Grundsätzlich ist es sehr interessant, dass die Debatte rund um die Provision von den verschiedenen Interessengruppen stets sehr pointiert erfolgt. Wir sollten bei der Frage, wie eine Beratungsleistung in Bezug auf Vermögen und besonders die Wertpapieranlage bepreist wird, aber eine etwas breitere Sicht auf die Sachlage nehmen. Denn der Kern der Debatte sollte sich um die Frage drehen, ob Beratung durch ein Provisionsverbot besser wird. Und würde ein Verbot gewünschte und geschätzte Geschäftsmodelle „weg-regulieren“? Die Antworten auf solche Fragen sind vielfältig, denn wir dürfen bei den Gedankenspielen nicht den Fehler begehen, die Wünsche der Kunden und den Bezug auf die wirtschaftliche Realität aus den Augen zu verlieren. Und eins steht fest: eine schlechte Anlageberatung wird nicht besser durch die Art und Weise der Vergütung oder der Nichtvergütung.
Wie es zur aktuellen Debatte um ein Provisionsverbot kam
Die aktuelle Diskussion nahm ihren Anfang bereits im Juli 2021, als die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma darauf hinwies, dass sie sogenannte Paymemts for Orderflow (PFOF) für bedenklich halte. Bei PFOF handelt es sich um die Praxis von Brokern, Plattformen und Vermittlern, Zahlungen von Ausführungsplätzen für die Weiterleitung von Kundenaufträgen an diese zu erhalten. Durch solche Zahlungen – so die ESMA – werde ein die Anlegerinteressen gefährdender Interessenkonflikt begründet. Die ESMA vertrat ferner die Ansicht, die Vereinbarkeit der Entgegennahme derartiger Zahlungen wäre mit den Vorgaben der Mifid II unwahrscheinlich.
Kurzer Exkurs: Im November 2021 griff die EU-Kommission diese Gedanken grundsätzlich auf und präsentierte einen Entwurf der europäischen Verordnung Mifir, der ein Verbot von Payment for Orderflow (PFOW) vorsah, auch wenn es ihr weniger um die Anlegerinteressen als vielmehr die Markttransparenz und in der Folge die effiziente Preisbildung ging. Die Hoffnung war, dass durch das Verbot Orders weniger an systematische Internalisierung betreibende oder OTC ausführende Marketmaker weitergeleitet würden, sondern an transparente geregelte Märkte. Es entspann sich eine politische und wirtschaftliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit eines solchen Verbots. Im Frühjahr 2022 schien das Vorhaben der Kommission gescheitert. Nicht zuletzt die deutsche Regierung hatte sich gegen die Neuerung positioniert, das Verbot von PFOW schien vom Tisch, Alternativen wie die Herstellung einer preislichen Transparenz zwischen offiziellen Börsen und der Ausführung über außerbörsliche Marketmaker wurden erörtert.
Kurz vor Weihnachten 2022 ließ die zuständige EU-Kommissarin dann erkennen, dass sie sogar ein vollständiges Provisionsverbot für alle Finanzprodukte – also vor allem Geldanlagen und Versicherungen – mindestens im Bereich der Finanzberatung erwäge und Vor- und Nachteile abwäge. Dies war vor allem deshalb bemerkenswert, da sie als zuständige Kommissarin in 2023 eine sogenannte Retail Investment Strategy ausarbeitet, die die weitere Positionierung der EU Kommission zu Fragen rund um Provisionszahlungen im Finanzvertrieb definiert. Seither tobt die Debatte mit enormer Vehemenz, auch wenn bislang keine konkreten Pläne oder Positionen der Kommission bekannt geworden sind.
Provisionsverbot als Auslöser von Bankberaterflucht?
Die nächste relevante Entwicklung wird mit Vorlage der Retail Investment Strategy, die für Anfang Mai 2023 erwartet wird, eintreten. Ursprünglich sollte dies bereits Anfang April erfolgen, auf Grund des hohen Diskussionsbedarfs und heftigen Gegenwindes gerade aus Deutschland wurde der Termin aber verschoben. Der (vorläufige) Ausgang darf mit Spannung erwartet werden, wird aber wohl nicht das Ende der Debatte bedeuten. Denn nach einem Positionspapier wird es dessen Umsetzung in Normsetzungsakte bedürfen, genug Raum also für weitere Diskussionen und ein heftiges Ringen, um die Zukunft des provisionsbasierten Vertriebs.
Das hat auch konkrete Auswirkungen auf Haftungsdächer wie uns: Durch diese stetige Entwicklung Richtung Honorar haben wir unsere Berater seit Jahren in zweigleisigen Modellen zu Provisionen und Servicegebühren geschult. Unsere angebundenen Partner im Haftungsdach der NFS Netfonds sind zwar eigenständige Unternehmer und können selbst entscheiden, wie sie ihr Geschäftsmodell aufbauen, aber in der Gestaltung der individuellen Unternehmungen hat sich der Fokus der größtenteils ehemaligen Banker und Vermögensverwalter auf die wiederkehrenden Erträge durchgesetzt.
