Der Konjunkturausblick der Privatbanken Schadet die Zentralbankpolitik den Finanzmärkten?
Was die Privatbanken beschäftigt
Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck; Henriette Peucker, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Bankenverbandes; Jan Viebig, Finanzchef von Oddo BHF und Oliver Grass, Portfoliomanager und Mitglied des Anlagegremiums der Vermögensverwaltung © Merck Finck, Bankenverband, Oddo BHF, Fürst Fugger Privatbank
Dominierendes Thema in den Marktausblicken ist wenig überraschend der Zins-Entscheid der Europäischen Zentralbank sowie der bevorstehende Zinsentscheid der Federal Reserve und die Auswirkungen auf die Aktien- und Anleihemärkte. Wie von Beobachtern schon erwartet, erhöhte die EZB den Leitzins um 75 Basispunkte. Der Einlagensatz liegt damit aktuell bei 1,5 Prozent.
Der Bankenverband begrüßt diese Entscheidung: „Die EZB setzt ihren Zinserhöhungsprozess entschlossen fort. Das ist nötig, denn die Inflation im Euroraum erweist sich als immer hartnäckiger“, sagt Henriette Peucker, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Bankenverbandes. Die Teuerung belaste die Konsumnachfrage und schränke die Ertragsperspektiven der Unternehmen ein. „Auch die wirtschaftlichen Perspektiven im Euroraum werden sich ohne eine Trendwende bei der Inflation nicht aufhellen“, ergänzt Peucker.
Berenberg erwartet aufgrund steigender Zinsen, dass eine Bärenmarktrallye der Aktienmärkte wahrscheinlicher als eine nachhaltige Erholung ist. „Restriktive Zentralbanken und damit steigende Realrenditen als Antwort auf die hohe Inflation haben die Aktienmärkte seit Jahresanfang belastet“, schreibt die Bank in ihrem Ausblick. „Erst wenn die Fed eine Pause signalisiert, ist mit einer nachhaltigeren Erholung bei Aktien zu rechnen.“ Doch würden die Märkte derzeit davon ausgehen, dass die US-Zentralbank den Leitzins bei ihrer nächsten Sitzung am 2. November ebenfalls um 75 Basispunkte anhebt.
Zentralbanken nehmen Tempo raus
Diesen Zinsschritt erwartet auch Carsten Mumm, Chefsvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel, ebenso wie einen weiteren Schritt im Dezember. „Da jedoch in den USA weiter nachgebende Inflationsraten zu erwarten sind, wäre hier ein Abwarten zum Jahresanfang plausibel“, so Mumm. Ebenso würden die Aussagen von EZB-Präsidentin Lagarde darauf hindeuten, dass die Zentralbank im kommenden Jahr nicht mehr ausschließlich auf die Inflationszahlen schaut, sondern auch die schwächelnde Wirtschaft beachtet. Eine Zinserhöhungspause sei daher auch in Europa wahrscheinlich.
Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz geht ebenfalls davon aus, dass die künftigen Zinsschritte der EZB geringer ausfallen werden. Und kommentiert: „Hintergrund dürfte auch sein, dass sich die Finanzierungskonditionen sowohl am Kapitalmarkt als auch am Kreditmarkt bereits deutlich stärker eingetrübt haben als der Zinspfad der EZB suggeriert. Einen ungewöhnlich großen Anteil der geldpolitischen Straffung übernimmt der Finanzmarkt durch Impulse von außen, insbesondere durch die Fed.“ Die EZB habe mit ihrer Entscheidung bestätigt, „dass sie dem Finanzmarkt den Großteil der geldpolitischen Straffung für Europa überlässt. Die Abkehr vom Prinzip der Forward Guidance erhöht allerdings die Datenabhängigkeit und spricht für eine anhaltend hohe Volatilität am Markt für europäische Staatsanleihen“, sagt Mayr. Das gelte vor allem deshalb, da die Inflation weiter hoch bleiben dürfte.
Auch die weltweit negative Konjunkturprognosen sind nach Ansicht von Oliver Grass, Portfoliomanager und Mitglied des Anlagegremiums der Vermögensverwaltung der Fürst Fugger Privatbank, ein Grund für eine weniger restriktive Geldpolitik. Statt Untergansszenario könne darin sogar eine Chance liegen, meint Grass: „Die konjunkturelle Schwäche könnte die Notenbanken dazu bringen, die Inflation nicht ganz so radikal zu bekämpfen, was wiederum die Aktienmärkte stärken könnte. Kommen dann noch positive Überraschungen bei den Unternehmensergebnissen hinzu, kann es mit den Kursen auch sehr schnell nach oben gehen.“
Problematisch wäre eine zu wenig restriktive Geldpolitik allerdings aus Sicht von Jan Viebig, Finanzchef von Oddo BHF: „Die EZB zögert mit dem Einstieg in die quantitative Straffung. Ein wichtiger Grund dürfte die Sorge sein, die Verspannungen an den Anleihemärkten in Italien und anderen sogenannten Peripherie-Staaten noch zu verstärken.“ Die EZB habe bereits Vorkehrungen getroffen, um „einer übermäßigen Ausweitung der Renditeunterschiede zwischen den Mitgliedsländern der Währungsunion […] entgegenwirken zu können“, sagt Viebig. „Aus geldpolitischer Sicht wäre der Abbau der Anleihebestände der westlichen Industrieländer jedoch wünschenswert. Denn die durch die Anleihekäufe entstandene hohe Liquidität begünstigt im Zweifelsfall die Inflation.“
Fed bleibt Taktgeber
Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management, geht davon aus, dass die Fed den Leitzins in ihrer nächsten Sitzung nur um 50, statt 75, Basispunkte erhöht. Grund dafür sei die drohende Rezession. „Historisch ist zu beobachten, dass die Kerninflation erst neun Monate nach Beginn einer Rezession fällt. Das heißt, die Kerninflation dürfte trotz rezessiver Tendenzen in den kommenden Monaten noch viel zu hoch bleiben, was wiederum Leitzinssenkungen eher unwahrscheinlich macht. Die US-Notenbank muss also trotz rezessiver Tendenzen den Leitzins weiter anheben – aber mit einem geringeren Tempo. Derzeit sehen wir den Hochpunkt nach wie vor bei etwa 5,0 Prozent – wenn auch mit sehr viel Unsicherheit behaftet.“ Auch in der Eurozone gebe es rezessive Tendenzen, eine Folge der Energiekrise. „Die hohe Inflation in Kombination mit einer rekordniedrigen Arbeitslosenquote bedeutet, dass auch die EZB den Leitzins weiter anheben muss. Sie könnte jedoch im Dezember aufgrund der Rezession eine Pause einlegen“, so Walk.
Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck erwartet hingegen, dass die Fed den Leitzins um 75 Basispunkte anheben wird. „Da die Inflation in den USA anders als in Europa trotz aller hartnäckigen Komponenten ihren Höhepunkt bereits überwunden haben dürfte, könnte die Fed ihr Wording in Sachen künftiger geldpolitischer Straffung leicht abmildern. Tut sie das nicht, wäre das allerdings eine Enttäuschung für die Märkte“, so Greil. „Die Fed bleibt der Taktgeber für die Finanzmärkte.“