Wegzugsbesteuerung, Teil 2 Das ändert sich für wegzugswillige Unternehmer und Privatpersonen

Seite 2 / 2

Europarechtliche Bedenken

Ob diese über die Vorgaben der Antisteuervermeidungsrichtlinie hinausgehende Neuregelung auch vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Freizügigkeit europarechtlich Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls im Verhältnis zur Schweiz hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache „Wächtler“ die Bedeutung einer zinslosen Stundung in Wegzugsfällen nochmals deutlich hervorgehoben.

In der Praxis nützen diese unionsrechtlichen Bedenken den Wegzugswilligen erst einmal wenig. Bis zu einer abschließenden letztinstanzlichen Klärung der Frage werden Jahre vergehen. Nicht alle Wegzugswillen wollen und können so lange warten, droht doch gegebenenfalls mit Einführung einer Vermögenssteuer nach der Bundestagswahl das nächste steuerliche Schreckgespenst in Deutschland.

Daher ist es voraussichtlich besser, bei bereits bestehenden konkreten Wegzugsplänen das noch bestehende Handlungsfenster bis zum Ende dieses Jahres zu nutzen. Denn ist die Wegzugsbesteuerung bis zum 31. Dezember 2021 erst einmal ausgelöst worden, bleibt es bei der Anwendung des bisherigen Rechts, das in EU-/EWR-Sachverhalten die unbefristete und unverzinsliche Stundung vorsieht.

Ausweitung des Steuerentfalls bei vorübergehender Abwesenheit

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die bisher bestehende Möglichkeit des Entfalls der festgesetzten Steuer bei einer nur vorübergehenden Abwesenheit besteht fort und wird sogar ausgeweitet. Voraussetzung für den rückwirkenden Entfall der festgesetzten Steuer ist, dass der Wegzug von Anfang an nur vorübergehender Natur war und dies auch nachgewiesen werden kann. Hier ist aus Beraterperspektive besonders auf die genaue Dokumentation der Rückkehrabsicht im Wegzugszeitpunkt hinzuweisen. Ferner dürfen die Anteile innerhalb der maßgeblichen Rückkehrfrist nicht veräußert worden sein.

Die Rückkehrfrist wird selbst von fünf auf sieben Jahre ausgeweitet, und zwar unabhängig vom Zielland, in das der Wegzug erfolgt. Der Rückkehrzeitraum kann einmalig um weitere fünf Jahre auf insgesamt zwölf Jahre verlängert werden. Das in der aktuellen Regelung enthaltene Erfordernis der „beruflichen Gründe“ für die Verlängerung entfällt ersatzlos.

Auf Antrag können sogar die Ratenzahlungen ausgesetzt werden, was einen Liquiditätsabfluss verhindert. Von dieser Möglichkeit sollte allerdings nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn die Rückkehr auch tatsächlich sicher zu erwarten ist, da ansonsten eine Verzinsung erfolgt.

Fazit und Ausblick

Die Wegzugsbesteuerung war bereits und ist auch nach den Änderungen durch das Atad-Umsetzungsgesetz eine wesentliche Beschränkung der internationalen Mobilität, insbesondere für mittelständische Unternehmerfamilien. Die Verschärfungen im Rahmen der Neuregelung der Wegzugsbesteuerung, gerade im Bereich Stundung, werden durch die „Detailverbesserungen“ bei der Rückkehrregelung nicht ausgeglichen.

Immerhin haben sich die zwischenzeitlichen Befürchtungen, die genannten Verschärfungen könnten sofort oder sogar rückwirkend Anwendung finden, nicht bewahrheitet. Die Neuregelung gilt erstmals für Wegzüge ab dem 01. Januar 2022. Trotzdem bleibt nicht mehr viel Zeit.

Wer bereits mit dem Gedanken an einen Wegzug spielt, für den besteht, gerade bei einem Wegzug in einen EU-/EWR-Staat, jetzt noch Handlungsspielraum bis zum Ende dieses Jahres. Ist ein kurzfristiger Wegzug keine Option, sollte man alternative Gestaltungen und Steuerplanungsmöglichkeiten in Betracht ziehen. Auf diese werden wir im Detail in einem dritten Teil dieser Artikelserie eingehen.

Wegzugsbesteuerung, Teil 1: Das müssen Unternehmerfamilien zur aktuellen Rechtslage wissen


Über die Autoren:

Sven Oberle leitet die Steuer-Praxisgruppe Private Client Services der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Sein Team berät Familienunternehmen, vermögende Privatpersonen und Family Offices in Steuerangelegenheiten.

Sven Wanka ist Rechtsanwalt und Steuerberater im Bereich Private Client Services bei EY. Er berät Familienunternehmen, vermögende Privatpersonen und Family Offices in deutschen und internationalen Angelegenheiten. Vor seinem Wechsel zu EY war er 4 Jahre bei Flick Gocke Schaumburg in Frankfurt tätig.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen