Chefvolkswirt der Deutschen Bank „Lasst die Banken ihren Job machen“

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Explosionsartig gewachsene Offenlegungspflichten


Andy Haldane von der Bank of England wies 2012 darauf hin, dass die Federal Reserve von Bankholdinggesellschaften bereits seit 1978 eine vierteljährliche Berichterstattung verlangt. Im Jahr 1986 umfassten diese Berichte 547 Spalten einer Excel-Tabelle, 1999 bereits 1.208 Spalten.

2011 war der Umfang der Berichte auf 2.271 Spalten angewachsen. Glücklicherweise habe sich die mögliche Spaltenanzahl in Excel über diesen Zeitraum ausreichend stark erhöht, um dieses höhere Volumen erfassen zu können.

Bei der Deutschen Bank hat sich die Last der Offenlegungspflichten in einem rund 600 Seiten schweren Geschäftsbericht niedergeschlagen – sechsmal mehr Seiten als vor 25 Jahren. Doch nicht nur die Zahl der Seiten hat explosionsartig zugenommen.

Lesern, die sich nicht mit AFS, CFR, CPR, CVA, DRE, DVA, EAD, FVA, IMM, LCR, LGD, MREL, NQH, NSFR, SFT, SNLP oder TLAC auskennen, dürfte es schwerfallen, viele der im Geschäftsbericht behandelten Themen zu verstehen.

Statt nach der Krise die Verflechtung zwischen Staaten und ihren einheimischen Finanzsektoren aufzulösen, haben die jüngsten regulatorischen Maßnahmen einem immer größer werdenden Aufsichts-/Finanzkomplex noch Vorschub geleistet.

Dies sorgt dafür, dass die Einkommensaussichten für ehemalige Mitarbeiter von Aufsichtsbehörden enorm gestiegen sind, da sie zu den Wenigen zählen, die bei den vielen neuen Regelungen noch den Durchblick haben. Das fortdauernde Wachstum eines immer enger miteinander verbundenen Aufsichts-/Finanzkomplexes war sicherlich nicht das, was sich die Öffentlichkeit nach 2008 gewünscht hatte.

Banken wie Versorgungsbetriebe?

Die Denkweise hinter dem derzeitigen Ansatz für die Bankenregulierung brachte im Februar Neel Kashkari, der neu ernannte Präsident der Minneapolis Fed, wie folgt auf den Punkt: Er forderte, Banken sollten in operativer Hinsicht wie große Atomkraftwerke behandelt werden und so viel Kapital halten, dass ein Ausfall praktisch unmöglich sei.

Dieses Konzept der Betrachtung von Banken als Versorgungsbetriebe wurde auch in Europa umfassend diskutiert, und erklärt viele Aspekte der regulatorischen Agenda der Nachkrisenzeit.

Immerhin üben die Regulierungsbehörden heutzutage in ähnlicher Weise Einfluss auf Kosten und Gebühren für Produkte, Ausschüttungsquoten und Dividenden, Vergütungen, die Anwerbung von Führungskräften, Compliance und Aufsicht sowie Finanzkontrollen aus, wie dies bei großen öffentlichen Versorgern der Fall ist.

Der Vergleich mit den Versorgungsbetrieben funktioniert auch dann, wenn man bedenkt, dass Banken mit quasi-staatlichen Aufgaben, wie der Überprüfung auf kriminelle Machenschaften durch die Know-Your-Customer (KYC)-Vorgaben, der Meldung verdächtiger Transaktionen und Aktivitäten, dem Einfrieren von Konten und Transaktionen sowie der Durchsetzung von internationalen Sanktionen, betraut wurden. Dies hat große Ähnlichkeit mit den Bestimmungen für Versorger, die Klimavorgaben einhalten und Kunden mit geringen Einkommen versorgen müssen.

Nur wenn Banken wie Atomkraftwerke behandelt werden, erscheint die Verbesserung ihrer Bilanzzahlen seit 2008 noch immer unzureichend. Die europäischen Banken haben seit Beginn der Finanzkrise 2008 Kapital in Höhe von knapp 360 Milliarden Euro eingeworben. Sowohl die Quantität als auch die Qualität des Kapitals hat sich erhöht, und die Kernkapitalquote für Banken der Eurozone ist von gerade mal 8 Prozent im Jahr 2007 auf 13,5 Prozent gestiegen.

Es mag sein, dass neue Liquiditäts- und Verschuldungsanforderungen zu einer Zunahme der Barbestände europäischer Banken um ein Sechsfaches im Vergleich zu 2008 geführt haben, während die Verschuldung um ein Drittel zurückgegangen ist. Doch trotz alledem sind die Kritiker, die 100-Prozentige Sicherheit fordern, noch immer nicht zufriedengestellt.

Bollwerke an Bilanzen

Dem regulatorischen Ansatz, der auf die Behandlung von Banken als Versorgungsbetriebe abstellt, muss entschieden entgegengetreten werden. Diese Denkweise ist aus mehreren Gründen falsch. Zum einen wird dabei außer Acht gelassen, wie Versorger tatsächlich reguliert werden.

Bollwerke an Bilanzen und strenge Regulierung sind nur ein Teil der Bedingungen, die in Kauf genommen werden müssen. Zum anderen gilt es zu bedenken, dass Versorgungsbetriebe private Investoren anziehen müssen, indem sie ihnen attraktive Renditen bieten.

Dies geschieht üblicherweise, indem die Produkte oder Vertriebswege an einem bestimmten Markt geschützt werden, um die finanzielle Tragfähigkeit zu sichern. In Europa versprechen die Regulierungsbehörden der Versorger beispielsweise noch immer garantierte Renditen für Monopolnetzbetreiber.

In Frankreich sind in der Gasversorgung reale Kapitalrenditen von 4,7 Prozent vor Steuern möglich, wobei die nominalen Eigenkapitalrenditen nach Steuern in den vergangenen zehn Jahren üblicherweise bei mehr als 10 Prozent lagen.

Dieses Modell ließe sich unmöglich auf den Bankensektor übertragen. Man stelle sich nur einmal den Aufschrei in der Politik vor, würden die Aufsichtsbehörden den europäischen Banken einen gewissen Betrag ihrer benötigten Mindestgewinne garantieren, indem sie den Wettbewerb ausbremsen.

Mahnendes Beispiel Kernenergiebranche

Zudem gibt es im Vergleich zu natürlichen Monopolen wie Stromnetzen keine bedeutenden von Banken angebotenen Finanzprodukte, die nicht auch von Nichtbanken angeboten werden könnten. Somit wäre eine Abschirmung von Produktströmen, auch wenn sie wünschenswert wäre, im Finanzdienstleistungssektor vermutlich gar nicht realisierbar.

Geschäftsbanken waren früher etwa die einzige nennenswerte Anlaufstelle für große Unternehmen, um kurzfristige Kredite aufzunehmen, doch dieser Dienst wird nun auch von Geldmarktfonds angeboten.

Ohne garantierte Renditen wirkt der Vergleich mit den Versorgungsbetrieben eher wie eine Warnung und nicht wie eine Orientierungshilfe. Betrachten wir zum Beispiel das Stromerzeugungssegment, in dem aufgrund europäischer Vorgaben eine Mischung aus garantierten Preisen (vorwiegend für Wind- und Sonnenenergie) und Marktpreisen (für Wasser- und Atomkraft sowie fossile Energien) bestand. Die Folge war Instabilität am Markt, verbunden mit gleichzeitig niedrigen Gewinnen und drohenden Versorgungsengpässen.