Die Geschichte vom Private-Equity-Aufstieg in Deutschland geht ungefähr so: Als Aktienanleger noch einen leichten Dotcom-Kater mit sich herumschleppten, warnte Franz Müntefering im Frühjahr 2005 mit scharfen Worten vor den Investoren, die sich abseits der Aktienmärkte an Unternehmen beteiligen. Private-Equity-Gesellschaften waren für den damaligen SPD-Vorsitzenden „Heuschrecken“. Seitdem verwendet die Branche viel Energie darauf, die Öffentlichkeit vom Gegenteil zu überzeugen. Mit folgender Erzählung: Private Equity schafft nicht nur Werte, sondern auch Arbeitsplätze. Außerdem können durch Private-Equity-Investoren Unternehmen gerettet und privates Kapital aktiviert werden – auch weil die Anlageklasse längst zum Standardrepertoire institutioneller Anleger gehört. Die in Deutschland investierten Summen stiegen jedenfalls tendenziell an.
Einige Hürden wurden seitdem genommen. Zahlreiche Indizien unterfüttern diese
Erzählung. So heißt es in einer von Invesco im Sommer veröffentlichten Umfrage unter Anlageverantwortlichen von Staatsfonds und Notenbanken, dass die Großanleger zunehmend Privatmarkt-Anlagen bevorzugen. Eine Auswertung von Pictet legt nahe, dass die mitunter beeindruckenden Anlageerfolge der großen US-Stiftungen auch mit dem großen Private-Markets-Anteil in ihren Portfolios zusammenhängt. Laut einer Umfrage, bei der das Analysehaus Telos Vertreter von institutionellen Investoren wie Altersvorsorgeeinrichtungen, Versicherungen, Kreditinstitute oder Kirchen und Stiftungen befragte, sind alternative Anlageklassen wie Private Equity schon bei 85 Prozent der Befragten Teil des Portfolios. Bei Altersvorsorgeeinrichtungen und Versicherungen gehört Private Equity zu den beliebtesten alternativen Anlageklassen.
Annette Hetzenegger vertritt eine solche Versicherung, seit Juni 2022 verantwortet sie als Vorständin der DEVK Versicherungen auch die Kapitalanlage des Konzerns. Bis zu 5 Prozent des investierten Kapitals legt Hetzenegger mit ihrem Team in Private Equity an, die Renditeerwartung liegt bei durchschnittlich 10 Prozent. Fragt man Hetzenegger nach der Vorliebe der Versicherungen für Private Equity, verweist sie auf das überzeugende Verhältnis von Performance und Volatilität: „Private Equity eignet sich besonders für langfristig orientierte Anleger, die bereit sind, auf erste Erfolge drei bis fünf Jahre zu warten, und die zudem dauerhaft investiert sein möchten.“
Krisenerprobt statt -immun
Die Dauerhaftigkeit verleiht Private Equity eine gewisse Aura von Stabilität. Losgelöst
von tagesaktuellen Kursen sollen Manager Werte schaffen – auch in herausfordernden Marktumfeldern wie aktuell. „Wir glauben nach wie vor, dass Private Equity eine solide und attraktive Asset-Klasse ist, die sich insbesondere in Krisen bewährt“, attestiert Hetzenegger den privaten Beteiligungen eine gewisse Resilienz. Eine Auswertung des Asset-Managers Schroders zeigt, dass – wenn auch abhängig vom jeweiligen Sektor – vor allem in Krisenzeiten aufgelegte Private-Equity-Fonds überdurchschnittliche Renditen erzielen konnten. Stefan Echter, der bei Wealthcap die alternativen Investments verantwortet stößt argumentativ ins selbe Horn: „Untersuchungen zeigen für Private-Equity-Buyout-Fonds eine langfristige Outperformance gegenüber den Aktienmärkten. Diese zeigt sich in allen Marktlagen, insbesondere aber in schwierigen Marktphasen.“ Zwar legen US-Daten zu den Secondaries-Märkten von Jefferies nahe, dass viele institutionelle Investoren im ersten Halbjahr 2022 aus Privatmarkt-Anlagen wie Private Equity ausstiegen, der Grund dafür liegt den Jefferies-Analysten zufolge aber eher in der Stabilität der Anlagen: Weil die Investments an den öffentlichen Märkten stärker fielen als die Bewertungen bei beispielsweise Private Equity, mussten viele Großanleger re-allokieren.
„Es kristallisiert sich heraus, dass beispielsweise der negative Einfluss der Inflation und der Zinsschritte der Zentralbanken auf Private Equity voraussichtlich überschaubar ist, solange sich kein stagflationäres Umfeld etabliert“, berichtet Philip Bunnenberg über Gespräche mit Investoren. Verschiebungen erwartet der Leiter des Bereichs Alternative Markets beim Bundesverband Alternative Investments eher innerhalb der Anlageklasse: Sowohl Investoren als auch Anbieter könnten Beteiligungen in China zugunsten von US-Anlagen abbauen.
So ganz sorgenlos kommen Private-Equity-Investoren dann doch nicht davon. So ist die Situation für Börsengänge ungünstig, was einigen großen Fonds bei ihren Beteiligungen eine Exit-Strategie kostet. Daneben sind viele Wermutstropfen dafür allerdings eher struktureller Natur. So verweisen die Schroders-Analysten auf die „Exzesse bei der Mittelbeschaffung“, die sich etwa in Late-Stage-Venture- und Growth-Segmenten rächen könnten. Hier stiegen die durchschnittlichen Bewertungen wegen des Wettbewerbs jüngst um ein Vielfaches, zuletzt bereinigte sich der Markt schon etwas. Hetzenegger von der DEVK hat noch weitere Bedenken: „Uns macht die Geschwindigkeit Sorgen, in der Nachfolgefonds aufgelegt werden. Das Kapital wird häufig sehr schnell investiert, und die Gefahr besteht, dass die Portfoliounternehmen nicht sorgfältig genug betreut werden können.“
Opfer des eigenen Erfolgs?
Die Probleme fußen gewissermaßen auf dem langjährigen Erfolg der Anlageklasse und der erzählten Geschichte. So stellt Hetzenegger auch fest, dass der Anteil des von Fonds eingesammelten Kapitals, der auch wirklich investiert wird, nach und nach abnimmt. „Das Geschäft rund um Private Equity verteuert sich für uns Investoren somit indirekt“, erklärt sie. Schließlich werden Managementgebühren in der – Jahre dauernden – Investitionsperiode meist auf Basis des eingesammelten Kapitals berechnet, wie Studien zeigen.
Der Anlageklasse bleibt die DEVK trotzdem treu, streut sie über mehrere Regionen, Segmente und Lebensphasen der Unternehmen. Auch bei der Wahl der mandatierten Manager achte man auf Erfahrung und Vielfalt, erklärt Hetzenegger. Gleichwohl sei der Aufwand auch für institutionelle Investoren enorm, nicht nur wegen der regulatorischen Vorgaben. „Unterschiedliche Gepflogenheiten in einzelnen Ländern, vor allem außerhalb der EU, erschweren und verteuern diese Kapitalanlage. Der Bürokratismus hat enorme Ausmaße angenommen“, merkt sie bezogen auf die Private-Equity-Anbieter an und führt aus: „Manche Private-Equity-Manager arbeiten mit recht investorenunfreundlichen Konditionen, hinsichtlich der Gebühren wie auch Haftungsgesichtspunkte betreffend.“
Bleibt die Frage: Wenn schon eine Vertreterin einer Versicherung mit einer milliardenschweren Kapitalanlage auf den Aufwand verweist, den Private Equity mit sich bringt, kann die Geschichte zum Aufstieg der Anlageklasse dann auch unter weniger potenten Investoren erzählt werden? In der Branche werden die strukturellen Herausforderungen durchaus zur Kenntnis genommen. Das schon von Hetzenegger angeführte Verhältnis aus Volatilität und Rendite bleibe trotz aller Widrigkeiten bestehen. Auch Wealthcap-Mann Echter verweist auf die Vorteile, die Private Equity auch Wholesale-Investoren mit niedrigeren Volumina biete: „Private-Banking-Kunden haben aufgrund der Höhe ihres Vermö ens mehr finanziellen Spielraum und damit sehr oft einen Equity-Anteil in ihrer Portfolio-Allokation, welchen sie durch Private Equity weiter diversifizieren und so potenziell die Rendite erhöhen können.“ Auch Bunnenberg erklärt mit Blick auf die Endinvestoren: „Es geht nicht mehr darum, ob Private Equity ins Portfolio gehört. Investoren stellen sich vielmehr die Frage, wie ihre PE-Allokation sinnvoll ausgebaut und weiter diversifiziert werden kann.“
So wirbt das Berliner Unternehmen Moonfare schon seit Längerem damit, Private Equity auch mit geringeren Mindestanlagen für Privatanleger verfügbar zu machen. Dabei sammelt das Unternehmen in luxemburgischen Feeder-Fonds das Kapital der Kunden, die Sammelstellen investieren dann in Fonds großer Anbieter. Zum einen müssen Anleger in solchen Konstruktionen aber den Umweg über die Feeder-Fonds nehmen. Zum anderen sind die Anlagen nicht besonders breit gestreut, wenn in Einzelfonds investiert wird. Deswegen bietet auch Moonfahre Dachfonds an, die etwas mehr Diversifizierung versprechen.
