Crash-Propheten Dr. Doom & Co. Was von Börsen-Gurus zu halten ist

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Anders sieht es bei nichtlinearen komplexen Problemen aus. Hier irren sich Experten oft und gravierend, weil sie einem sogenannten reduktiven Bias unterliegen: Sie behandeln komplexe Probleme so, als seien sie durch simple lineare Modelle zu beschreiben. Dies führt dazu, dass sie in der Regel alte Trends fortschreiben. Damit ignorieren sie aber auch Veränderungen in den Umweltbedingungen, unterschätzen evolutionären Wandel und übersehen Strukturbrüche. Sie sind oftmals in alten Denkmustern gefangen, was das Erkennen von Neuem besonders schwierig macht. Aufmerksamen Laien hingegen fehlt die „Betriebsblindheit“ von Experten, sie können wichtige Veränderungen früher erkennen.

Experten für komplexe nichtlineare Probleme sind beispielsweise Klimaforscher, Ökonomen und Aktienanalysten. Sie können für die Zukunft höchstens grobe Aussagen treffen, die sich in der Regel aus der Fortschreibung historischer Trends ergeben. Gerade bei ökonomischen oder sozialen Themen ist es selbst für hoch qualifizierte Experten komplett unmöglich, alle relevanten Einflussfaktoren zu kennen und richtig zu bewerten. Und wenn irgendetwas disruptives geschieht, sind Experten mit ihrem Erfahrungswissen oftmals völlig aufgeschmissen.

Gerade bei Disruption sind etablierte Experten besonders benachteiligt und geben zumeist ganz schlechte Prognosen ab: Denn hier ist fatal, dass sie in alten – und bisher bewährten – Denkmustern feststecken, was sie blind für das Neue machen kann. Aufmerksame Laien hingegen können dann trotz mangelnden Fachwissens aus Veränderungen eher die richtigen Konsequenzen ziehen beziehungsweise bessere Prognosen abgeben.

Zwar sind nicht alle Experten intellektuell unflexibel und können Veränderungen aufspüren. Sie werden dann allerdings oftmals als „Querdenker“ von ihren Fachkollegen erbittert bekämpft, weil sie bestehende Lehrmeinungen infrage stellen. Als der Arzt John Snow 1854 empirisch zeigen konnte, dass Cholera mit durch Fäkalien verschmutztem Trinkwasser zusammenhing und die damalige Lehrmeinung über die Verbreitung von Cholera falsch war, wurde er massiv von anderen Ärzten angefeindet. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wurden seine Erkenntnisse allgemein akzeptiert und führten zur Entwicklung der modernen Epidemiologie.

Leider hat sich bis heute wenig geändert: Auf der Notenbankersitzung in Jackson Hole im August 2005 störte Raghuram Rajan, der indische Chefökonom des IWF, die allgemeine Freude an der stabilen Aufwärtsentwicklung der Weltwirtschaft. Seiner Ansicht nach bauten sich gravierende Risiken im globalen Finanzsystem auf. Insbesondere störte er sich daran, dass durch die damaligen Finanzinnovationen Risiken verschleiert beziehungsweise auf schwache Schultern umverteilt wurden. Bei den anderen Sitzungsteilnehmern stieß Rajan auf einmütige Ablehnung. Man beschuldigte ihn, dass er die Funktionsweise moderner Finanzmärkte nicht verstanden habe. Larry Summers, der spätere Chief Economic Adviser der Obama-Regierung, warf Rajan sogar vor, dass seine Ideen denjenigen von Maschinenstürmern des 19. Jahrhunderts glichen und er nur das Rad der Geschichte zurückdrehen wolle.