Stefan Freytag vom Deutsche Oppenheim Family Office „Wir sind frei von Bauchentscheidungen und taktischen Meinungen“

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Können Anleihen künftig wieder die stabilisierenden Eigenschaften bieten, die Investoren in der Vergangenheit gewohnt waren?

Freytag: Wenn wir nicht eine Wiederholung des Jojo-Effekts der Inflation erleben, wie wir es in den 1970er Jahren gesehen haben, dann ja. Wenn wir aber nochmal nach einer weiteren Beruhigung der Inflation einen zweiten starken Schub bekommen, der viele Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt, kann das für ein weiteres Desaster auf den Rentenmärkten sorgen. Dieses Szenario ausgeschlossen, bieten Anleihen wieder einen Carry beim laufenden Ertrag, der zwar noch nicht die Inflation ausgleicht, aber eben einen Carry darstellt, der teilweise höher ausfällt als Dividendenrendite von Aktien. Im Falle der deflatorischen Risiken, der systemischen Risiken – wenn doch noch mehr Banken in Schwierigkeiten kommen oder aus dem Immobilienbereich die nächste Sresssituation kommt – werden erstklassige Rentenpapiere genau das bieten können, was wir in einem ausgewogenen Konzept brauchen. Da trauen wir den US-amerikanischen Titeln unter der Prämisse eines Dollar-Hedge noch mehr zu, weil sie einen höheren Puffer als Euro-Anleihen bieten.

War 2022 ein schlechtes Jahr für die Strategische Asset Allocation?

Freytag: Die Frage haben wir uns auch selbst gestellt. Das Jahr 2022 war für die ganz klassische und mit den höchsten Wahrscheinlichkeiten unterlegten Erwartungen ein schlechtes Jahr – insofern ein schlechtes Jahr, weil kaum etwas funktioniert hat, was Diversifikation anging. Wir haben auf dem Radarschirm, dass sowas passieren kann. 2022 hat damit auch gezeigt, dass man die Risikoszenarien, die wir modellieren, nicht vernachlässigen darf. Wir wissen nicht, wann solche Jahre eintreten, aber wir wissen, dass es sie gibt. Insofern hatte das Jahr auch etwas Gutes, weil es die Sinne geschärft hat.

Stefan Freytag Deutsche Oppenheim
Stefan Freytag ist seit 2013 Vorstandsmitglied des Deutsche Oppenheim Family Office. © Deutsche Oppenheim Family Office

In welchem Turnus findet eine Überprüfung der SAA statt? Muss dieser kürzer werden?

Freytag: Unseren Mandanten, mit denen wir uns auf einem klassischen strategischen Beratungsfeld bewegen, bieten wir einmal im Jahr eine Überprüfung an. Das hat in den vergangenen Jahren zu diversen Veränderungen geführt, wie dem sukzessiven Abbau von Euro-Anleihen als Risikoschutz. In diesem Jahr haben wir unsere Renditeerwartung signifikant verändert. Darüber hinaus gibt es Modellierungsveränderungen immer. Bei der Inflationsrate haben wir beispielsweise bereits vorletztes Jahr den Pfad nach oben gesetzt. Das Gerüst unser strategischen Grundaussage hat sich in den vergangenen 15 Jahren aber kaum verändert. Das ist auch wichtig, denn sonst wäre es taktische Beratung.

Lassen Sie uns einen Blick auf die verschiedenen Assetklassen werfen. Worauf kommt es bei der Aktienauswahl aus Ihrer Sicht an?

Freytag: Auf eine weiterhin gute Mischung zwischen Innovation und Substanz. Wir sind derzeit eher im Bereich der Big- und Mid Caps unterwegs. Den ganz kleinen Unternehmen sollte man vorsichtig begegnen, weil es wichtig ist, dass Unternehmen eine hohe Resilienz in ihrer Finanzierungsstruktur haben. Wir sind auch kein Verfechter von reinen Growth- oder Value-Strategien. Die gute Mischung macht´s. Wir haben im ersten Quartal erlebt, was die Diskussion um KI für einen Impuls gegeben hat.

 

Sie sprechen es an: Durch Chat GPT ist der Megatrend Künstliche Intelligenz wieder in aller Munde – auch als Investmentthema. Welche Rolle spielen Megatrends in der SAA?

Freytag: Ganz puristisch sind Megatrends eigentlich Taktik in unserem Modell. Wir diskutieren aber immer wieder kontrovers darüber und überlegen, ob gewisse Bereiche nicht auch strategisch zu modellieren sind. Doch insgesamt sind Megatrends bis auf weiteres nicht das, was wir mit Strategie verbinden.

Wie blicken Sie auf den Immobilienmarkt?

Freytag: Derzeit sind wir noch immer in der Phase, in der die Transaktionsparteien den richtigen Preis am Markt suchen. Die Belastungsfaktoren, die auf dem deutschen Immobilienmarkt liegen, werden noch eine Zeit lang verhaftet bleiben. Gleichzeitig verleiten strukturelle Defizite dazu, dass man Hoffnung haben kann, dass es zu keiner großen Krise kommt, weil wir nach wie vor ein viel zu geringes Angebot haben, das weiterhin bedient werden muss.

Wann wird es wieder attraktiv sein, zu kaufen?

Freytag: Wenn wir ein vernünftiges Bewertungsniveau erreichen, das je nach Lage und Ausstattung 15 und 20 Prozent unter dem Niveau der letzten Spitzentransaktionen sein müsste. Dann könnten Immobilien wieder einen attraktiven Carry erzielen, immer mit dem genauen Blick auf die ESG-Konformität.

Eine eher taktische Anlageklasse, die dieses Jahr ein kleines Comeback gefeiert hat, sind Kryptoassets. Als strategischer Investor für sie ein rotes Tuch?

Freytag: Es ist tatsächlich eine reine taktische Assetklasse, für uns ohne strategischen Wert, weil die Volatilität so hoch ist, dass das für uns in keiner Modellierung Sinn ergibt.


Über den Interviewten: 

Stefan Freytag ist seit 2013 Vorstandsmitglied und seit Januar 2020 Sprecher des Vorstands des Deutsche Oppenheim Family Office. Sein besonderer Verantwortungsbereich ist die Family-Office-Beratung und das Investmentconsulting. Zuvor war Freytag bereits Vorstand beim Wilhelm von Finck Deutsche Family Office, einem von drei Vorgängerunternehmen des Deutsche Oppenheim Family Office.

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