Herr Kommer, Sie sind Namensgeber des L&G Gerd Kommer Multifactor Equity UCITS ETF, der eine auf drei Säulen beruhende Weltportfolio-Strategie verfolgt, die Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen in der Finanzbranche entwickelt haben. War der Weg zum Produkt ein langsamer, stetiger Erkenntnisprozess oder gab es dabei einen besonderen Schlüsselmoment?
Gerd Kommer: Ja, in gewisser Weise gab es eine Schlüsselphase. Als ich Ende der 1990er Jahre anfing mich intensiv mit der Modernen Portfoliotheorie und der Effizienzmarkthypothese zu befassen, war für mich ziemlich bald klar: Intelligent investieren heißt wissenschaftlich und prognosefrei investieren. In den Branchenjargon übersetzt und auf Aktien angewendet bedeutet das „passiv anlegen mit global breit diversifizierten Indexfonds auf der Basis von Buy-and-Hold und regelbasiertem Rebalancing“. Man könnte auch sagen „in die Welt AG investieren“. Factor Investing als ein essenzieller Bestandteil des Weltportfoliokonzeptes kam einige Jahre später hinzu – zum einen, weil ich diesen superinteressanten akademischen Forschungszweig für mich selbst erst etwas später entdeckte und zum anderen, weil Factor-ETFs erst um 2010 wirklich in der europäischen ETF-Produktlandschaft Fuß fassten.
Herr Königsmarck, der Fonds ist ein diversifizierter Multifaktor-Aktien ETF, der in entwickelte Märkte und in Schwellenländern, sowie in Small-, Medium- und Large-Caps investiert. Wie ist der zugrundeliegende Index zusammengesetzt?
Philipp Königsmarck: Der ETF bildet den „Solactive Gerd Kommer Multifactor Equity Index“ ab. Dieser globale Aktienindex repräsentiert ungefähr 5.000 Titel aus Developed Markets und Emerging Markets, also etwa die Hälfte aller Unternehmen, die das hier relevante Aktienuniversum von 9.500 börsennotierten Unternehmen bilden. Diese 9.500 Unternehmen sind sozusagen der ganze globale Aktienmarkt über alle Länder und Branchen und machen über 98 Prozent der globalen Aktienmarktkapitalisierung aus. Um zu den 5.000 Aktien zu kommen, die es in unseren Index schaffen, wenden wir eine Reihe von Auswahlkriterien und -filtern an, die ausnahmslos aus der Wissenschaft abgeleitet sind.
Welche Auswahlkriterien sind das und in welchen wesentlichen Schritten verläuft die Titelauswahl und -gewichtung?
Kommer: Lassen Sie mich das kurz zusammengefasst schildern. Ich ignoriere dabei die technische Reihenfolge der Titelauswahl und -gewichtung im Index-Algorithmus. Eine Aktie, die es aus dem Gesamtuniversum in den Index schaffen will, muss eine Reihe von Kriterien erfüllen. In erster Linie sind das die „Faktor-Filter“, nämlich Low Size, Value, Quality, Momentum und Low Investment. Dann kommen noch weitere Filter- oder Ausschlusskriterien hinzu.
Welche sind das?
Kommer: Am vierteljährlichen Rebalancing-Datum darf ein Unternehmen ein Maximalgewicht von 1,0 Prozent im Index nicht überschreiten. Es darf kein Unternehmen sein, das in den letzten zwölf Monaten sein IPO hatte und keines, dessen Aktien aktuell sehr stark leerverkauft werden. Die Betonung von Faktorprämien und die weiteren Filterkriterien haben alle den Sinn, die statistisch erwartete Rendite des Portfolios zu erhöhen oder das Risiko zu senken. Beispielsweise haben IPO-Aktien statistisch unterdurchschnittliche Renditen. Dasselbe gilt auch für Aktien mit hohem „Short Interest“, also hoher Leerverkaufsquote. Deswegen filtern wir solche Aktien in unserem Index und damit dem ETF heraus.
Wie vermeiden Sie dabei Klumpenrisiken?
