Crash-Propheten Dr. Doom & Co. Was von Börsen-Gurus zu halten ist

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Stattdessen hat sich am Kapitalmarkt eine besondere Spezies von Pseudoexperten entwickelt: der Investment-Guru. Hierbei handelt es sich fast immer um einen medienwirksamen älteren Herren (eine Ausnahme war Elaine Gazzarelli, die Crash-Prophetin von 1987), der zu extremen Aussagen neigt – und damit in der Vergangenheit auch gelegentlich sogar schon mal recht gehabt hat. Allerdings beruht dieses „Recht bekommen“ auf Zufall, was den jeweiligen Guru aber nicht daran hindert, aus jedem Zufallstreffer überlegene Prognosequalitäten für immer und ewig abzuleiten. Ihre Selbstinszenierung schließt zumeist die Herausstellung ganz besonderer und einmaliger persönlicher Fähigkeiten ein. Abgesehen vom seriösen Anzug, der normalerweise getragen wird, erinnert dies Gehabe stark an Magier oder Priester dubioser Kulte. Im Ergebnis produzieren die Gurus auf die Dauer aber nur Enttäuschungen und tragen dazu bei, dass Experten noch weiter in Verruf geraten.

Gurus – wie auch die „einhändigen Ökonomen“ – warnen auch gerne vor konkreten Krisen oder Katastrophen, die unmittelbar bevorstehen. Wenn seriöse Experten vor künftigen Gefahren warnen, so vermeiden sie allerdings Festlegungen auf katastrophale Zukunftsszenarien.

Raghuram Rajan warnte 2005 nicht vor der Finanzkrise, weil er eine solche nicht konkret vorhersehen konnte. Er versuchte aber, die Risikofaktoren im Finanzsystem zu identifizieren und zu zeigen, dass es nicht mehr so weitergehen konnte wie bisher. Dies ist entscheidend für eine ernst zu nehmende Experten-Warnung: nicht die Vorhersage einer Katastrophe, sondern das „es kommt drauf an“, das Herausfinden und die Analyse von Gefahrenquellen, zu zeigen.

Die notwendige Ungenauigkeit und Variabilität von seriösen Prognosen geht gegen unseren Instinkt. Unser Anforderungsprofil ist traditionell daraufhin programmiert, dass wir automatisch lieber selbstsicher auftretenden Experten mit klarem Weltbild und eindeutigen Vorhersagen vertrauen. Sie scheinen uns die Unsicherheit über die Zukunft zu nehmen, genau wie früher die Priester, die mit „Gottes Wille“ oder „Schicksal“ alles zu erklären versuchten.

Sichere Erwartungen an eine unsichere Zukunft leiten uns ganz sicher in die Irre. Vertrauen wir lieber den unsicher wirkenden Experten, die sich zögerlich in die Zukunft vorantasten, und auch mal zurückgehen, wenn der falsche Weg eingeschlagen wurde. Mit ihnen hat man zumindest die Chance, dass man langfristig ungefähr auf dem richtigen Pfad bleibt. Und hiermit hätte man schon sehr viel erreicht.

Über den Autor:
Karl-Heinz Thielmann ist Vorstand von Long-Term Investing Research – Institut für die langfristige Kapitalanlage.

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