ESG allein reicht nicht Die Finanzbranche muss sich radikal wandeln

Jacco Minnaar

Jacco Minnaar: Der Chef von Triodos Investment findet es beachtlich, dass ein Waffenhersteller bei ESG die höchstmögliche Punktzahl erreichen kann. Foto: Triodos Investment Management

Unser Planet und die Gesellschaft stehen vor großen und komplexen Herausforderungen. Ein Wirtschaftssystem, das ausschließlich an Leistung und Wachstum gemessen wird, übt einen noch nie dagewesenen Druck auf die Umwelt und unsere soziale Infrastruktur aus. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist ein radikaler Wandel erforderlich, bei dem das System nicht länger ausschließlich auf wirtschaftliche Expansion und finanzielle Rendite ausgerichtet sein kann. Wir müssen zu einem nachhaltigen System übergehen, das die ökologischen Grenzen respektiert und zum Wohle aller arbeitet. 

Der Investmentbranche fällt bei diesem Übergang eine bedeutende Rolle zu. Investoren können als Katalysator beim Übergang zu einer ausgewogenen Wirtschaft dienen, in der Natur- und Humankapital echte Wertschätzung erfahren. Dies gelingt aber nur, wenn das Kapital in die richtige Richtung fließt. Also in Projekte und Unternehmen, die wirklich etwas bewirken und zu einem systemischen Wandel beitragen. Als Investoren haben wir die einmalige Macht und Verantwortung, durch unsere Investitionen Ergebnisse zu erzielen, die wir sowohl für unsere Portfolios als auch für die Gesellschaft als wertvoll erachten.

Das wirft die Frage auf, warum weiterhin Kapital in Unternehmen fließt, die negative Auswirkungen auf unseren Planeten und die Menschen haben. Noch wichtiger ist die Frage, warum der Finanzsektor seine Verantwortung für die durch ihn ausgelösten Auswirkungen ablehnt. Die Finanzmärkte versagen schlichtweg bei der Aufgabe, der Realwirtschaft zu dienen, und üben erheblichen Druck auf die Unternehmen aus, Ergebnisse kurzfristig zu maximieren, anstatt ihnen die nötige Flexibilität zur Schaffung langfristiger, ganzheitlicher Werte zu ermöglichen. Das muss sich ändern. Glücklicherweise findet in der Investmentbranche bereits ein umfassender Wandel hin zu nachhaltigen und sozial verantwortlichen Investitionen statt.

Dabei entwickeln sich insbesondere ESG-Anlagen zunehmend von einem Nischentrend zum Mainstream. Im Hinblick auf die Integration von ESG-Faktoren in den Anlageprozess befinden sich reine Impact-Investoren mittlerweile in Gesellschaft großer Mainstream-Vermögensverwalter. Doch die Interpretation, die Motive und die Wertschätzung von ESG unterscheiden sich stark.





ESG-Investing ist eine Strategie, die sich primär auf ESG-Bewertungen stützt. Meistens werden diese Bewertungen von spezialisierten Drittagenturen berechnet und basieren auf den Environmental, Social und Governance Richtlinien – kurz ESG. Übersetzt sind dies Richtlinien eines Unternehmens in den Bereichen Umwelt-, Soziales- und den Aspekten der Unternehmensführung. Hierzu zählt auch, wie viel ein Unternehmen davon öffentlich preisgibt, wie beispielsweise durch die Veröffentlichung einer Umweltrichtlinie. Generell gilt: Je mehr umwelt-, sozial- und unternehmensführungsbezogene Informationen ein Unternehmen bekannt gibt, desto höher ist die ESG-Bewertung, die es erreichen kann.

Da diese Bewertungen weitgehend richtlinienbasiert sind, verwenden Portfoliomanager sie in der Regel, um schnell zu beurteilen, wie gut ein Unternehmen geführt wird. Oder mit anderen Worten, ob das Unternehmen alles unter Kontrolle hat und wie zuverlässig seine internen Prozesse sind? ESG-Bewertungen stehen meist nicht im Zusammenhang mit dem Geschäftsmodell eines Unternehmens. So kann ein Waffenhersteller die höchstmögliche Punktzahl erreichen und das trotz der negativen Wirkung des Unternehmens aufgrund der Rolle, die seine Produkte in der Gesellschaft spielen.

Bei typischen ESG-Anlagestrategien kommen diese Bewertungen als Best-in-Class-Methode zur Anwendung. Es werden aus jedem Sektor die Unternehmen mit den höchsten ESG-Bewertungen ausgewählt. Die Portfoliomanager legen Schwellenwerte fest und nehmen nur Unternehmen ins Portfolio auf, die ein bestimmtes Branchenranking erfüllen, oder sie gewichten die Portfoliopositionen gegenüber einem Index entsprechend dieser Bewertungen neu. Dabei werden Unternehmen mit einer hohen Bewertung übergewichtet, Unternehmen mit einer niedrigen Bewertung untergewichtet. Dieser sogenannte Best-in-Class-Ansatz hat sich rasch zu einem Standardansatz für nachhaltige Investitionen entwickelt.

Während man ESG-Investitionen als hellgrün bezeichnen kann, sind ethische und negative Ausschlüsse schon etwas dunkler. Schon seit Jahrzehnten werden Unternehmen aus ethischen Gründen ausgeschlossen, wobei sich diese Ausschlüsse, je nach Anlageverwaltungsinstitut, deutlich voneinander unterscheiden. Zu den am häufigsten ausgeschlossenen Produkten und Praktiken gehören Alkohol, Tabak, Pornografie, Waffen, Atomkraft, grobe Menschenrechtsverletzungen oder Unternehmen, die in oder mit sanktionierten Ländern Geschäfte machen.