Dass Verwandte sich gegenseitig Darlehen gewähren, findet sich als Gestaltung in der privaten Vermögensverwaltung häufig wieder. Das Problem: Häufig sind diese Darlehen (zu) niedrig verzinst. Ein aktuelles Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Juli 2024 (Az. II R 20/22) stellt einige Dinge dazu klar, wie solche Darlehen steuerlich zu behandeln sind.
Zwei Kernaspekte sind dabei vor dem Hintergrund der ergangenen Entscheidung besonders hervorzuheben: Erstens schafft das Urteil mehr Klarheit, wie die Verwandlten einen steuerlich anzumerkenden „marktüblichen“ Zinssatz bestimmen können. Zweitens lässt sich aus dem Urteil ableiten, dass bei niedrig verzinsten Darlehen mit unbestimmter Laufzeit ein erhebliches Schenkungsteuerrisiko droht. Gerade in der zurückliegenden Niedrigzinsphase gewährten Verwandte untereinander gerne solche „Ein-Prozent-Darlehen“. Bei diesen müssen Verwandte unmittelbar handeln, da die Verzinsung anhand der durch den BFH aufgestellten Regeln möglicherweise steuerlich „nicht hält“.
Fallbeispiel eines „Ein-Prozent-Darlehens“
Bruder B erhält am 1. Januar 2016 von seiner Schwester S ein Darlehen über 4 Millionen Euro, welches mit 1,0 Prozent jährlich verzinst wird. Das Darlehen vereinbaren Bruder und Schwester schriftlich am selben Tag. Die Schwester gewährt das Darlehen auf unbestimmte Zeit, der Bruder kann es mit einer Frist von zwölf Monaten erstmals zum 31. Dezember 2019 kündigen. Die Geschwister sind der Meinung, die Verzinsung von 1,0 Prozent sei aufgrund der Niedrigzinsphase marktüblich. Um das zu dokumentieren, holen sie nach Ausgabe des Darlehens zwei unverbindliche Angebote von Banken ein. Allerdings weichen diese hinsichtlich der Laufzeit, der Fälligkeit und der Tilgung vom gewährten Darlehen ab. Den Finanzämtern zeigen die Geschwister diesen Sachverhalt zunächst nicht an.
Ein solches Darlehen könnte für die Geschwister zum Problem werden. Das liegt an der aktuellen BFH-Entscheidung vom 31. Juli 2024. Das Darlehen im Fallbeispiel löst Schenkungsteuer aus. Diese Steuer entfällt auf Bruder und Schwester gemeinsam als Gesamtschuldner. Denn dass die Schwester dem Bruder die Darlehenssumme verbilligt überlässt, damit er sie nutzen kann, stellt grundsätzlich eine steuerbare freigebige Zuwendung von der Schwester an den Bruder dar.
Um die Schenkung zu bemessen, muss zunächst ein Jahreswert der Schenkung festgestellt werden (§ 15 Abs. 1 Bewertungsgesetz). Der Jahreswert der Schenkung errechnet sich anhand der Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Zinssatz von 1,0 Prozent und dem angemessenen Zinssatz für vergleichbare Darlehen ermittelt. Der angemessene Zinssatz ist dabei laut BFH vorrangig anhand der Statistiken der Deutschen Bundesbank für vergleichbare Darlehenszinsen abzuleiten.
Der gesetzlich normierte Zinssatz in Höhe von 5,5 Prozent ist dagegen ausschließlich in solchen Fällen anzuwenden, in denen kein angemessener Zinssatz feststeht. Diese Aussage des BFH im aktuellen Urteil ist von entscheidender Bedeutung. Die Finanzverwaltung hat bisher in diesen Fällen regelmäßig den gesetzlich normierten Zinssatz in Höhe von 5,5 Prozent als Referenzzins angewendet. Dieser hat offensichtlich insbesondere in der Niedrigzinsphase deutlich über dem jeweiligen vergleichbaren Zinssatz gelegen. Hier hat der BFH die Finanzverwaltung durch das vorliegende Urteil jedoch deutlich in die Schranken gewiesen.
Für den Beispielfall beträgt der aus den Statistiken der Deutschen Bundesbank abgeleitete Zins 2,81 Prozent pro Jahr. Das ist der für 2016 durchschnittliche Vergleichswert bei Darlehenszinsen für wirtschaftlich selbständige Personen bei einer Zinsbindung von ein bis fünf Jahren. Die unverbindlichen Angebote, die Bruder und Schwester bei Banken eingeholt haben, können sie nicht als vergleichbare Angebote heranziehen. Beide waren hinsichtlich der Darlehensbedingungen nicht vergleichbar und zudem nicht verbindlich und somit unterschriftsreif. Wie hoch ist also der Jahreswert der Schenkung? Dafür zählt wie besprochen die Differenz zwischen dem vereinbarten Zinssatz von 1,0 Prozent und dem marktüblichen Zinssatz von 2,81 Prozent. Das entspricht 1,81 Prozent des Nominalkapitals und damit 72.400 Euro.
Da die Schwester ihrem Bruder das Darlehen auf unbestimmte Dauer beziehungsweise ohne eine feste Laufzeit gewährt hat, ist der sogenannte steuerpflichtige Nutzungsvorteil und damit der Jahreswert von 72.400 Euro in einem nächsten Schritt aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 13 Absatz 2 Bewertungsgesetz typisiert mit dem 9,3-fachen des Jahreswerts zu kapitalisieren. In der steuerlichen Literatur war bisher umstritten, ob in sämtlichen Fällen unbestimmter Laufzeit die Kapitalisierung mit dem Faktor 9,3 erfolgen muss. Das BFH-Urteil lässt hieran (leider) keine Zweifel mehr.
