Chefvolkswirt der Deutschen Bank „Lasst die Banken ihren Job machen“

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Die Atomenergiebranche ist hier in der Tat das eindrücklichste Beispiel, da sie sich mit immer strengeren Sicherheitsvorgaben bei gleichzeitig immer niedrigeren Preisen und Gewinnen konfrontiert sieht. Unternehmen wie RWE und EDF sehen sich durch diesen Regulierungsansatz sogar ernsthaft bedroht, wobei besonders RWE unter dem von der deutschen Regierung geplanten Atomausstieg leidet.

Ebenso wie strengere Sicherheitsauflagen bei stetig fallenden Marktpreisen unweigerlich zu Schließungen von Kernkraftwerken geführt haben, wird das Verlangen nach einem Geschäftsmodell für Banken, das neben immer höheren Kapitalanforderungen auch die stetig zunehmenden regulatorischen Vorschriften erfüllt, zum sicheren Tod der Bankenbranche führen.

Genau das scheint heute zu passieren: durch die Kombination aus strenger Regulierung, einer schwachen europäischen Wirtschaft und einem negativen Zinsumfeld wurde die Rentabilität stark in Mitleidenschaft gezogen, wodurch Banken ihre Kapitalkosten nicht länger decken können.

Banken können im Allgemeinen auf vier Umsatzquellen zurückgreifen: den Nettozinsertrag, Gebühren, das Handelsergebnis und sonstige Umsätze. In Europa waren diese in den letzten Jahren alle rückläufig. Zwischen 2010 und 2014 sind die Umsätze der größten europäischen Banken um 10 Prozent zurückgegangen von vormals 500 Milliarden Euro. Die Handelsumsätze sind um ein Viertel geschrumpft, während die Zinsüberschüsse, die mehr als ein Viertel der Umsätze ausmachen, um ein Zehntel gefallen sind.

Darüber hinaus hat das negative Zinsumfeld die Rentabilität der Banken beeinträchtigt, da die Banken die Negativzinsen nicht an Einlagenkunden weiterreichen können. Gleichzeitig sind auch die Kreditzinsen zurückgegangen, wodurch wiederum die Nettozinsmargen für die Banken gefallen sind.

Europa stärker betroffen

Die Auswirkungen der unkonventionellen Geldpolitik sind in Europa gravierender als in den USA. Während der Quantitative-Easing-Phase in den USA zwischen 2010 und 2014 sind die Kreditmargen der Banken um 19 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig lagen die Zinserträge jedoch stabil bei 240 Milliarden US-Dollar, da das jährliche Wachstum des Kreditgeschäfts weiterhin solide bei rund 5 Prozent lag.

In Europa hingegen ist das Kreditwachstum zu gering, um einen solchen Ausgleich zu schaffen. In Italien zeigt sich das Problem vermutlich am deutlichsten. Dort liegen die Nettomargen für neue Kredite 74 Basispunkte unter jenen für Bestandskredite. Wenn diese neuen Kredite die bisher bestehenden Kredite ablösen, könnten die Margen um rund ein Drittel gedrückt werden.

Ausgehend von einem gleichbleibenden Kreditmix ohne Neubewertung der Verbindlichkeiten, wäre ein jährliches Kreditwachstum von 10 Prozent notwendig, um den Zinsüberschuss über die nächsten vier Jahre konstant zu halten. Momentan liegt das Wachstum jedoch gerade mal bei 1 Prozent.

Bankgebühren stellen heutzutage die einzige wirkliche Möglichkeit für Banken dar, Gewinne zu erwirtschaften. Bei den größten europäischen Banken hat sich der Umsatzanteil von Gebühren und Provisionen auf 28 Prozent erhöht, verglichen mit 26 Prozent vor wenigen Jahren. Doch auch diese jüngste Steigerung der Erträge aus dem Provisionsgeschäft erfährt inzwischen deutlich Gegenwind.

Die Höhe der von Banken erhobenen Gebühren rückt nun verstärkt in den Fokus der Europäischen Kommission, und in den USA wurde mit dem Dodd-Frank Act von 2010 eine Verbraucherschutzbehörde für das Finanzwesen eingeführt, auf deren Agenda auch die Kontrolle hoher Bankgebühren steht.

Ironischerweise ist eine Ausrichtung auf Handelssicherheit und Rentabilität für Verfechter des Utility Banking letzten Endes genau die falsche Entscheidung. Dies liegt darin begründet, dass einbehaltene Gewinne die wichtigste Kapitalquelle der Banken darstellen, um den höheren Kapitalanforderungen und einem künftigen Anstieg risikogewichteter Aktiva gerecht zu werden.

Als besonders krasses Beispiel können die US-Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac herangezogen werden, die mittlerweile wieder schwarze Zahlen schreiben. Nach der Krise leiteten die beiden Unternehmen unter staatlicher Kontrolle ihre gesamten Gewinne an ihren Anteilsinhabern vorbei direkt an das US-Finanzministerium weiter und hielten so ihre Eigenkapitalbasis gering.

In der Folge stieg die Verschuldung von Fannie Mae und Freddie Mac zwischen 2012 und 2014 um das Zwei- bis Dreifache, während ihr Buchwert fiel, wodurch wiederum ihr Wert als eigenständige Unternehmen (sofern sie das jemals waren) schrumpfte.

Negativbeispiel Fannie Mae und Freddie Mac

Insoweit ein regulatorischer Ansatz, der eine Behandlung von Banken als Versorgungsbetriebe vorsieht, selbst für Banken mit einer überdurchschnittlich guten Entwicklung zu strukturell geringeren Erträgen führt, dürfte er sich letztlich als sinnlos erweisen, mit Folgen für Wachstum und Stabilität.

Es gibt noch einen dritten Grund, warum der Vergleich mit den Versorgern scheitert. Wenn ein Kernreaktor ausfällt, hat dies verheerende Auswirkungen, während die Folgen eines Ausfalls im Finanzsektor weit weniger absehbar sind.

Man nehme zum Beispiel die Eisenbahnspekulationen in den USA des 19. Jahrhunderts, als Banken durch mehrere Phasen von Spekulation, Überschwang und Panikverkäufen hindurch Kredite an Eisenbahngesellschaften vergaben, die letztlich bekanntermaßen in den Wirtschaftskrisen von 1819, 1873 und 1893 gipfelten.

Während der letzten Krise gingen rund 500 Banken und 156 Eisenbahngesellschaften (rund ein Viertel der bestehenden Eisenbahngesellschaften) bankrott. Nichtsdestotrotz wurden bis 1850 9.000 Meilen, bis 1900 sogar rund 200.000 Meilen an Eisenbahnstrecken gebaut. Die Eisenbahnlinien ermöglichten den Transport von Waren und Dienstleistungen, sorgten für Mobilität der Arbeitskräfte und bildeten die Grundlage für die heutige amerikanische Wirtschaft.