Aktuell haben 8 von 10 neu eröffneten Depots eine Beratungsfee-Vereinbarung beiliegend oder sind mit einer Vermittlung in die Vermögensverwaltung honorarbezogen. Allerdings war der Schwenk von provisionsorientierten Einmalbeträgen hin zu laufenden Servicegebühren für einige Berater kein einfacher Schritt. Das Mindset muss überarbeitet werden und die erste Hürde ist die Einstellung zu diesen Themen. Kann ich Servicegebühren meinen Kunden gut vermitteln und kann er auch bei Seitwärtsmärkten damit umgehen? Sobald die Mehrwerte des Beraters auch in seinem Kopf klar werden, ist der Weg über die laufenden Entgelte ein einfacher.
Mit stark steigendem Anteil sind mittlerweile 72 Prozent unseres Umsatzes wiederkehrend, wobei hiervon circa 20 Prozent noch auf Bestandsprovisionen aus Fonds entfallen. Es ist aber auch hervorzuheben, dass etwa 28 Prozent der Berater und Kunden auch weiterhin Depots und Betreuungsmodelle wünschen, die nicht laufend oder anlassbezogen pauschal bepreist werden, sondern transaktionsbezogen. Heißt: Wir sitzen somit genau zwischen den Stühlen. Einerseits wären wir gut vorbereitet und würden höchstwahrscheinlich von einer großen Wechselwelle von Bankern profitieren, die aus den Instituten in das eigene Unternehmen unter dem Haftungsdach wechseln würden. Dies haben wir bei den vergangenen großen Gesetzesänderungen immer erfahren. Andererseits würden sowohl unsere Partner als auch wir einen Teil des Geschäftsmodells anpassen müssen. Wir fühlen uns somit in der Lage, eine Diskussion in alle Richtungen zu führen, auch wenn wir eine starke Meinung haben.
Provisionsverbot könnte eine Lücke ins Beratungsangebot reißen
Ich vertrete grundsätzlich die Auffassung, dass wir in einer sozialen Marktwirtschaft den Kunden den Entscheidungsspielraum nicht nehmen sollten. Der Kunde ist mündig genug, die Gestaltung der Preismodelle und auch der Chance- und Risikoverhältnisse selbst einschätzen zu können. Das ist ein essentieller Grundstein für die Gesellschaft, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen. Die damit verbundene Vertragsfreiheit ist eines der höchsten Güter in einer freien Marktwirtschaft und ein Garant für Innovation. In Bezug auf ein mögliches Provisionsverbot können wir die Auswirkungen mehr als vorhersagen, da es mit Ländern wie dem Vereinigten Königreich oder Holland langfristige Beispiele gibt. Es lässt sich an den Märkten erkennen, dass Beratung für kleinere Anlagebeträge und Vorsorgeverträge fast ausschließlich über standardisierte Angebote meist online abgedeckt wird.
Das ist per se nichts Schlechtes, aber nimmt Kunden die Möglichkeit individuelle Lösungen zu erhalten, denn Beratung wird nicht mehr wirtschaftlich darstellbar sein. Der Kunde wird somit nur noch Zugang zu bestimmten Produkten mit Beratung gewährt, aber die Unterstützung eines neuen Anlegers bei der ersten Investition in eine Aktie oder einen Aktienfonds wird verwehrt. Auch KPMG kommt in einer aktuellen Studie zu dem Thema zu dem Ergebnis, “dass die sachgerechte Heranführung der Retail-Kunden und deren fachkundige Begleitung bei der Investition in Wertpapiere nur durch den Erhalt der provisionsbasierten Beratung gewährleistet werden kann. Ein Verbot dieser Form der Beratung würde eine Betreuungslücke der Gruppe der besonders betreuungsbedürftigen Retail-Kunden führen."
Kosten sind nicht das Problem, sondern die Qualität der Beratung
Es steht somit außer Frage, dass die Art und Weise der Beratung, der Umfang sowie das effektive Servicelevel ausschlaggebend sind. Berater und Kunden müssen sich gemeinsam auf passende und angebrachte Vergütungssysteme einigen können, damit eine individuelle Beratungsbeziehung wirtschaftlich aufrechterhalten werden kann. Reine „Verkäufer“ ohne Beratungsleistung sollte man erst gar nicht der Provision verwehren, sondern vom Markt ausschließen. Hier können aber keine Gebührendeckelung, Quoten oder sonstige Regelungen helfen, sondern ausschließlich die Qualifizierung der Berater Abhilfe schaffen.
Meiner Meinung nach liegt hier der große Fehler innerhalb der Debatte, denn die bedingte Kausalität in dem Kernargument für oder gegen ein Provisionsverbot zielt nicht auf die wirkliche Qualität der Beratungsdienstleistung ab. Es wird angenommen, dass Berater von Provisionen profitieren und aus diesem Grund gezielt Produkte mit den höchsten Provisionen auswählen. Diese Annahme entbehrt jeglicher Seriosität und langfristigen kaufmännischen Denkens. Berater, die nicht den langfristigen Anlageerfolg der Kunden an erster Stelle sehen, sind Verkäufer. Über die letzten Jahrzehnte haben diese Verkäufer dem Berufsbild des gewissenhaften Finanzberaters enormen Schaden zugefügt.
