Das deutsche Steuerwesen, Teil 3 Das Steuerrecht erstickt an sich selbst

Rechtsanwalt und Steuerberater Prof. Dr. Peter Lüdemann

Rechtsanwalt und Steuerberater Prof. Dr. Peter Lüdemann

Missachtete Gewaltenteilung 1: So schwach ist der Gesetzgeber

Ausufernde Steuergesetze, Abgrenzungsfragen ohne Ende – der Bundesrechnungshof hat, gewohnt kritisch, im Jahr 2012 dem Steuervollzug durch die Finanzbehörden ein miserables Zeugnis ausgestellt. Eine ordnungsgemäße Besteuerung sei nicht gewährleistet. Als Hauptgrund für die Misere machte der Bundesrechnungshof das zu komplexe Steuerrecht aus, das zudem ständig geändert werde.

Seit 2006, als die Behörde das erste Mal auf diese Defizite hingewiesen habe, sei die Situation nicht besser geworden. Überdies kritisierten die Prüfer die gesetzlichen Bestimmungen: zu lang und schwer verständlich formuliert. Einer, der es wissen muss, ist Rudolf Mellinghoff, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht und seit 2011 Präsident des höchsten deutschen Finanzgerichts, des Bundesfinanzhofs in München. Er meint, das Steuerrecht ersticke an sich selbst; insgesamt herrsche ein desolater Zustand. Und er appellierte an die Politik, mehr Gebrauch von Pauschalierungen zu machen.

Sehr zutreffend, aber auch sehr brav: ein Appell an die Politik. Wo doch der Befund so eindeutig ist. Öffentlich und jedermann zugänglich.

Warum passiert nichts? Warum erscheint die Politik wie gelähmt, wenn es um die Umsetzung der vielfach gemachten Versprechen zur Steuervereinfachung und Steuergerechtigkeit geht?

Die Antwort ist ebenso einfach wie verblüffend. Steuergesetze werden keineswegs vom Gesetzgeber gemacht. Sie werden von diesem nur verabschiedet. Dies allerdings in der Regel ohne wirklichen Einblick in die tieferen Zusammenhänge und ohne Verständnis dessen, was da verabschiedet wird. Und da dies die Finanzverwaltung (in Form ihrer Ministerialbeamten) ganz genau weiß, versteht sie es blendend, das Gesetzgebungsverfahren – und damit den Gesetzgeber, also den deutschen Bundestag – zu ihren Zwecken zu instrumentalisieren.

Zunächst liegt das auf der Hand. Schließlich betreffen Steuern unsere gesamte Lebenswirklichkeit bei nahezu allen Verrichtungen unseres Daseins. Entsprechend komplex sind schon die Steuergesetze selber, erst recht aber auch das dazugehörige Steuerverfahren. Und es ist natürlich die Verwaltung, die bei der Anwendung und Durchsetzung der Steuergesetze auf Defizite stößt und den – zumindest aus Sicht der Finanzverwaltung bestehenden – Verbesserungsbedarf feststellt.

Darüber hinaus verstehen Abgeordnete in der Regel nichts von Steuern, Steuerrecht und Steuererhebungstechnik. Noch schlimmer: Auch unseren Finanzministern geht das so. Sie sind in der Regel Haushaltspolitiker (Hans Eichel), Finanzkrisenbekämpfer (Peer Steinbrück) und EU-Staatenretter (Wolfgang Schäuble – der war selbst Finanzbeamter – das heißt mal den Bock zum Gärtner machen!) – aber Steuerrechtler sind sie nicht.

Damit gibt es faktisch keine Initiativen zur Änderung des Steuerrechts aus der Politik. Schäuble äußert ja sogar öffentlich, unser Steuerrecht sei doch gar nicht so schlecht und brauche deshalb keine Änderungen (glauben sie mir, deutlicher kann man Ahnungslosigkeit nicht dokumentieren). Abgesehen von abstraktem Wahlkampfgequatsche („Das Steuerrecht muss einfacher werden“) und Bedienung singulärer Lobbyinteressen (7 Prozent Umsatzsteuersatz für Hotelleistungen) kommt aus der Politik: nichts.

Dafür kommt umso mehr aus der Finanzverwaltung. Diese weiß nicht nur, wo es im Alltag bei der Steuererhebung zwickt, weil Steuerpflichtige sich doch tatsächlich trauen, gesetzlich gewollte Vergünstigungen oder Gesetzeslücken auch wirklich zu nutzen, oder die Rechtsprechung sich doch tatsächlich traut, das Gesetz zugunsten des Steuerpflichtigen auszulegen.

Nein, sie ist auch untereinander blendend vernetzt und verfügt mit den Ministerialbeamten über die entscheidenden Personen: Sie sind nämlich in der Lage, dem Finanzminister Gesetzesentwürfe vorzulegen, die dringend „notwendige“ Ver(schlimm)-besserungen des Steuerrechts vornehmen, ohne die dem Staat dringend benötigte Einnahmen verloren gingen.