Königsmarck: Mit unserem ETF senken wir Konzentrationsrisiken gleich in mehreren Dimensionen: Das Gewicht einer Einzelaktie wird nicht allein durch ihre Marktkapitalisierung bestimmt wie in einem normalen Aktienindex, sondern nach dem 50/50-Prinzip aus Marktkapitalisierung und „BIP-Gewichtung“ (Bruttoinlandsprinzip). Das führt dazu, dass US-Aktien in unserem ETF derzeit ein Gewicht von rund 45 Prozent haben, während sie im MSCI World Index ungesunde 70 Prozent ausmachen. Der oben erwähnte 1,0-Prozent-Cap pro Einzeltitel soll vermeiden, dass einige wenige Mega-Large-Caps den Index und damit den ETF dominieren. Ein Beispiel: Apple hat aktuell ein Gewicht von über 5 Prozent im MSCI World Index und einige weitere US-Tech-Werte ein beinahe ebenso hohes. Auch das betrachte ich als ungesundes, latent gefährliches Konzentrationsrisiko. Außerdem zeigt die Forschung, dass die Top-10-Aktien, die größten Aktien weltweit, den globalen Aktienmarkt langfristig unterperformen, auch wenn das in den letzten Jahren nicht so war. Die Abbildung der vorhin genannten fünf Faktorprämien ist ein weiteres Konstruktionselement, das diversifizierend wirkt.
Inwieweit folgt der Fonds auch nachhaltigen Kriterien?
Königsmarck: Der Fonds ist aufsichtsrechtlich gesehen ein so genannter Artikel-8-Fonds, was bedeutet, dass er eine moderate Nachhaltigkeitsausrichtung hat. Was heißt das konkret für unseren ETF? Die Top-3-Prozent der Unternehmen in elf Hauptbranchen mit der höchsten Treibhausgasintensität werden ausgeschlossen. Der ETF berücksichtigt damit essenzielle Nachhaltigkeitsaspekte, über die am ehesten Konsens unter Anlegern herrscht. Er geht jedoch nicht so weit wie sehr viele andere radikalere ESG/SRI-Fonds, weil das Nachteile bei Diversifikation und Renditeerwartung hätte. Beispielsweise werden Energieunternehmen und Rüstungsunternehmen bei uns nicht pauschal ausgeschlossen.
Warum haben Sie sich für LGIM als Partner entschieden?
Kommer: LGIM, beziehungsweise die LGIM-Mutter Legal & General, mag in Deutschland nicht bekannt sein, ist aber einer der ältesten und größten Asset Manager in Europa. L&G verwaltet Kundengelder im Volumen von über 1.200 Milliarden Euro. Die Fonds-Tochter LGIM hat sehr viel Expertise beim Aufsetzen und Verwalten von Indexfonds und ETFs und insbesondere von „Nicht-Plain-Vanilla-ETFs“, also ETFs, die anspruchsvolle oder spezifische Indizes und Strategien abbilden. In diese Kategorie fällt unser ETF.
Über welche Expertise verfügt das ETF-Team von LGIM?
Königsmarck: Wir sind insgesamt ein sehr großes Haus, aber dennoch sehr flexibel, was die Produktgestaltung betrifft. Wir haben ein innovatives Team von Produktexperten, das sich in den letzten 5 Jahren von der Personenzahl mehr als verdoppelt hat. Damit sind wir in der Lage, kundenspezifische Lösungen zu bauen, was Häuser unserer Größe ansonsten ungern tun.
Was erwarten Sie von 2024 für die Aktienmärkte?
Kommer: Ich bin eher skeptisch, was den Nutzen von kurzfristigen Prognosen angeht, aber dessen ungeachtet würde ich sagen, dass der globale Aktienmarkt – also nicht der US-Markt und auch nicht die Tech-Branche – aktuell Mitte November 2023 fair bewertet ist. Das ist in die Zukunft gerichtet erst einmal ein gutes Zeichen. Zweitens gibt es nun wieder vernünftige Zinsen – für Privatanleger ist das ebenfalls eine gute Sache. Drittens scheint sich die Inflation erfreulicherweise wieder einem normalen Niveau anzunähern. Und wer sich aktuell Sorgen über die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland macht, der kann diese Sorgen bei seiner Vermögensanlage mit einem Produkt adressieren: Unser ETF bildet die „Welt-AG“ ab und eben nicht primär nur deutsche oder europäische Unternehmen.