Kunst-Expertin im Gespräch „Die Rendite liegt im Einkauf“

Kunst-Expertin Ruth Polleit Riechert

Kunst-Expertin Ruth Polleit Riechert: „Die wichtigste Regel ist, nur das zu kaufen, was gefällt.“ Foto: Anne Simon

Frau Polleit Riechert, mit dem Kunstkauf gehen viele Vorurteile einher. Eines davon: in erster Linie eine Lifestyle-Attitüde von Menschen, die sonst schon alles haben. Wie denken Sie darüber?

Ruth Polleit Riechert: Ja, dabei handelt es sich um eines der gängigsten Vorurteile, dass Kunst viel kostet und nur etwas für Vermögende ist. Aber eigentlich ist Kunst für alle da. Das war das Anliegen der Pop und Street Artists aus den 1980er-Jahren. Unvergessen das Motto von Keith Haring: „Art is for everybody“, das nicht komplett umgesetzt, aber heute mit Banksy wieder aufgenommen wurde. Es gibt erschwingliche Kunstwerke für kleine Budgets, man muss nur wissen, wo und wie man gute Qualität zu einem fairen Preis findet. 

Kunst als eine Art von Therapeutikum?

Polleit Riechert: Kunst kann auf jeden Fall ein wunderbares Thema sein, mit dem man sich ein ganzes Leben lang beschäftigen kann. Am schönsten ist es, ein Thema zu finden, das fasziniert und in das man sich einarbeitet. Dann wird man zum Experten eines bestimmten Künstlers, einer Epoche oder Stilrichtung. 

Woher kommt dann die Zurückhaltung vieler Menschen beim Kauf von Kunst?

Polleit Riechert: Der Hauptgrund ist die mangelnde Transparenz bei den Preisen. Niemand versteht, warum einzelne Kunstwerke eine bestimmte Summe kosten. Wenn Menschen dann über die Medien von Auktionsrekorden lesen, deren Preise sie überhaupt nicht nachvollziehen können, schreckt dies weiter ab. 

 

Manch einer, der in Sachwerte investieren möchte, sucht sich dann wohl lieber einen Oldtimer aus, da hier die Preise einigermaßen nachvollziehbar sind.

Polleit Riechert: Die gute Nachricht: Die Situation wird besser. Die Pandemie hat die Digitalisierung des Kunstmarkts forciert und damit einhergehend die Veröffentlichung von Preisen nach sich gezogen – vor allem im Bereich bis 5.000 Euro. Diese neue Transparenz hat dazu geführt, dass über ein Drittel des gesamten Umsatzes am Kunstmarkt online erzielt wird. Besonders junge Menschen gehören hier zu den Käufern: Click & Buy.

Gibt es eine Regel, die einem dabei hilft, die richtige Kunst für sich auszusuchen?

Polleit Riechert: Die wichtigste Regel ist, nur das zu kaufen, was gefällt. Dazu sollte man sich so viel wie möglich anschauen, damit man erst einmal herausfindet, was einem langfristig zusagt und einen fesselt. Das bedeutet, in sich zu investieren, so viel wie möglich über Kunst zu lernen und nur zu kaufen, wenn man sich auskennt. Diese beiden Regeln, „Investiere in dich selbst“ und „Kaufe nur, wenn du eigentlich nicht wieder verkaufen möchtest“ empfiehlt Warren Buffett auch bei Käufen von Unternehmensanteilen, die ich in meinem Buch „Kunst kaufen“ auf den Kunstmarkt übertragen habe.

Untersuchungen zeigen, dass sich die Millennials viel stärker für Kunst interessieren als vormals die Generation der Babyboomer. Woran liegt das?

Polleit Riechert: Besonders in Deutschland ist die Generation der Babyboomer noch besonders von einem akademischen Respekt in Bezug auf Kunst geprägt. In England oder den USA gehen Menschen schon länger entspannter mit Kunst um. Gerade die jüngere Generation, die durch das Internet geprägt ist, hat keine Berührungsängste, auch online zu kaufen. 

Muss Kunst automatisch teuer sein?

Polleit Riechert: Auf keinen Fall – auch wenn es Menschen gibt, die nur teure Kunst kaufen, weil sie glauben, dass dies mit Qualität verbunden ist. Aber das hat mit der bereits beschriebenen mangelnden Transparenz zu tun. Hervorragende Unikate im unteren vierstelligen Bereich findet man bei Akademieabsolventen. Auch bei Unikaten und Editionen von bekannten internationalen Künstlern kann man gute Schnäppchen machen, vor allem auf Auktionen. 

Haben Sie noch einen speziellen Tipp?

Polleit Riechert: Wenn es um Kunst als Investment geht, gilt wie überall: Die Rendite liegt im Einkauf. Insofern sollte der Preis unter dem Wert liegen, sonst hat man überteuert gekauft und wird kein gutes Investment machen. Teure Kunst wird somit als Geldanlage uninteressant. Und selbst wenn dieser Aspekt nicht im Vordergrund steht: Niemand möchte irgendwann feststellen, dass er zu viel bezahlt hat.

Gibt es eine Faustformel, nach der man den Preis eines zeitgenössischen Kunstwerks halbwegs verlässlich fixieren kann?

Polleit Riechert: Bei jungen Künstlern gibt es diese auf jeden Fall. Es ist die sogenannte Faktorrechnung, die in Deutschland an Akademien und in Galerien angewandt wird. Damit wird der Preis eines Kunstwerks nach Fläche berechnet: Höhe plus Breite mal Faktor. Bei Akademieabsolventen im Abschlussjahr liegt der Faktor in der Regel zwischen 10 und 13. Sobald Künstler ausstellen oder Verträge mit Galerien eingehen, kann der Faktor deutlich ansteigen und sich durchaus verdoppeln.