Weniger ist mehr
Insgesamt seien Einzelfonds und Dachfonds etwa gleich wichtig und damit „die relevanten Zugangswege in Deutschland“, erklärt Bunnenberg. Allerdings wird den Dachfonds teils ein undurchsichtiges Gebührenmodell nachgesagt. „Damit sind natürlich Kosten verbunden, dafür bekommt der Private-Banking-Kunde einen diversifizierten Zugang zu einer Asset-Klasse mit Alpha im Vergleich zum Aktienmarkt“, hält Echter dagegen, dessen Arbeitgeber Wealthcap entsprechende Dachfonds speziell an Private-Banking-Kunden vermarket. Auch weitere Dachfondsanbieter oder Privatbanken locken mit niedrigen Einstiegshürden. Der Preis steige mit dem Aufwand in Beratung und Verwaltung, erklärt Echter: „Je höher die Anzahl der Anleger, je kleinteiliger ihre Zeichnungsbeträge und je komplexer die Asset-Klasse, umso höher der Verwaltungs- und Beratungsaufwand und damit auch die Gebühren.“
Einen direkten Zugang oder einen Zugang über Co-Investments zu illiquiden Anlagen wie Private Equity ab einem Vermögen von mindestens 100.000 Euro bieten Fonds nach der Eltif-Regulierung. Das 2015 von der Europäischen Union geschaffene Fondsregime ist das illiquide Pendant zur Ucits-Regulierung. Für Markus Pimpl, bei der Partners Group für liquide Privatmarktprodukte verantwortlich, sind entsprechende Initiativen Gold wert: „Eine echte Demokratisierung von Private Equity kann typischerweise nur über die Regulierung funktionieren, beispielsweise mit dem Eltif.“
So kann ein Eltif- neben Ucits-Fonds mittels einer Isin ins Depot gebucht und steuerlich als Fonds behandelt werden, Manager dürfen nach Ende der Investitionsperiode maximal 30 Prozent Cash halten sowie maximal 10 Prozent des Kapitals in eine Anlage investieren. Gleichzeitig müssen die Manager der Fonds in mindestens zehn verschiedene Einzelanlagen investieren. Erlaubte Anlageklassen sind neben Private Equity auch Private Debt, Infrastruktur und weitere langfristig ausgerichtete Sachwerte. Mittlerweile gibt es allerdings Pläne, die Eltif-Regeln anzupassen, um innerhalb des Konstrukts beispielsweise auch in mehr liquide Anlagen sowie Dachfonds investieren zu können. „Die erwarteten Anpassungen des Eltif-Regimes könnten durch möglicherweise stark gelockerte Anlagerichtlinien den bisher ausgeprägten Eltif-Anlegerschutz reduzieren“, mahnt Pimpl, dessen Arbeitgeber Partners Group Eltif-Fonds anbietet.
Tatsächlich könnte ein Kapitel zulasten von Privatanlegern die so vorsichtig aufgebaute Geschichte vom deutschen Private-Equity-Aufstieg ganz schön durcheinanderbringen – was wohl auch die Private-Equity-Gesellschaften, Verbände und Investoren verhindern wollen, die seit Münteferings Insekten-Metapher diese Geschichte fleißig erzählen. Denn dass Private Equity in fast jedem Portfolio gut aufgehoben ist, sieht auch Pimpl so. „Ein klassisches 60-40-Portfolio wird den Herausforderungen der heutigen Zeit nicht mehr gerecht“, erklärt er und ergänzt hinsichtlich Private Equity: „Da die Anlageklasse bisher bei privaten Investoren kaum verbreitet ist, besteht in diesem Markt noch viel Potenzial.“