Ex-Cum-Ex-Chefermittlerin packt aus „Finanzkriminalität wird in Deutschland nicht ernst genug verfolgt.“

Anne Brorhilker

Anne Brorhilker war über zehn Jahre lang als Oberstaatsanwältin eine zentrale Figur in den Ermittlungen zum Cum-Ex-Skandal: „Es wurde häufig alles getan, um unsere Arbeit zu erschweren und in die Länge zu ziehen.“ Foto: Bürgerbewegung Finanzwende e.V.; Canva

Anne Brorhilker, die ehemalige Chefermittlerin im Cum-Ex-Skandal, hat in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ (Bezahlschranke) interessante Einblicke in die Ermittlungen gegeben. Dabei schilderte sie die Komplexität des Falls und die Herausforderungen, denen sich die Behörden bei der Bekämpfung der Finanzkriminalität gegenübersehen.

Brorhilker, über zehn Jahre lang Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft von Köln, spielte eine Schlüsselrolle in der Aufklärung des Cum-Ex-Skandals, einem der bislang größten Steuerskandale Deutschlands. Bei diesen Geschäften ließen sich Investoren Steuern mehrfach erstatten, obwohl sie nur einmal gezahlt wurden. Brorhilker und ihr Team entwirrten dieses komplexe System Schritt für Schritt und trugen maßgeblich zur Aufdeckung dieser weitreichenden Finanzmanipulation bei.

Cum-Ex-Ermittlungen: Hindernisse und Widerstände

„Die Steuerhinterziehung mit Cum-Ex-Geschäften hatte industriellen Charakter, das haben auch die Strafgerichte festgestellt. Das waren eben nicht wenige schwarze Schafe“, erklärt Brorhilker im Interview. Der Schaden für den deutschen Staat beläuft sich auf mehrere Milliarden Euro. An den Geschäften waren zahlreiche Banken, Investoren und Berater beteiligt. Brorhilker hebt die Komplexität und die gezielte Verschleierung der Transaktionen hervor, um deren wahre Natur zu verbergen.

Brorhilker schildert die Herausforderungen der Ermittlungen im Cum-Ex-Skandal als äußerst schwierig. „Es wurde häufig alles getan, um unsere Arbeit zu erschweren und in die Länge zu ziehen“, erklärt sie. Banken und Beschuldigte behinderten die Ermittlungen massiv, etwa durch das Verbringen von Dokumenten ins Ausland. Zudem waren die Ermittlungsbehörden oft schlecht ausgestattet. Brorhilker kritisiert, dass der Staat die Ressourcen und das Fachwissen der Gegenseite unterschätzt habe.

Olaf Scholz und die Hamburger Cum-Ex-Affäre

Besonders brisant ist die politische Dimension des Skandals. Auf die fehlenden Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft angesprochen, vermutet Brorhilker: „Ich befürchte, es hat mit einer zu großen Nähe zwischen Politik und Banken in Hamburg zu tun.“ Diese Aussage bezieht sich auf die Verbindungen zwischen dem Bankier Christian Olearius und dem heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz. Obwohl Brorhilker keine konkreten Anschuldigungen erhebt, deutet sie an, dass politische Einflussnahme die Aufklärung in Hamburg erschwert haben könnte.

 

Der Strafprozess gegen Olearius nahm im Juni 2024 nach neun Monaten sein jähes Ende, als Gutachter der Kölner Rechtsmedizin den 82-jährigen Mitgründer der Hamburger Privatbank M.M. Warburg für verhandlungsunfähig erklärten. So kam es weder zu einem Strafurteil noch zu einem Freispruch. Olearius, der sich durch die Staatsanwaltschaft vorverurteilt sieht, zieht nun in letzter Instanz vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und verklagt die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung seines Grundrechts auf ein faires Verfahren sowie auf Achtung seines Privatlebens. Ein Urteil aus Straßburg wird in Kürze erwartet.

Brorhilkers Kritik und Forderungen im Kampf gegen Finanzkriminalität

Brorhilker übt scharfe Kritik an der aktuellen Rechtslage zur Verfolgung von Finanzkriminalität in Deutschland. „Ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, erklärt sie. Sie fordert eine Verschärfung des Strafrechts bei schwerer Steuerhinterziehung und plädiert dafür, diese wieder als Verbrechen einzustufen. Zudem hebt sie hervor, dass die Schäden durch Cum-Cum-Geschäfte vermutlich „dreimal so hoch wie bei Cum-Ex“ sind und fordert verstärkte Bemühungen der Finanzämter, diese Gelder zurückzuholen.

Trotz lukrativer Angebote aus der Privatwirtschaft entschied Brorhilker sich bewusst für einen Wechsel zur Bürgerinitiative Finanzwende. Ihre zentrale Aussage dazu: „So viel Schmerzensgeld könnte man mir gar nicht zahlen, als dass mir das jemals Spaß machen würde, so zu arbeiten.“ Sie bleibt optimistisch, dass die Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals auch ohne ihre direkte Beteiligung voranschreiten wird, betont jedoch die Dringlichkeit eines starken politischen Willens zur konsequenten Verfolgung.

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