Seriöse Vermögensberatung ist de facto transparent und muss vor jeglicher Dienstleistung oder Transaktion die Gebühren offenlegen. Darüber hinaus sind Handelssysteme oder Broker, die für die Ausführung von Transaktionen kleinste Provisionen erhalten, weder ein strukturelles Problem, noch eine Bereicherung zu Lasten des Kunden, sondern eine von den Kunden gewünschte Dienstleistung zu einem mehr als marktgerechten Kostenniveau. Die Transaktionskosten haben sich über die letzten Jahre sehr zu Gunsten des Kunden entwickelt. Vor zehn Jahren wurden häufig 5 Prozent Agio bei Fonds abgerechnet, was heute absolut unüblich ist. Die Vergütungsmodelle haben sich alle von Front-ups zu Dauerberatungsmandaten verändert. Der Kundenvorteil der Beratungsdienstleitung ist mit der Transparenz des Marktes und dem Onlineangebot weiter gewachsen.
Kostentransparenz ist erstrebenswert – aber nur schwer darstellbar
Ein weiterer Punkt, der innerhalb der Provisionsverbotsdebatte immer wieder auf der Agenda erscheint, ist die Behauptung, dass die Kosten für Kunden ohne Provision transparenter werden. In der Theorie geht man davon aus, dass Kostentransparenz dabei hilft, Beratungsangebote zu vergleichen. Nur haben wir schon seit der Mifid II eine funktionierende Kostentransparenzpflicht, die Kunden vor einer Dienstleistung detailliert aufklärt.
In der Realität zeigt sich, dass es unmöglich ist, eine so komplexe Dienstleistung wie die Wertpapierberatung miteinander und untereinander zu vergleichen. Ja, sie können von Broker A zu Broker B die Kosten vergleichen, aber wie vergleicht man die Leistung von Beratern? Wie steht das Verhältnis von täglichem Austausch zum Aktienmarkt zu einer quartalsweisen oder jährlichen Rebalancing-Strategie von Fonds? Ich sehe an der Stelle ganz klar eine Gefahr der „Neflixisierung von Dienstleistungen“. Kunden müssen pauschal für das ganze Angebot bezahlen – nützlich für Kunden, die häufig innerhalb der Dienstleistungspalette fündig werden. Problematisch in diesem Zusammenhang ist der oftmals begrenzte Katalog, die effektive Angebotsauswahl. An diesem Punkt wird einmal mehr klar, dass Kunden und Berater im Rahmen der Anlageberatung die Freiheiten brauchen, um auf den gewünschten Beratungsumfang einzugehen.
Steuerliche Gleichstellung sollte forciert werden
Ein Faktor, der überhaupt nicht auf der Agenda erscheint, ist die steuerliche Gleichstellung von Servicegebühren und Provisionen. Eine Bank kann für den Kauf einer Aktie Kosten von zum Beispiel 0,5 Prozent einbehalten und diese dem Kunden innerhalb der Steuertöpfe als Werbungskosten gutschreiben. Nimmt nun ein Berater eine laufende Vergütung von 0,5 Prozent per annum kann diese Gebühr nicht so einfach in den Steuertopf eingestellt werden und wird sogar noch teurer für den Kunden, da die Rechnung mit Mehrwertsteuer versehen ist. Die steuerliche Anerkennung dieser Rechnung kann dann über die Steuerklärung zu einem Problem werden. Einerseits sieht die Anlage Kap-Inv diese Art der Werbungskosten nicht vor, andererseits kommt es immer wieder zur Ablehnung, da die Betreuungsfee noch nicht bei allen Finanzämtern angekommen ist.
Insgesamt ist es wichtig, dass die Regulierungsbehörden ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Interessen der Kunden und denen der Finanzbranche finden, wenn es um die Provisionsfrage geht. Eine sorgfältige Überlegung aller potentiellen Auswirkungen ist angebracht, um sicherzustellen, dass die Finanzbranche weiterhin effektiv und zuverlässig funktioniert. Die Interessen der Kunden müssen in diesem Prozess an erster Stelle stehen. Besonders die Deutschen hadern oftmals mit Investitionen und dem Kapitalmarkt. Falls es nicht mehr wirtschaftlich darstellbar ist, Kunden mit kleinen und mittleren Einkommen und Vermögen individuell zu betreuen und aktiv zu beraten, dann wird es in Deutschland auch weiterhin an einer ausgeprägten Investment- und Aktienmentalität fehlen.
Ich sehe die Zukunft der Vergütungssysteme in der Finanzberatung in Hybridmodellen und der Qualifizierung von Beratern und Kunden.
Über den Gastautor:
Christian Hammer ist Geschäftsführer bei NFS Netfonds. Er arbeitet seit 2005 für das Unternehmen, im Jahr 2012 wurde der diplomierte Bankbetriebswirt und Financial Planner in die Geschäftsführung berufen. Mit der Spezialisierung auf das Private-Banking-Segment arbeiten über 600 Berater unter der Lizenz seines Wertpapierinstitutes