Datenaustausch Deutschland und Türkei Der gläserne Steuerbürger zwischen Hamburg und Istanbul

Seite 2 / 2

Für wie viele Jahre in der Vergangenheit kann das Finanzamt ermitteln und Steuern nachfordern?

Das Finanzamt kann für alle Jahre ermitteln, für die noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Diese beträgt an sich vier Jahre, bei Steuerhinterziehung jedoch zehn Jahre. In der Praxis tritt die Festsetzungsverjährung regelmäßig noch etwas später ein, weil diese erst im Jahr der Einreichung der Steuererklärung beginnt und auch durch verschiedene Umstände, wie eine Betriebsprüfung, gehemmt sein kann. So geht der Zeitraum bei Steuerhinterziehung oft elf, zwölf oder noch mehr Jahre zurück.

Sind Einkünfte aus der Türkei in Deutschland steuerpflichtig?

Wenn ein Steuerpflichtiger in Deutschland ansässig ist, sind grundsätzlich seine gesamten Einkünfte in Deutschland steuerpflichtig. Bei Einkünften mit Bezug zur Türkei entscheidet das entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen, ob und inwieweit diese in Deutschland steuerpflichtig sind.

So sind Einkünfte aus Kapitalvermögen (beispielsweise Zinsen und Dividenden) aus der Türkei bei Ansässigkeit in Deutschland auch hier steuerpflichtig. Die einbehaltene niedrigere türkische Quellensteuer wird angerechnet. Auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien und anderen Wertpapieren müssen die Kontoinhaber – unter Anrechnung einer in der Türkei gezahlten Steuer – in Deutschland versteuern. Einkünfte aus Renten sind je nach Einzelfall auch in Deutschland zu versteuern.

Einkünfte aus Vermietung von Gebäuden oder Grundstücken in der Türkei sind zwar in Deutschland von der Steuer freigestellt. Sie können aber über den Progressionsvorbehalt den Steuersatz für die in Deutschland zu versteuernden Einkünfte erhöhen. Dann wirken sie sich mittelbar auf die in Deutschland zu zahlende Steuer aus. Daher müssen Steuerpflichtige auch solche Einkünfte in den deutschen Einkommensteuererklärungen angeben. Dasselbe gilt für Gewinne aus dem Verkauf von Immobilien, wenn diese innerhalb von zehn Jahren nach Kauf veräußert wurden.

Ist auch eine Erbschaft in der Türkei in Deutschland zu versteuern?

Hat ein Erbe einen Wohnsitz in Deutschland, unterliegt auch Vermögen aus der Türkei, beispielsweise ein dort geerbtes Haus oder Grundstück oder ein Aktiendepot, grundsätzlich der Erbschaftsteuer in Deutschland. Da es hier kein Doppelbesteuerungsabkommen gibt, gilt dies auch dann, wenn daneben ein weiterer Wohnsitz in der Türkei besteht und selbst, wenn dieser der Hauptwohnsitz ist.

Eine in der Türkei gezahlte Erbschaftsteuer wird allerdings angerechnet. Hinweise auf eine Erbschaft in der Türkei können sich zum Beispiel ergeben, wenn der gemeldete Kontostand gegenüber dem Vorjahr stark gestiegen ist.

Können strafrechtliche Folgen drohen?

Wer in der Türkei erzielte steuerpflichtige Einkünfte in seinen Steuererklärungen in Deutschland vorsätzlich nicht angibt, macht sich grundsätzlich der Steuerhinterziehung strafbar. Ob Vorsatz anzunehmen ist, beurteilen die Beamten im Einzelfall. Bei Kapitaleinkünften aus ausländischen Bankkonten, zum Beispiel in der Schweiz, haben die Behörden in der Vergangenheit jedoch regelmäßig angenommen, dass den Kontoinhabern die Steuerpflicht in Deutschland bekannt war – und deshalb Vorsatz bejaht.

Was können Betroffene tun, um eine Strafe wegen Steuerhinterziehung zu vermeiden?

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit durch eine Selbstanzeige, das heißt eine rechtzeitige und vollständige Nacherklärung der Einkünfte gegenüber dem Finanzamt Straffreiheit zu erlangen. Dies setzt die Nachzahlung der Steuern zuzüglich Zinsen voraus. Wenn das Finanzamt die Steuerhinterziehung bereits entdeckt hat, ist keine Selbstanzeige mehr möglich.

Eine strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige hängt allerdings noch von einigen weiteren Voraussetzungen ab (insbesondere deren Vollständigkeit für zehn Jahre). Ob die Voraussetzungen vorliegen, sollten die Kontoinhaber im konkreten Fall sehr sorgfältig prüfen.

Ist es für Selbstanzeigen zu spät, sobald die Daten nach Deutschland übermittelt worden sind?

In der Regel noch nicht. Die Daten werden zunächst an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt und erst von dort zu den zuständigen Finanzämtern weitergeleitet. Erst wenn die Finanzämter bei einem Abgleich mit den Steuererklärungen festgestellt haben, dass die Einkünfte dort nicht versteuert wurden, liegt regelmäßig eine Tatentdeckung vor, welche eine Selbstanzeige ausschließt.

Trotzdem ist Eile geboten, da man nicht vorhersehen kann, wie lange dies im Einzelfall dauert und ob nicht bereits Daten vor dem 30. September 2021 übermittelt werden. Betroffene sollten daher so schnell wie möglich handeln.

Können noch weitere strafrechtliche Risiken bestehen?

Weitere strafrechtliche Risiken können bestehen, wenn das gemeldete Vermögen aus der Türkei auch noch an anderer Stelle verschwiegen wurde, beispielsweise bei einer Insolvenz oder eidesstattlichen Versicherung, bei der Beantragung von Sozialleistungen oder im Rahmen einer Scheidung. Wer also seine Kontostände auf den automatischen Informationsaustausch hin überprüft, sollte auch diese Aspekte gleich mit einbeziehen.

 


Über den Autor:
Rainer Biesgen ist Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei Wessing & Partner in Düsseldorf. Von 2002 bis 2004 war er Richter und Staatsanwalt im Bezirk des Landgerichts Oldenburg und von 1986 bis 1988 Finanzinspektor im Finanzamt Essen-Nord.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen