Nobelpreisträger Christopher Pissarides „Das Corona-Virus ist wie eine Naturkatastrophe“

Christopher Pissarides

Christopher Pissarides: Der Wirtschaftsnobelpreisträger ist überzeugt davon, dass Corona auch viele Chance bietet Foto: Imago Images / GlobalImagens

private banking magazin: Herr Pissarides, in welchen Bereichen sehen Sie Chancen für Europa, gestärkt aus der Corona-Krise hervorzugehen?

Christopher Pissarides: Auf der politischen Ebene wird Europa geeinter und wertschätzender aus der Europäischen Union hervorgehen. Die Pandemie hat uns wichtige Lektionen darüber gelehrt, wie man gemeinsam mit den Gesundheitsproblemen umgeht und sich gegenseitig hilft, wenn wir aus der Krise herauskommen. Die Zusammenarbeit in Krisenzeiten macht alle stärker. Das Programm, für das die Europäische Union gestimmt hat, ist hervorragend und es wird vielen Ländern beim Wiederaufbau ihrer Wirtschaft zugutekommen.

Ich habe den Brexit nie unterstützt, aber ich kann sehen, dass selbst viele Befürworter jetzt die Probleme der Trennung sehen. Allein mit der pandemischen Rezession fertig zu werden, überlagert von den Anpassungsproblemen, die der Brexit mit sich brachte und bringt, ist etwas, das die britische Wirtschaft nur schwerlich gut bewältigen kann.

Die Corona-Pandemie ist seit einem Jahr omnipräsent. Vorher war es das Thema Nachhaltigkeit. Ist das jetzt auf der politischen Agenda nach hinten gerutscht?

Pissarides: Nein. Auf der Ebene der Wirtschaftspolitik findet eine gute Entwicklung statt, es gibt mittlerweile ein viel größeres Bewusstsein für die Notwendigkeit einer nachhaltigen Politik, die Klimarisiken reduziert und sich mit Reaktionen auf Naturkatastrophen beschäftigt. Die europäischen Regierungen nutzen diese Gelegenheit, um auf einer neuen Plattform zu beginnen und nicht zu den alten Wegen zurückzukehren, selbst wenn das möglich wäre. Ich hoffe und erwarte angesichts dessen, was hier gesagt wurde, dass die Europäische Union Vorschläge ihrer Mitglieder, die sich mit Nachhaltigkeit und Klimawandel befassen, stärker unterstützt.


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HINWEIS: Fireside Chat mit Sir Christopher Pissarides
Datum: 24. März 2021, 15:00 Uhr (CET)
Registrierungslink: https://bit.ly/2P0HRFz
Moderation: David Grammig von Grammig Advisory

Redner: Sir Christopher Pissarides und Dr. Ranjit Nayak (früher: Weltbank)
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Deutschland hat die Energiewende seit 2011 vorangetrieben. Die EU macht ernst mit dem Thema Nachhaltigkeit. Wie viel Zukunftsthemen können die Unternehmen und Verbraucher in Europa stemmen?

Pissarides: Zugegeben, die Corona-Krise hat das wirtschaftliche Management erschwert und die Verschuldung ist in den meisten Nationen gestiegen. Aber vielleicht – überraschenderweise – gibt es auch eine wechselseitige Ergänzung, eine Komplementarität zwischen der Corona-Krise und ESG. Und zwar in dem Sinne, dass es möglich ist, ESG mehr Gewicht zu geben, wenn wir von etwas Neuem beginnen müssen.

Anders ausgedrückt: Wenn ein Unternehmen in normalen Zeiten von seiner traditionellen Arbeitsweise auf eine nachhaltigere Art und Weise umstellen würde, müsste es einen Teil seiner Aktivitäten zerstören und durch neue ersetzen. Corona hat viele dieser Aktivitäten innerhalb kurzer Zeit zerstört, so dass die schwierige Aufgabe für sie erledigt ist. Ich erwarte in den kommenden Jahren einen Aufschwung bei ESG-Investitionen.


Welche Parallelen sehen Sie zwischen den sozialen Folgen der Corona-Pandemie und späteren möglichen Folgen des Klimawandels?

Pissarides: Wir können uns die Corona-Pandemie wie eine Naturkatastrophe vorstellen, die große Teile des Planeten trifft. Stellen Sie sich einen massiven Vulkanausbruch vor, der Wolken erzeugt, die Teile des Planeten des Sonnenlichts berauben und die Luft verschlechtert. Atemprobleme bei Menschen und Tieren sind die Folge. Die landwirtschaftliche Produktion wird in großen Teilen zerstört. Corona hat etwas Ähnliches bewirkt. Das Virus legte den Geschäftsbetrieb auf dem ganzen Planeten lahm und verursachte eine große Anzahl von Todesfällen.

Klimarisiken führen auch zu Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen von Küstengebieten und Dürreperioden. Die Auswirkungen der Pandemie sind also sehr ähnlich. Der Umgang mit der Pandemie erfordert koordinierte Maßnahmen von Regierungen, Unternehmen und der Öffentlichkeit, sowohl innerhalb der Länder als auch länderübergreifend.

Dies zeigte sich in Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen, aber auch in der medizinischen Forschung, um schnell wirksame Impfstoffe zu entdecken und weltweit bereitzustellen. Die Parallelen sind offensichtlich, und sie haben uns gezeigt, wie wir bessere Ergebnisse erzielen können, wenn wir bei der Bewältigung der Probleme zusammenarbeiten.