Also schenkt die Schwester ihrem Bruder aus steuerlicher Sicht einen Betrag von 673.320 Euro. Dieser Betrag übersteigt den Freibetrag für Schenkungen zwischen den Geschwistern deutlich: Steuerfrei bliebe eine Schenkung in Höhe von bis zu 20.000 Euro.
Der Ausweg der Selbstanzeige
Im Beispielsfall sollten die Geschwister die Schenkung zeitnah im Rahmen einer Selbstanzeige gegenüber dem für Schenkungsteuer zuständigen Finanzamt nacherklären. Erfolgt dies nicht, drohen erhebliche steuerstrafrechtliche Konsequenzen, wenn die Finanzverwaltung den Fall aufgreift. Die Frist für die Festsetzungsverjährung der Schenkung beginnt ohne entsprechende Anzeige erst, wenn der Schenker stirbt oder die Finanzbehörde anderweitig von der Schenkung Kenntnis erlangt. Die Pflicht zur Nacherklärung ergibt sich dabei aufgrund der durch den BFH vorgegebenen Berechnungssystematik. Damit ist das Zusammenspiel von Zinsdifferenz und Kapitalisierung des gesamten Zinsvorteils auf den ersten Tag der Darlehensgewährung gemeint – trotz oder gerade wegen der unbestimmten Laufzeit.
Was in der Praxis häufig verkannt wird, ist, dass die Geschwister die Schenkung in voller Höhe bereits mit dem Tag der Darlehensgewährung realisiert haben. Es kommt nicht zu einer „ratierlichen Ansammlung bzw. Realisierung“ der Schenkung in Höhe des Jahreswerts. Praktisch bedeutet dies, dass die Geschwister in unserem Fall die Schenkung binnen einer Frist von drei Monaten nach Gewährung des Darlehens am 1. Januar 2016 gegenüber dem Finanzamt anzeigen müssen. Schließlich wurde in dieser Frist die Schenkung verwirklicht. Zeigen sie die Schenkung nicht innerhalb der drei Monate an, drohen steuerstrafrechtliche Konsequenzen. Zusätzlich kann die Finanzverwaltung Hinterziehungszinsen von 6 Prozent jährlich auf die hinterzogenen Beträge festsetzen.
Einschätzung und Praxisempfehlungen zu den Darlehen
Die Darlehensparteien sollten sich vorrangig an den Zinsstatistiken der Deutschen Bundesbank (MFI-Zinsstatistiken) orientieren, wenn sie einen angemessenen Zinssatzes festlegen. So vermeiden sie in der Regel, dass sie eine Schenkung auslösen. So erhöhen die Parteien die Rechtssicherheit und sie können leichter einen fremdüblichen Zinssatz bestimmen. Hierbei ist entscheidend, dass die Kriterien der Vergleichszinsen mit dem vereinbarten Darlehen übereinstimmen. Wichtige Kriterien sind etwa die Laufzeit, Kündigungsmöglichkeiten, Zahlungs- und Tilgungsmodalitäten und die Vergleichbarkeit der Sicherheiten.
Zudem ist weiterhin empfehlenswert, dass die Parteien vor Vertragsbeginn und Darlehensauszahlung unterschriftsreife Vergleichsangebote durch Banken einholen, um die Marktüblichkeit der Darlehenskonditionen zu dokumentieren.
Um das schenkungsteuerliche Risiko zu reduzieren, sollten die Parteien ferner die Darlehen mit klaren Aussagen über die Laufzeit und Rückzahlungsmodalitäten und nicht auf unbestimmte Laufzeit schließen. Denkbar sind stattdessen beispielsweise Verlängerungsoptionen.
Wo Verwandte bereits ein Darlehen gewährt haben, sollten sie in Anbetracht der aktuellen BFH-Entscheidung gegebenenfalls nochmal einen genaueren Blick auf die Darlehen werden. Sollten die Darlehen nicht fremdüblich vereinbart sein und entsprechend – trotz der Steuerfreibeträge –eine Schenkung vorliegen, sollten die Parteien die Schenkung gegebenenfalls unverzüglich über eine Selbstanzeige nacherklären. Nur so können sie steuerstrafrechtliche Konsequenzen möglichst vermeiden.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass genau beobachtet werden sollte, ob dieses sehr praxisrelevante Urteil im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird. Damit wäre es über den entschiedenen Einzelfall hinaus als bindend für die Finanzverwaltung anzusehen.
Über die Gastautoren.
Daniel Schüttpelz ist Steuerberater und Director im Bereich Private Client Services Tax bei EY in Frankfurt am Main. Er berät Familienunternehmen, vermögende Privatpersonen und Family Offices in deutschen und internationalen Angelegenheiten. Schüttpelz arbeitet seit 2012 für das Unternehmen und seit 2018 in der Praxis Private Client Services Tax.
Sven Wanka ist Rechtsanwalt und Steuerberater und Director im Bereich Private Client Services bei EY. Er berät Familienunternehmen, vermögende Privatpersonen und Family Offices in deutschen und internationalen Angelegenheiten. Vor seinem Wechsel zu EY war er vier Jahre bei Flick Gocke Schaumburg in Frankfurt tätig.