Deutsches Steuerrecht in der Praxis Tempo 30, ohne Blitzer

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Anstatt ihrem Auftrag nachzukommen, eine faire und gerechte Besteuerung durch die genaue Ermittlung der Besteuerungsgrundlage zu gewährleisten, wird Pi mal Daumen Maß genommen. Wer hier geschickt agiert, kann vor den Augen - oder besser formuliert: mit Hilfe - des Finanzamtes im Grunde Steuern sparen.

Hinterzieht jemand übrigens Steuern, heißt das noch lange nicht, dass man ihn auch strafrechtlich verfolgen wird. Ein Beamter der Straf- und Bußgeldstelle erzählte mir vor einigen Jahren in einem Gespräch, dass von 300 Fällen, die im Jahr auf seinem Schreibtisch landen, maximal vierzig bis fünfzig bearbeitet werden. Der Rest verjährt. Besonders geschickte Steueranwälte nutzen diesen Umstand gern, indem sie den Bearbeitungsaufwand künstlich hochhalten.

Auf jedes Schreiben des Finanzamtes folgt ein Gegenschreiben, indem Beweis- und Rechtsgrundlagen angezweifelt werden - mag die Begründung dafür auch noch so hanebüchen sein.Hat der Anwalt auf diese Weise klargemacht, dass die ganze Angelegenheit für die Straf- und Bußgeldstelle keine leichte wird, läuft ganz schnell ein immer gleiches Muster ab. Die oder der zuständige Finanzbeamte schiebt die Verfolgung der Angelegenheit immer weiter nach hinten - denn dank des Anwalts ist die ganze Sache mit ordentlich Arbeit verbunden -, bis sie endgültig vom Tisch gefallen und verjährt ist.

Zu dieser Strategie würde ich aber niemandem raten. Das Verfahren kann sich über mehrere Jahre hinziehen. Für einen ziemlich langen Zeitraum ist für den Mandanten unklar, ob er sich bald in einem Steuerstrafverfahren wiederfindet oder nicht. So etwas lässt sich fast nur mit einem ordentlichen Maß an krimineller Energie aushalten. Auch ist unklar, ob das Finanzamt nicht letztlich doch erfolgreich sein will und das Verfahren komplett durchzieht.

Das alles hat natürlich Folgen. Durch die wenig engmaschigen Überprüfungen geht dem Fiskus eine ordentliche Summe durch die Lappen. Zum einen, weil Steuerhinterziehung nicht aufgedeckt, aber auch strittige Fragen nicht geklärt werden. Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft schätzt die entgangene Summe pro Jahr auf 50 Milliarden Euro. Damit hätte man in den vergangenen Jahren etliche Haushaltslöcher stopfen können, die Flüchtlingskrise hätte sich leicht wuppen lassen und für die Terrorbekämpfung wäre auch noch Kleingeld übrig.

Doch die personelle Aufstockung ist politisch nicht wirklich gewollt. Zum einen stehen wir Deutschen mit dem Finanzamt grundsätzlich auf Kriegsfuß. Das scheint wirklich ein typisch deutsches Ding zu sein. Unterhält man sich zum Beispiel mit Schweizern darüber, wie die Deutschen den Fiskus sehen, stößt man nur auf Unverständnis. Das Verhältnis der Eidgenossen ist da deutlich entspannter. Da verwundert es nicht, dass „Mehr Finanzbeamte!“ kein toller Wahlkampfslogan ist.