Größte finanzielle Fehlallokation der Geschichte Die Carbon-Bubble

Ökoworld-Geschäftsführer Ralph Prudent

Ökoworld-Geschäftsführer Ralph Prudent

Der Ölkonzern ExxonMobil liefert sich seit langem mit Apple ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz 1 im Ranking der wertvollsten Unternehmen der Welt. Bei den Gewinnen ist ExxonMobil nicht zu schlagen: Mit fast 45 Milliarden US-Dollar lieferte der Ölkonzern 2012 den zweithöchsten Gewinn ab, den je ein Wirtschaftsunternehmen in der Geschichte erzielt hat.

Öl- und Gasunternehmen schreiben im Schnitt satte Gewinne. Und so soll es weiter gehen. Aufgrund der wachsenden globalen Nachfrage werden immer höhere Investitionen in immer aufwendigere und kostspieligere Explorations- und Fördertechniken gesteckt, um die förderbaren Reserven zu erhöhen, die entscheidenden Einfluss auf den Börsenwert haben. Die Frage, was diese Reserven tatsächlich wert sind, ob die hohen Investitionen gerechtfertigt sind oder ob wir hier vielmehr eine der größten finanziellen Fehlallokationen der Geschichte erleben, die fatale Auswirkungen haben könnte, wird nicht gestellt. Eine merkwürdige Frage angesichts des stetig wachsenden globalen Energiehungers, meinen Sie? Keineswegs!

Warum Carbon-Bubble?
Erinnern wir uns: Ein wesentlicher Grund für die Entstehung der US-Immobilienblase war die falsche Annahme, dass Immobilienpreise immer weiter steigen würden. Nur unter dieser Grundannahme schien es wirtschaftlich sinnvoll, die sogenannten „NINJA-Hypotheken“ (NINJA = No Income, No Job, No Assets) an im Grundsatz mittellose Hauskäufer zu vergeben. Eine Weile ging dies gut. Dann hat diese Annahme die Welt aber in eine massive Krise geführt, unter deren Auswirkungen wir noch heute leiden.

Eine ähnlich falsche Annahme könnte sich hinter der Bewertung von Kohle-, Öl- und Gaskonzernen verbergen. Die Annahme nämlich, dass die in den Büchern der Unternehmen bewerteten Reserven auch tatsächlich gefördert und verkauft werden können. Denn das wird mehr und mehr in Zweifel gezogen. Studien sprechen bereits von einer Carbon-Bubble, auf die unsere Kapitalmärkte zusteuern.

Wollte man die Klimaerwärmung auf die als tragbar angesehenen 2 Grad begrenzen, müsse der größte Teil der bereits bekannten fossilen Energiereserven im Boden bleiben. Die Rechnung ist einfach: Klimaexperten gehen davon aus, dass bis 2050 noch maximal 565 (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung) bis 1.000 Gigatonnen (Internationale Energie Agentur) Kohlendioxid (CO₂) in die Atmosphäre gepustet werden dürfen, wollte man das 2-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent, beziehungsweise 50 Prozent einhalten. Die bisher bekannten fossilen Energiereserven der Konzerne und staatlichen Förderunternehmen beinhalten jedoch bereits Emissionen von fast 2.900 Gigatonnen CO₂. Demnach dürften also noch 20 bis 30 Prozent der vorhandenen Reserven gefördert und verbrannt werden. Der Rest wäre wertlos, weil er im Boden bleiben muss. Milliardenschwere Investitionen in Exploration und Fördertechnik für die Erschließung neuer Reserven, die vermutlich nie gefördert werden können, wären fehlallokiert und müssten abgeschrieben werden.

Die Folgen für die Unternehmensbewertung hat Royal Dutch Shell bereits 2004 gespürt. Damals musste die Chefetage eingestehen, die eigenen Reserven um 20 Prozent überschätzt zu haben. Der Unternehmenswert an der Börse sank um satte 3 Milliarden Pfund oder 10 Prozent.

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Was bedeutet das für Investoren?
Die möglichen Auswirkungen einer „Carbon-Bubble“ auf die Marktkapitalisierung europäischer Konzerne hat HSBC im Januar 2013 in ihrem Report „Oil & Carbon revisited – Value at risk from ,unburnable‘ reserves“ untersucht. Staatliche Klimaschutzregulierungen werden aus Sicht der Kapitalmarktexperten zusätzlich die Nachfrage nach Öl verringern und zu entsprechenden Preisrückgängen führen. Insgesamt beziffern sie das Abwertungsrisiko auf 40 bis 60 Prozent des aktuellen Börsenwertes europäischer Ölkonzerne. Eingepreist sind diese Risiken an den Börsen ihrer Meinung nach bisher nicht.

Vor kurzem hat die Bank noch einmal nachgelegt: Schreite die Entwicklung fort wie bisher, so HSBC, rast die Welt auf einen „Peak Planet“ zu, in dem das gesamte noch bis 2050 zur Verfügung stehende CO₂-Budget bereits 2030 aufgebraucht sein wird. Um die Klimaziele jedoch zu erreichen, muss der CO₂-Gipfel spätestens 2020 erreicht sein. Die Botschaft von HSBC ist klar: Die möglichen Risiken können die Kapitalmärkte schneller als von den Investoren gedacht treffen. Kapital- und kostenintensive Projekte wie beispielsweise Schweröl- und Ölsandförderung tragen das größte Risiko, aber auch alle anderen CO₂-intensiven Vermögenswerte (fossile Energiereserven) in den Unternehmensbilanzen werden von regulatorischen Einschränkungen betroffen sein und sind daher dem wachsenden Risiko des Werteverfalls ausgesetzt. 20 bis 30 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung der Börsen von Sydney, London, Moskau, Toronto oder São Paulo beruhen auf der Förderung von fossilen Energieträgern. Auch in anderen wichtigen Indizes sind derartige Unternehmen prominent vertreten.

Investoren müssen sich dieser Realität stellen. Klimarisiken müssen auch in Wertpapierportfolios gemanagt werden. Sicher ein Grund, warum eine zunehmende Zahl von Studenten, Professoren und Wissenschaftlern in den USA von den Universitäten fordern, mit ihren Fonds nicht mehr in Öl-, Kohle- oder Gaskonzernen zu investieren. Oder warum Aktionärsinitiativen auf Hauptversammlungen von den Unternehmen die risikoorientierte Neube- und damit Abwertung der fossilen Energiereserven unter Klimaschutzaspekten fordern, beziehungsweise Auskunft über das Abwertungsrisiko haben wollen.

 

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