Deutschland im Winterschlaf Wer rechnen kann, investiert nicht

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Der Konrdratieff-Winter

Die beste Erklärung für die Situation der Investitionsschwäche könnte jedoch die von Nikolai Kondratieff in den 1920er Jahren entwickelte Theorie der Langen Wellen der Konjunktur sein. Kondratieff hatte die Konjunktur-entwicklung über Jahrhunderte analysiert und dabei festgestellt, dass es neben den kurzfristigen Schwankungen einen längeren, zirka 50 bis 70 Jahre laufenden Zyklus gibt.

Diesen unterteilte er in die vier Phasen von erstem Aufschwung (Frühling), breitem Aufschwung (Sommer), erster Krise mit abnehmendem Wachstum (Herbst) bis zur schweren Krise mit länger anhaltender Stagnationsphase (Winter) – bevor es in seinem Modell wieder zu einem erneuten Frühling kommt.

In der Tat spricht einiges dafür, dass wir uns in einem Kondratieff-Winter befinden. Die alten Industrien leiden unter geringem Wachstum und verwenden den Cash Flow für Akquisitionen und Aktienrückkäufe statt für Investitionen. Die Verschuldung in der westlichen Welt ist auf Rekordniveau, und die Endnachfrage stagniert.

Die Lösung wäre, wie bereits von Schumpeter vermutet, mit neuen Industrien und Innovationen einen neuen Wirtschaftsboom zu entfachen. Ansätze für diese zukunftsfähigen Branchen gibt es bereits; man denke nur an das erhebliche Potential von Biotech, dem Internet der Dinge und alternativen Wegen der Energieerzeugung.

Naturgemäß tun sich die alten Unternehmen und Branchen schwer mit dem Wandel. Sie haben Angst vor Fehlinvestitionen. Konsequent gedacht, müssten sie ja ihr bestehendes Geschäft und die darin getätigten Investitionen mit aller Kraft selbst angreifen. Deshalb machen sie lieber nichts.

Die neuen Industrien werden wieder zu Wachstum und auch zur Bereinigung der Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft führen. Bis sie einen breiten Multiplikator-Effekt auf die Wirtschaft haben, dauert es aber.

Dies ist, was Schumpeter die „schöpferische Zerstörung“ genannt hat: nur wenn wir das Alte kaputt gehen lassen, kann das Neue kommen und Nutzen spenden.

Zunächst überwiegen jedoch die Faktoren, die das Alte am Leben erhalten: Niedrigste Zinsen und eine unzureichende Regulierung ermöglichen in vielen Branchen immer noch eine hohe Rentabilität.

Abhilfe aus der Politik

Also ist die Politik gefordert, den Druck zu erhöhen und den Wandel hin zum Neuen zu befördern. Eine höhere Besteuerung von Aktienrückkäufen, Dividenden und nicht investierten Mitteln, eine niedrigere Besteuerung von Investitionen, die Änderung der Rahmenbedingungen für neue Firmen und ein härteres Vorgehen gegen unzureichenden Wettbewerb würden helfen.

Stattdessen sonnt sich gerade in Deutschland die Regierung im derzeitigen Boom. Niemand hat uns gezwungen, die Renten zu erhöhen und faktisch die Rente mit 63 einzuführen. Besser wäre es allemal, das Geld für Bildung und Infrastruktur auszugeben.

Angesichts unserer demografischen Entwicklung sollten wir Innovation als Chance begreifen, gerade wenn es um eine zunehmende Automatisierung geht. Statt den Verlust von Arbeitsplätzen zu beklagen, sollten wir in der technologischen Revolution das sehen, was sie ist: die einmalige Chance unseren Wohlstand trotz schrumpfender Erwerbsbevölkerung zu erhalten.


Über den Autor:
Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“. Er war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Strategie¬beratung The Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior-Partner und Geschäftsführer. Seit 2007 berät er internationale Unternehmen im Umgang mit den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise.

Aktuell hat Stelter eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty im Verlag Frankfurter Allgemeine Buch veröffentlich. Mit seinem Buch „Die Schulden im 21. Jahrhundert“, das schon im Titel auf Pikettys Bestseller Bezug nimmt, weist Stelter auf die gravierende Betrachtungslücke seines französischen Kollegen hin, der in seiner Veröffentlichung übersieht, dass die Vermögen nur ein Symptom, die Schulden aber das wahre Problem der wirtschaftlichen Entwicklung sind.

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