration – vorbildlich nachhaltig bewertete Titel gehen mit einer hohen Aktienduration einher. Zweitens hat diese Verteilung ein ähnliches Investmentprofil wie das des investierbaren Universums nach Anwendung des BVI-Zielmarktkonzeptes, das künftig in der MiFID-II-Richtlinie berücksichtigt werden soll. Drittens veranschaulicht diese Verteilung die Höhe der Umsatzanteile, die sich den Nachhaltigkeitszielen der UN zuordnen lassen. Und viertens spiegelt diese ebenfalls Klimarisiken äquivalent wider.

Während die Gleichförmigkeit der ESG-Daten stimmig erscheint, sollte dies aus Risikomanagementperspektive als Warnsignal verstanden werden. Denn es besteht die Gefahr, dass bei unreflektierter Anwendung dieser Daten erzeugte Neigungen in Portfolios zu erheblichen Konzentrationsrisiken führen – das Gegenteil einer Di-versifikation, die für die Balance zwischen Renditechancen und Risikoabwägungen essenziell ist.

Insbesondere drei Faktoren könnten diese Entwicklung künftig noch verstärken, die bislang wenig kritisch in der globalen Finanzpresse diskutiert wurden:

  • Striktere Finanzmarktregulierung: Die geplante EU-Taxonomie-Verordnung und die Anpassung der MiFID-II-Richtlinie haben zur Folge, dass der Nachhaltigkeitsbegriff durch Gesetzestexte vereinheitlicht wird. Dies bietet Asset Managern verstärkt den Anreiz, Portfolios hiernach auszurichten, um gegenüber Vergleichsindizes oder Wettbewerbern in Fondsratings und in der Fondsberichterstattung überdurchschnittlich abzuschneiden.
  • Vereinheitlichte Finanzmarktberichterstattung: Stärker harmonisierte Konzepte zur nichtfinanziellen Berichterstattung durch die entsprechenden Institutionen werden den Konsens um ESG-Kennzahlen prägen. Dies könnte dazu beitragen, dass ESG-Ratings immer mehr angeglichen werden, welche Fondsmanagern wiederum als Grundlage für Anlageentscheidungen dienen. Ein Beispiel hierfür sind Kooperationen innerhalb der Interessensgemeinschaft des Corporate Reporting Dialogue.
  • Konsolidierung im ESG-Datenmarkt: Die Fusionen von ESG-Ratinganbietern reduzieren darüber hinaus die Anzahl der Datensätze, die für Asset Manager bei der Konstruktion aktiver wie passiver Finanzprodukte relevant sind. Je konzentrierter das Angebot an Kennzahlen, die standardisiert für globale Anlageuniversen verfügbar sind, desto gleichförmiger der Kapitalfluss, der diesen Mustern folgt. In den vergangenen 20 Jahren konsolidierten die fünf Plattformen MSCI, Morningstar, ISS (wurde 2020 von der Deutsche Börse Group akquiriert), S&P Global und Moody’s, beinahe den gesamten Markt an international agierenden ESG-Bewertungsfirmen.

Ein weiterer Aspekt, der bei der Antizipation von Effekten auf die Portfoliokonstruktion relevant ist, aber nicht geschätzt werden kann, ist, welche Datenanbieter sich im Zuge der Konsolidierung durchsetzen. Wir bevorzugen in diesem Punkt eine differenzierte Meinung in puncto wahrscheinlichstes Szenario gegenüber dem Verwenden von Durchschnittswerten auf Basis von Daten vieler Anbieter.